Faktencheck: Gesundheitsbündnis wirft Ernährungsindustrie Falschaussagen vor

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Faktencheck: Gesundheitsbündnis wirft Ernährungsindustrie Falschaussagen vor
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Faktencheck: Gesundheitsbündnis wirft Ernährungsindustrie Falschaussagen vor

Das Medizin- und Wissenschaftsbündnis DANK hat die aktuelle Initiative der Werbe- und Ernährungsindustrie gegen das geplante Kinder-Lebensmittel-Werbegesetz scharf kritisiert. Die Kampagne der Branchenverbände basiere auf Falschaussagen, schlussfolgert das Gesundheitsbündnis aus ihrem heute veröffentlichten Faktencheck.

Mehr als 30 Branchenverbände der Lebensmittel- und Werbewirtschaft haben sich kürzlich in einem Brief an Bundesernährungsminister Cem Özdemir ablehnend gegen den aktuellen Referentenentwurf des Kinder-Lebensmittel-Werbegesetz (KLWG) des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft geäußert. Zeitgleich hatten Branchenverbände eine doppelseitige Anzeige in verschiedenen Tageszeitungen platziert, laut der Werbebeschränkungen „unwirksam“ seien.

Die Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK), ein Bündnis aus 22 medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften, Verbänden und Forschungseinrichtungen hat die Argumente der Kampagne der Lebensmittel- und Werbewirtschaft einem Faktencheck unterzogen.

Gesundheitsbündnis DANK entgegnet den Aussagen der Ernährungsindustrie mit einem Faktencheck

„In der wissenschaftlichen Literatur und unter Fachorganisationen herrscht einhelliger Konsens, dass Beschränkungen der Lebensmittelwerbung ein wichtiges Handlungsfeld zur Förderung gesunder Ernährung sind“, sagt Barbara Bitzer, Sprecherin der DANK und Geschäftsführerin der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG). „Dass die Werbe- und Lebensmittelbranche so vehement gegen die Pläne mobilisieren, zeigt vor allem eines: Die geplanten Regelungen könnten eine große Wirkung entfalten.“

„Die Gegenkampagne hält einer fachlichen Überprüfung nicht stand“, ergänzt Oliver Huizinga, politischer Geschäftsführer der Deutschen Adipositas-Gesellschaft (DAG). „Anders als die Branchenverbände es darstellen, gibt es umfassende Evidenz, um die Einführung von Werbebeschränkungen zu begründen. Im Gegensatz dazu sind die postulierten Schreckensszenarien über angebliche negative Auswirkungen einer Werberegulierung aus der Luft gegriffen. Mit unserem neuen Faktencheck möchten wir zur Versachlichung beitragen“, so Huizinga.

„Es ist nicht nachvollziehbar, dass aus rein wirtschaftlichen Interessen das Wohl unserer Kinder nicht nur vernachlässigt, sondern eine klare Verletzung der Kindsinteressen bewusst in Kauf genommen wird“, bringt es Burkhard Rodeck, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ), auf den Punkt.

DANK-Faktencheck zu zentralen Aussagen der Werbe- und Ernährungsindustrie über das Kinderlebensmittel-Werbegesetz:

(Faktencheck hier als PDF-Dokument herunterladen)

Aussage 1: „Das KLWG [Kinderlebensmittel-Werbegesetz] erfasst weiterhin schätzungsweise 70 Prozent aller Lebensmittel“

➤ Link zur Aussage


DANK-Faktencheck: Für diese Behauptung gibt es keine Evidenzgrundlage. Die Angabe bezieht sich auf Berechnungen zum WHO-Nährwertmodell, wie der Lebensmittelverband auf X (vormals Twitter) angegeben hat.1 Die vom Bundesernährungsministerium (BMEL) vorgeschlagenen Grenzwerte für Kalorien, Zucker, Fett oder Salz weichen aber erheblich vom WHO-Nährwertmodell ab. Die Änderungen des BMEL betreffen Säfte, Milch, Milchgetränke, Pflanzendrinks, Joghurts und andere Milchprodukte, frisches und gefrorenes Fleisch, Fisch und Meeresfrüchte sowie Eier. Berechnungen auf Grundlage des ursprünglichen WHO-Nährwertmodells sind daher nicht geeignet, um Aussagen zu dem aktuellen BMEL-Entwurf zu treffen. Genau das macht aber die neue Initiative der Branchenverbände.

In Ermangelung repräsentativer Datenquellen kann aktuell nicht genau beziffert werden, welcher Anteil des hiesigen Lebensmittelangebots vom aktuellen Entwurf des BMEL tatsächlich betroffen wäre. Eine realistische Größenordnung liegt bei etwa 40 bis 50 Prozent, wie eine Datenrecherche von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der LMU München in Zusammenarbeit mit DANK zeigt. Demnach wären im Schnitt (Median) über die 22 Lebensmittelkategorien hinweg etwa 45 Prozent der Produkte vom aktuellen Entwurf des BMEL für eine Werberegulierung erfasst. 2 Die Analyse basiert auf einer Zufallsstichprobe von 660 Produkten des deutschen Lebensmittelmarkts. Zur Zeit der Publikation als Preprint lag die Quote noch bei 62 Prozent.3 Das BMEL hat die Grenzwerte jedoch seitdem überarbeitet.

Quellen:
1) https://twitter.com/lmverband/status/1693987486803034537
2) https://twitter.com/oliver_huizinga/status/1715301816324202809
3) https://www.dank-allianz.de/pressemeldung/studie-mit-660-produkten-who-naehrwertmodell-ist-praxistauglichfuer-werberegeln-gesundheitsbuendnis-dank-aussagen-der-werbeindustrie-nicht-haltbar.html

Aussage 2: „Werbeverbote sind unwirksam im Kampf gegen kindliches Übergewicht“

➤ Link zur Aussage


DANK-Faktencheck: Für diese Behauptung gibt es keine Evidenzgrundlage. Der Einfluss von Lebensmittelwerbung auf die Vorlieben, die Essensauswahl, das Kauf- und Ernährungsverhalten von Kindern ist in großen systematischen Übersichtsarbeiten untersucht und überzeugend dokumentiert – auch ein kausaler Zusammenhang konnte belegt werden. 4, 5, 6, 7 ,8, 9, 10, 11, 12 Die WHO und UNICEF bewerten die Evidenz für den Einfluss der Werbung auf die oben genannten Parameter als „eindeutig“.13 Es besteht ein breiter Konsens unter Fachorganisationen und in der wissenschaftlichen Literatur, dass die Beschränkung der Lebensmittelwerbung ein relevantes Handlungsfeld zur Eindämmung ernährungsmitbedingter Krankheiten wie Adipositas darstellt.14, 15

Auch die Lebensmittelwirtschaft selbst hat die Evidenz für Werbebeschränkungen längst anerkannt. Im Jahr 2007 haben elf führende Lebensmittelhersteller beschlossen, an Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit viel Zucker, Fett und Salz einzuschränken – als freiwilligen Beitrag zu einer EU Plattform im Kampf gegen Adipositas.16 Mittlerweile sind 22 führende Unternehmen dabei.17 Zwar sind Selbstverpflichtungen der Wirtschaft unzureichend, um Kinder vor schädlichen Werbeeinflüssen zu schützen.18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29 Dennoch beweist schon die Existenz der Initiative, dass führende Lebensmittelunternehmen den negativen Einfluss der Werbung auf Kinder und die Notwendigkeit von Werbebeschränkungen anerkennen. Sonst ergäbe die Initiative keinen Sinn.

Richtig ist, dass die bisher vorliegenden Daten keine quantifizierbaren Rückschlüsse darauf zulassen, inwiefern sich seit wenigen Jahren bestehende Werberegulierungen in anderen Staaten auf die kindlichen Adipositasraten ausgewirkt haben. Das heißt jedoch nicht, dass das Instrument „unwirksam“ oder „nicht evidenzbasiert“ sei, wie Gegner des Vorhabens behaupten.

Die WHO hat erst kürzlich zwei systematische Übersichtsarbeiten zu Lebensmittelwerbung anfertigen lassen: Eine zur Evidenz über den Einfluss der Lebensmittelwerbung auf Kinder30 und eine zur Evidenz der Effekte von Werberegulierungen31. Beide Übersichtsarbeiten kommen zum Schluss, dass die vorhandene Evidenz die Einführung von Werbebeschränkungen unterstützt.

Die erste Übersichtsarbeit kommt zum Ergebnis:

„In dieser systematischen Übersichtsarbeit und Meta-Analyse wurde festgestellt, dass Lebensmittelwerbung mit einer erhöhten Aufnahme, Auswahl, Vorliebe und Kaufanfragen bei Kindern und Jugendlichen in Verbindung steht. Maßnahmen, die die Werbeexposition von Kindern begrenzen, werden erwartungsgemäß der Kindergesundheit zugutekommen.“ (Übersetzung von DANK)

Die zweite Übersichtsarbeit kommt zum Ergebnis:

„Einschränkungen in der Lebensmittelwerbung können zu reduzierten Käufen ungesunder Lebensmittel für und von Kindern führen (…) Da der Einfluss von Lebensmittelwerbung sowohl von der Exposition als auch von der Überzeugungskraft abhängt – und es erhebliche Beweise dafür gibt, dass Lebensmittelwerbung umfangreich, mächtig und wirkungsvoll auf das Verhalten wirkt – ist es für die öffentliche Gesundheit positiv, dass diese Ergebnisse zeigen, dass es durch Beschränkungen möglich ist, die Lebensmittelwerbung, der Kinder ausgesetzt sind (…) sowie die Überzeugungskraft der Werbung effektiv zu reduzieren. Die Herausforderung für Entscheidungsträger liegt darin, Beschränkungen zu entwerfen und umzusetzen, die ein maximales Potenzial für Wirksamkeit haben.“ (eigene Übersetzung)

Dass im Rahmen der zweiten Übersichtsarbeit keine Studien identifiziert werden konnten, die die Effekte von Werberegulierungen auf den Body-Mass-Index (BMI) von Kindern untersucht haben, ist nicht als fehlender Wirksamkeitsnachweis zu interpretieren und erst recht kein Beleg für die Unwirksamkeit. Aufgrund der Komplexität der Einflüsse auf den BMI sowie der Zeitverzögerung zwischen Essensaufnahme und BMI-Veränderungen ist der BMI aus methodischer Sicht nur eingeschränkt geeignet, um den Erfolg von Werbebeschränkungen zu beurteilen. Besser geeignet sind kurzfristig und im Zeitverlauf engmaschig messbare Parameter wie Veränderungen des Kaufverhaltens. Um die Rate kindlicher Adipositas mittel- bis langfristig merklich zu senken, ist nach einhelliger Einschätzung ohnehin eine umfassende Strategie und eine Kombination verschiedener Maßnahmen erforderlich. Werbebeschränkungen sind ein wichtiger Baustein einer solchen Strategie, aber nicht alleine ausreichend. Keine isoliert betrachtete Maßnahme wird für sich genommen die Adipositas-Epidemie umkehren.

Wer suggeriert, Werbebeschränkungen seien aufgrund fehlender Daten zu Auswirkungen auf den BMI nicht evidenzbasiert, gibt den Kenntnisstand falsch wieder und ignoriert die vorhandene, umfangreiche Evidenz zum Einfluss der Lebensmittelwerbung auf das Ernährungsverhalten der Kinder und die vorhandene Evidenz zur Wirksamkeit von Werbebeschränkungen auf das Kaufverhalten.

Quellen:
4) Cairns, Georgina, Angus, Kathryn, Hastings, Gerard & World Health Organization. (2009). The extent, nature and
effects of food promotion to children : a review of the evidence to December 2008 / by Georgina Cairns, Kathryn
Angus and Gerard Hastings. World Health Organization. https://apps.who.int/iris/handle/10665/44237
5) Smith R, Kelly B, Yeatman H, Boyland E. Food Marketing Influences Children’s Attitudes, Preferences and
Consumption: A Systematic Critical Review. Nutrients. 2019 Apr 18;11(4):875. doi: 10.3390/nu11040875. PMID:
31003489; PMCID: PMC6520952.
6) Russell SJ, Croker H, Viner RM. The effect of screen advertising on children’s dietary intake: A systematic review and meta-analysis. Obes Rev. 2019 Apr;20(4):554-568. doi: 10.1111/obr.12812. Epub 2018 Dec 21. PMID: 30576057; PMCID: PMC6446725.
7) Boyland E, McGale L, Maden M, Hounsome J, Boland A, Angus K, Jones A. Association of Food and Nonalcoholic
Beverage Marketing With Children and Adolescents’ Eating Behaviors and Health: A Systematic Review and Metaanalysis. JAMA Pediatr. 2022 Jul 1;176(7):e221037. doi: 10.1001/jamapediatrics.2022.1037. Epub 2022 Jul 5. PMID:35499839; PMCID: PMC9062773.
8) Lobstein T, Neveux M. A review of systematic reviews of the impact on children of three population-wide policies. 2021
9) Powell LM, Wada R, Khan T, and Emery SL. Food and beverage television advertising exposure and youth consumption, body mass index and adiposity outcomes. Canadian Journal of Economics, 2017; 50(2):345-64. Available from: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/28947838/
10) Food marketing exposure and power and their associations with food-related attitudes, beliefs, and behaviours: a narrative review. CC BY-NC-SA 3.0 IGO Geneva: World Health Organization, 2022. Available from: https://apps.who.int/iris/bitstream/handle/10665/
11) McCarthy CM, de Vries R, Mackenbach JD. The influence of unhealthy food and beverage marketing through social media and advergaming on diet-related outcomes in children—A systematic review. Obesity Reviews. 2022:e13441
12) Norman, J., Kelly, B., Boyland, E. & McMahon, A. (2016). The impact of marketing and advertising on food behaviours: Evaluating the evidence for a causal relationship. Current Nutrition Reports, 5 (3), 139-149.
13) https://apps.who.int/iris/rest/bitstreams/1426078/retrieve
14) https://www.dank-allianz.de/pressemeldung/werbeschranken-fuer-ungesunde-lebensmittel-60-organisationenfordern-unterstuetzung-von-fdp-parteichef-christian-lindner-fuer-kinderschutz-gesetz.html
15) https://www.who.int/europe/news/item/03-05-2022-new-who-report–europe-can-reverse-its-obesity–epidemic
16) https://eu-pledge.eu/wp-content/uploads/EUPledgePressRelease_111207.pdf
17) https://eu-pledge.eu/the-eu-pledge-at-a-glance/
18) Chambers SA, Freeman R, Anderson AS, MacGillivray S. Reducing the volume, exposure and negative impacts of advertising for foods high in fat, sugar and salt to children: a systematic review of the evidence from statutory and self-regulatory actions and educational measures. Prev Med. 2015;75:32–43. doi: 10.1016/j.ypmed.2015.02.011.
19) Clark H, Coll-Seck AM, Banerjee A, Peterson S, Dalglish SL, Ameratunga S et al. A future for the world’s children? A WHOUNICEF-Lancet Commission. Lancet. 2020;395(10224):605–58. doi: 10.1016/S0140-6736(19)32540-1.
20) Effertz T, Wilcke AC. Do television food commercials target children in Germany? Public Health Nutr. 2012;15(8):1466–73. doi: 10.1017/S1368980011003223.
21) Galbraith-Emami S, Lobstein T. The impact of initiatives to limit the advertising of food and beverage products to children: a systematic review. Obes Rev. 2013;14(12):960–74. doi: 10.1111/obr.12060
22) Harris JL, LoDolce M, Dembek C, Schwartz MB. Sweet promises: candy advertising to children and implications for industry self-regulation. Appetite. 2015;95:585–92. doi: 10.1016/j.appet.2015.07.028.
23) Jensen JD, Ronit K. The EU pledge for responsible marketing of food and beverages to children: implementation in food companies. Eur J Clin Nutr. 2015;69(8):896–901. doi: 10.1038/ejcn.2015.52.
24) Kent MP, Dubois L, Wanless A. Food marketing on children’s television in two different policy environments. Int J Pediatr Obes. 2011;6(2-2):e433–41. doi: 10.3109/17477166.2010.526222.
25) King L, Hebden L, Grunseit A, Kelly B, Chapman K, Venugopal K. Industry self regulation of television food advertising: responsible or responsive? Int J Pediatr Obes. 2011;6(2-2):e390–8. doi: 10.3109/17477166.2010.517313.
26) León-Flández K, Rico-Gómez A, Moya-Geromin MÁ, Romero-Fernández M, Bosqued-Estefania MJ, Damián J et al. Evaluation of compliance with the Spanish code of self-regulation of food and drinks advertising directed at children under the age of 12 years in Spain, 2012. Public Health. 2017;150:121–9. doi: 10.1016/j.puhe.2017.05.013.
27) Roberts M, Pettigrew S, Chapman K, Miller C, Quester P. Compliance with children’s television food advertising regulations in Australia. BMC Public Health. 2012;12:846. doi: 10.1186/1471-2458-12-846.
28) Ronit K, Jensen JD. Obesity and industry self-regulation of food and beverage marketing: a literature review. Eur J Clin Nutr. 2014;68(7):753–9. doi: 10.1038/ejcn.2014.60.
29) Vergeer L, Vanderlee L, Potvin Kent M, Mulligan C, L’Abbé MR. The effectiveness of voluntary policies and commitments in restricting unhealthy food marketing to Canadian children on food company websites. Appl Physiol Nutr Metab. 2019;44(1):74–82. doi: 10.1139/apnm-2018-0528
30) Boyland E, McGale L, Maden M, Hounsome J, Boland A, Angus K, Jones A. Association of Food and Nonalcoholic Beverage Marketing With Children and Adolescents’ Eating Behaviors and Health: A Systematic Review and Metaanalysis. JAMA Pediatr. 2022 Jul 1;176(7):e221037. doi: 10.1001/jamapediatrics.2022.1037. Epub 2022 Jul 5. PMID: 35499839; PMCID: PMC9062773.
31) Boyland E, McGale L, Maden M, Hounsome J, Boland A, Jones A. Systematic review of the effect of policies to restrict the marketing of foods and non-alcoholic beverages to which children are exposed. Obes Rev. 2022 Aug;23(8):e13447. doi: 10.1111/obr.13447. Epub 2022 Apr 5. PMID: 35384238; PMCID: PMC9541016.

Aussage 3: „Dies zieht einen irreparablen Schaden in der Medien- und Werbewirtschaft nach sich, da rund 3 Mrd. Euro Werbeeinnahmen fehlen werden, die nicht kompensiert werden können“

➤ Link zur Aussage


DANK-Faktencheck: Für diese Behauptung gibt es keine Evidenzgrundlage. Die Berechnung basiert auf einem Gutachten im Auftrag des Markenverbands, welches veraltet ist. Das Gutachten behandelt nicht den Referentenentwurf des BMEL vom 28. Juni 2023, den die Branchenverbände kritisieren32, sondern eine veraltete Fassung vom 11. Mai 2023.33 Sowohl mit Blick auf die Grenzwerte und die erfassten Lebensmittel als auch mit Blick auf die Regelungen in der TV- und der Außenwerbung ist der JuniEntwurf nicht mit dem Mai-Entwurf vergleichbar. Anders als suggeriert, ergeben sich für Lebensmittelhersteller vielfältige Möglichkeiten, sogar für Ungesundes zu werben. Alle berechneten Szenarien auf Grundlage des Mai-Entwurfs sind daher obsolet. Faktencheck Lebensmittelwerbung | Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK) | www.dank-allianz.de Zu den Änderungen im Einzelnen:

  • Im Entwurf vom 11. Mai sollten die Werbeschranken im TV noch generell von 6 bis 23 Uhr greifen. Im Entwurf vom 28. Juni ist die Beschränkung wochentags nur noch von 17 bis 22 Uhr, samstags zusätzlich zwischen 8 und 11 Uhr sowie sonntags von 8 bis 22 Uhr vorgesehen. Die Uhrzeiten-Regelung soll künftig nur noch zur „Kinder-Primetime“ greifen, wenn die Einschaltquoten in der Altersgruppe 3 bis 13-Jahre am höchsten ist.34
  • Im Entwurf vom 11. Mai war bzgl. der Außenwerbung für ungesunde Lebensmittel noch eine 100-Meter-Bannmeile um Freizeiteinrichtungen für Kinder und Spielplätze geplant, im Entwurf vom 28. Juni ist diese Regelung entfallen.
  • Im Entwurf vom 11. Mai galt die allgemeine Uhrzeiten-Regelung noch für TV und Radio. Im Entwurf vom 28. Juni ist diese Regelung für Radiowerbung vollständig entfallen.
  • Nicht zuletzt hat das BMEL die Grenzwerte für die viel beworbene Produktkategorie Joghurt und Milchprodukte seither erheblich angepasst. In der o.g. Zufalls-Stichprobe erhöhte sich durch die Änderung der Anteil der uneingeschränkt bewerbbaren Produkte in dieser Produktkategorie von 13 auf 73 Prozent.

Ungeachtet der fehlenden Aktualität weist das Gutachten, das Grundlage für die angeblich fehlenden 3 Milliarden ist, erhebliche methodische Mängel auf. Aus nicht nachvollziehbaren Gründen geht das Gutachten beispielsweise davon aus, dass die Werbeaufwendungen für Süßwaren und andere von der Regulierung erfasste Lebensmittel ersatzlos wegfallen. Diese statistische Sicht auf das Werbegeschehen blendet Ausweichreaktionen der Lebensmittelindustrie und anderer werbender Industrien vollständig aus. Das Gutachten berücksichtigt beispielsweise nicht, dass Lebensmittelhersteller stattdessen Lebensmittel mit weniger Zucker, Fett, Salz verstärkt bewerben, Rezepturen vorhandener Produkte anpassen sowie Werbebudgets für ungesunde Lebensmittel auf andere Uhrzeiten, Formate und Kanäle umlenken35 könnten. Schon aus diesem Grund waren die Berechnungen zu keinem Zeitpunkt der Debatte belastbar.

Quellen:
32) https://www.lebensmittelverband.de/de/presse/pressemitteilungen/20231019-breite-ablehnung-gegen-kinderlebensmittel-werbegesetz
33) https://xn--lieber-mndig-klb.de/studien/oekonomisches-gutachten-zum-kinder/
34) Vgl. Sabine Feierabend/Julia Scolari Was Kinder sehen; Eine Analyse der Fernsehnutzung Drei- bis 13-Jähriger 2021, Media Perspektiven 4/2022. https://www.ard-media.de/fileadmin/user_upload/mediaperspektiven/pdf/2022/2204_Feierabend_Scolari.pdf#page=6
35) Vgl. auch Forde H, Boyland EJ, Scarborough P, et alExploring the potential impact of the proposed UK TV and online food advertising regulations: a concept mapping studyBMJ Open 2022;12:e060302. doi: 10.1136/bmjopen-2021-060302

Bundesernährungsminister Cem Özdemir hatte Ende Februar seine Pläne für mehr Kinderschutz in der Lebensmittelwerbung vorgestellt. Mehr als 60 Krankenkassen, Verbraucherschutzorganisationen, Elternverbände, Kinderrechtsorganisationen sowie medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaften unterstützen das Vorhaben. Innerhalb der Ampel-Koalition ist das Thema umstritten. Die FDP verhindert derzeit die Einleitung des parlamentarischen Verfahrens. Minister Özdemir hat den Entwurf zuletzt in mehrfacher Hinsicht abgeschwächt. Dennoch ist bislang keine Einigung absehbar. Branchenverbände der Lebensmittel- und Werbewirtschaft machen weiter gegen das Vorhaben mobil.

Über die Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK)
Die Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK) ist ein Wissenschaftsbündnis aus 22 medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften, Verbänden und Forschungseinrichtungen, dass sich für Maßnahmen der Verhältnisprävention zur Verhinderung von Krankheiten wie Adipositas, Diabetes, Krebs und Herz-Kreislaufkrankheiten einsetzt. www.dank-allianz.de



von Redaktion Diabetes-Anker

mit Materialien der Deutschen Allianz Nichtübertragbarer Krankheiten (DANK)

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