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Am 6. Februar bebt in der Südtürkei und in Nordsyrien die Erde. Das Erdbeben der Stärke 7,7 reißt die Menschen aus dem Schlaf, lässt Gebäude wie Kartenhäuser in sich zusammenfallen. Wer kann, rettet sich auf die Straße. Weitere schwere Beben folgen. Mehr als 50.000 Tote sind inzwischen zu beklagen, Zehntausende wurden verletzt. Wie ist die medizinische Versorgung geregelt? Gibt es eine funktionierende Diabetesversorgung? Eine Endokrinologin und ein Hausarzt berichten über ihre Erfahrungen vor Ort in der Türkei.
„Man kann sich das alles kaum vorstellen, wenn man es nicht mit eigenen Augen gesehen hat”, so Kadriye Aydinkoc-Tuzcu aus Wien, Internistin und Endokrinologin sowie Mitglied der AG Diabetes und Migranten der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG). Durch das Erdbeben hat sie selbst vier Angehörige verloren. Um bei deren Bergung zu helfen, aber auch die Menschen vor Ort ärztlich zu unterstützen, fuhr sie im Februar in die Provinz Osmaniye. Mehrere Tage blieb sie in der türkischen Erdbebenregion, übernachtete bei Minusgraden in einem Auto. „Anfangs gab es Schneestürme, Glatteis, Autounfälle und Staus durch Personen, die in die Erdbebengebiete fuhren, da sie ihre Angehörigen nicht erreichen konnten. Jeder wollte in diese Richtung.“
Am Tag des Bebens seien schon die ersten Bergungsfahrzeuge angerückt. Doch erst am nächsten Tag lief die Hilfe richtig an. Mittlerweile seien in den zerstörten Städten vielerorts Zeltapotheken und zum Teil internationale Militärkrankenhäuser aufgebaut sowie mobile Kliniken eingerichtet worden. In den Apotheken gebe es sehr viele der benötigten Medikamente, die unbürokratisch an die Menschen ausgegeben würden. „Das ist gut organisiert, aber sehr lokal zu sehen, denn es funktioniert natürlich nicht überall“, betont sie. Medizinisch liege der Fokus weiter darauf, die Verschütteten sowie Traumapatienten zu versorgen. Die Koordination der Notfallmedikation vor Ort, auch die Insulinversorgung, ist Sache der türkischen Kastatrophenschutzbehörde AFAD und des Roten Halbmonds.
Die Diabetesversorgung war besonders in den ersten Tagen und Wochen schwierig, vor allem beim Typ-1-Diabetes. „Ich weiß aus Gesprächen, dass Angehörige ziemlich verzweifelt waren und eine Frau fragte: ‚Meine Mutter ist insulinpflichtig, wo bekommen wir das Insulin her?‘“ Für die Menschen sei der Alltag schwer. Nahezu 90 Prozent der Städte gebe es nicht mehr, sagt sie. „Es sind nicht nur ein, zwei Häuser – ganze Blöcke sind wie Dominosteine zusammengefallen.“ Viele Bewohnerinnen und Bewohner sind in andere Großstädte und Regionen ausgewandert. Wer nicht weg kann, schläft in einem der Zeltlager. Containerdörfer befinden sich momentan im Aufbau. Viele Betroffene leben immer noch auf der Straße. „Das Haus meiner Tante ist vollkommen zerstört“, berichtet sie. Ihr Cousin sei seit vier Wochen in einem Zelt des türkischen Militärs untergebracht.
Dr. Michael Brinkmann, Hausarzt in Niederkassel bei Bonn, hat über seinen Aufenthalt in der Türkei in einem Interview für die Medical Tribune (eine Zeitung für Ärztinnen und Ärzte, die wie der Diabetes-Anker von der MedTriX Group publiziert wird) berichtet. Er war von Mitte bis Ende Februar mit einem Team der Hilfsorganisation Humedica zirka 100 Kilometer nördlich von Gaziantep, Südostanatolien, für die Nachbetreuung von Verletzten und unmittelbaren Erdbebenopfern zuständig. „Die Grundangst der betroffenen Menschen ist natürlich unglaublich groß. Bei jeder Erschütterung erleben sie ihre ursprüngliche Traumatisierung wieder ganz frisch.“
Aufgrund der Kälte und fehlender Heizungen gab es viele Infektionen und zahlreiche Kinder mit Lungenentzündung oder Bronchitis. Parallel dazu suchten Menschen nach Hilfe, die infizierte Wunden hatten, schwere Erkrankungen oder die eine allgemeine Primärversorgung benötigten. „In Erinnerung geblieben ist mir ein älterer Herr, der kein Insulin mehr hatte und einen Blutzuckerwert von über 500 mg/dl. Den Diabetes mussten wir erst einmal einstellen. Der Mann hatte sich in seiner Not in der Kälte vor einen Holzofen gestellt. Aber wegen der Neuropathie in den Beinen spürte er nicht, dass er sich Verbrennungen am Unterschenkel zugezogen hatte. Die mussten wir auch versorgen.“
Apothekerhilfsorganisationen unterstützen vor Ort
Mehrere weltweit tätige Apothekerhilfswerke sind für die Menschen im Erdbebengebiet in der Türkei und in Syrien im Einsatz. Diese Hilfsorganisationen der Apothekerinnen und Apotheker rufen seit Februar zu Spenden auf, um in den Erdbebengebieten schnelle pharmazeutische Nothilfe leisten zu können. Lokale Partnerorganisationen könnten die Erdbebenopfer bereits teilweise mit Lebens-, Verband- oder Arzneimitteln versorgen, berichtet der Apothekerverband ABDA. Parallel dazu werden in Deutschland Materialien und Geräte organisiert, um sie in die betroffenen Gebiete zu schicken. Spenden nehmen z. B. „Apotheker ohne Grenzen Deutschland” und „Apotheker helfen” entgegen. Mehr unter www.abda.de.
Aydinkoc-Tuzcu sieht Hoffnung: „Ich habe noch nie so eine Hilfsbereitschaft erlebt. Egal, welcher Herkunft, Religion, Ethnie man angehört: Alle helfen zusammen – ob Türke, Kurde, Alevit, Assyrer, Araber. Das hat mich so berührt – mitten in der Katastrophe.“
von Angela Monecke
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