Diabetes und Belastungs­störungen: Verband rät zu psychologischer Begleitung

3 Minuten

Hilfe bei Belastungsstörungen und Diabetes
Foto: Mary Long – stock.adobe.com
Diabetes und Belastungs­störungen: Verband rät zu psychologischer Begleitung

Der Verband der Diabetes-Berater*innen weist auf das gefährliche Wechselspiel zwischen Posttraumatischen Belastungs­störungen (PTBS) und schlechten Stoffwechsel­einstellungen hin – und rät Betroffenen, sich an darauf spezialisierte Einrichtungen zu wenden. Zudem müsse die Politik hier bessere Strukturen schaffen.

Der Verband der Diabetes-Beratungs- und Schulungsberufe in Deutschland e. V. (VDBD) macht auf ein weithin unterschätztes Gesundheitsrisiko aufmerksam: Nicht nur akute Traumata können zu Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) führen, auch chronische Erkrankungen wie Diabetes können diese begünstigen. Darüber hinaus haben Studienergebnisse gezeigt, dass traumatisierende Erfahrungen sogar zur Entstehung eines Typ-2-Diabetes beitragen können.

„Die meisten denken bei den Ursachen einer PTBS vornehmlich an extreme Gewalterfahrungen. Krieg, Flucht und Naturkatastrophen“, erläutert die VDBD-Expertin Professor Dr. habil. Claudia Luck-Sikorski, Präsidentin der SRH Hochschule für Gesundheit in Gera. „Doch inzwischen ist bekannt, dass nicht nur akute Extremerfahrungen PTBS auslösen können, sondern auch dauerhafte Krisen im sozialen Umfeld dafür verantwortlich sein können.“

Da chronisch Erkrankte sehr häufig mit Vorurteilen, Diskriminierung und Mobbing konfrontiert sind, sei das PTBS-Risiko bei ihnen höher als bei ihren gesunden Mitmenschen, so die Psychotherapeutin. „Umso wichtiger ist es, diese Patientinnen und Patienten frühzeitig zu identifizieren und einer geeigneten Psychotherapie zuzuführen.“

Stigmatisierung und fehlende Inklusion können Belastungs­störungen auslösen

„Beispielsweise stehen Menschen mit einem Typ-1-Diabetes häufig unter einem Rechtfertigungsstress, da ihnen fälschlicherweise die Mitschuld an der Erkrankung durch einen schlechten Lebensstil gegeben wird“, betont Luck-Sikorski. Schon im Kindesalter erfahren viele Stigmatisierung und Diskriminierung durch Ausschluss von Klassenfahrten und anderen sozialen Aktivitäten.

Hinzu komme oft, dass Betroffene aufgrund einer gescheiterten Eingliederung (Inklusion) in Schule und Gesellschaft einen Bildungs- und Berufsweg einschlagen, der nicht den persönlichen Fähigkeiten oder Interessen entspricht. „Nicht zu unterschätzen sind aber auch potentiell traumatisierende Erlebnisse wie etwa eine lebensbedrohliche Stoffwechselentgleisung, die diabetische Ketoazidose. Sie ist bei Kindern häufig Anlass zu einer Diabetesdiagnose“, so Luck-Sikorski.

Belastungsstörungen als Ursache und Folge eines Typ-2-Diabetes

Noch häufiger scheinen Menschen mit einem Typ-2-Diabetes von PTBS betroffen zu sein. „Das liegt vermutlich daran, dass PTBS zugleich Ursache als auch Folge eines Diabetes Typ 2 sein kann“, erklärt Luck-Sikorski. „Einerseits seien Betroffene noch häufiger als Menschen mit Diabetes Typ 1 Diskriminierung und Mobbing ausgesetzt, da die Stoffwechselerkrankung meist auch mit Übergewicht oder gar Adipositas einhergeht. Das schafft einen erheblichen Leidensdruck“, so die Expertin. Andererseits können traumatisierende Erfahrungen nachweislich einen Typ-2-Diabetes entstehen lassen. Frauen sind dabei doppelt so häufig betroffen wie Männer, wie eine Studie zeigt.

„Es gibt inzwischen viele Hinweise darauf, dass sozial und emotional belastende Situationen auf Dauer auch körperliche Beeinträchtigungen wie chronische Erkrankungen nach sich ziehen“, weiß Luck-Sikorski, die sich mit ihrer Forschungsgruppe COPE in Gera mit dem Zusammenhang von chronischen Erkrankungen und psychischer Gesundheit befasst.

Gefährliches Zusammenspiel: Belastungsstörungen und Diabetes

Klassische Symptome einer PTBS sind Vermeidungshaltungen, Flashbacks oder Alpträume. Betroffene sind durch diese ständigen Belastungen in ihrem sozialen und beruflichen Alltag sehr eingeschränkt. Auch auf die Stoffwechsellage hat dies einen gefährlichen Einfluss: Patientinnen und Patienten können sich oft kaum noch auf ein gutes Diabetesmanagement einlassen, vernachlässigen ihre Therapie und riskieren damit schwere gesundheitliche Schäden.

„In einer Verhaltenstherapie versuchen wir, Betroffene aus dieser Spirale herauszuholen. Das ist nicht nur wichtig, um die emotinale Schieflage zu korrigieren, sondern auch, um die Diabtestherapie gewissenhaft weiterführen zu können“, sagt Luck-Sikorsik. PTBS sei sehr gut behandelbar – aber nur, wenn eine geeignete Therapie frühzeitig eingeleitet wird.

VDBD bemängelt die unzureichende Finanzierung psychosozialer Angebote

Bei Verdacht auf PTBS rät der VDBD Diabetespatientinnen und -patienten daher, sich von ihrem Diabetesteam hinsichtlich einer Psychotherapie beraten zu lassen. Gleichzeitig weist der Verband darauf hin, dass sich PTBS-Betroffene unbedingt dem Zusammenhang zwischen ihrer psychischen Erkrankung und einem erhöhten Diabetesrisiko bewusst sein sollten.

Regelmäßige Kontrolluntersuchungen könnten eine sich abzeichnende Stoffwechselerkrankung frühzeitig identifizieren. Darüber hinaus dürften psychosoziale Angebote nicht nur ein „Add-on“ sein, sondern müssten integraler Bestandteil der Diabetesbehandlung sein. Doch niederschwellige Beratungen außerhalb der Diabetesschulungen werden nicht oder nur unzureichend finanziert. Auch die sprechende Medizin sei nach wie vor unterfinanziert.

„Viele PTBS-Betroffene bleiben vermutlich in unserem System unerkannt oder kommen zu spät in die Psychotherapie, da das vertrauliche Arzt-Patienten-Gespräch fehlt oder ihnen schlicht kein psychotherapeutisches Angebot zur Verfügung steht“, bedauert die stellvertretende VDBD-Vorstandsvorsitzende Kathrin Boehm. Hier gelte es, seitens der Politik nachzubessern.



von Redaktion Diabetes-Anker

mit Materialien des VDBD

Ähnliche Beiträge

Weltdiabetestag und „Meilensteine der modernen Diabetologie“: großes Diabetes-Event im November

Am 10. November 2024 finden die beiden vormals separaten Veranstaltungen „Meilensteine der modernen Diabetologie“ und die Patientenveranstaltung zum Weltdiabetestag in einem großen gemeinsamen Event für Menschen mit Diabetes statt.
Weltdiabetestag und „Meilensteine der modernen Diabetologie“: großes Diabetes-Event im November

2 Minuten

22. Düsseldorfer Diabetes-Tag: vielfältiges Programm für Menschen mit Diabetes und Interessierte

Der 22. Düsseldorfer Diabetes-Tag am 31. August 2024 bietet bei freiem Eintritt ein umfangreiches Programm mit Vorträgen, einer Industrieausstellung und Mitmach-Aktionen für Betroffene, Angehörige und Interessierte.
22. Düsseldorfer Diabetes-Tag: vielfältiges Programm für Menschen mit Diabetes und Interessierte

2 Minuten

Keine Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Über uns

Geschichten, Gemeinschaft, Gesundheit: Der Diabetes-Anker ist das neue Angebot für alle Menschen mit Diabetes – live, gedruckt und digital. Der Diabetes-Anker und die Community sind immer da, wo du sie brauchst. Für alle Höhen und Tiefen.

Diabetes-Anker-Newsletter

Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.

Werde Teil unserer Community

Community-Frage

Mit wem redest du über deinen Diabetes?

Die Antworten auf die Community-Frage werden anonymisiert gesammelt und sind nicht mit dir oder deinem Profil verbunden. Bitte achte darauf, dass deine Antwort auch keine Personenbezogenen Daten enthält.

Werde Teil unserer Community

Folge uns auf unseren Social-Media-Kanälen

Push-Benachrichtigungen

notification icon
Aktiviere Benachrichtigungen auf dieser Seite, um auf dem laufenden zu bleiben, wenn dir Personen schreiben und auf deine Aktivitäten antworten.
notification icon
Du hast die Benachrichtigungen für diese Seite aktiviert
notification icon
Aktiviere Benachrichtigungen auf dieser Seite, um auf dem laufenden zu bleiben, wenn dir Personen schreiben und auf deine Aktivitäten antworten.
notification icon
Du hast die Benachrichtigungen für diese Seite aktiviert