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Das Echt essen-Gasthaus im März: Der Landgasthof „Widmann“ überzeugt mit seinem unverstellten Charme, seiner guten Küche und seinem Preis-Leistungs-Verhältnis.
Resignierend registriert der renommierte Diabetes-Professor die kleine Kugel vor seinem Bauch – und sagt zu mir vorwurfsvoll: „Ich verstehe das nicht: Sie essen gerne gut, sind jünger – aber ich werde immer dicker, und sie werden immer schlanker“. Nun steht es mir nicht an, dem vielgefragten Festredner unzähliger Ärztekongresse Ratschläge zu erteilen – dabei sind es doch nur ein paar kleine Tricks, welche die Pfunde purzeln lassen, etwa beim Ausgehen.
Der Weg ist das Ziel: Fünf Kilometer sind es von Maisach nach Überacker
Natürlich verspätet war die S-Bahn von München ins rund 30 Kilometer entfernte Maisach, natürlich war der Bus schon weg (die Anschlüsse sind ja bei der Bahn die einzig pünktlichen Verbindungen). Aber anstatt mich zu ärgern, freute ich mich, dass ich nun die rund fünf Kilometer zum Ortsteil Überacker zu Fuß gehen musste. Bissig kalt war´s, also schneller laufen, sodass ich schon nach einer starken halben Stunde vor dem stattlichen Landgasthof „Widmann“ stand. Schnell ein Foto – und rein in die warme Stube: „Sie sind doch nicht etwa zu Fuß gekommen?“ fragte mich die Bedienung entgeistert. Ich fühlte mich diebisch ertappt, wie damals in New York, wo ich im Hotel nach der Treppe fragte, und der Portier dachte, ich sei ein Terrorist. Wer läuft, macht sich verdächtig.
Steht seit 127 Jahren hier: Landgasthof „Widmann“
Schnell fing sich die Bedienung aber wieder und stellte mir einen vollen Brotkorb hin. Und: Bin ich klüger als der ess-süchtige Diabetes-Professor? Natürlich nicht, ratzfatz putzte ich das Brot mit der herrlich gesalzenen Butter weg. Schon war der Vorteil des Laufens wieder weg. Dabei wäre es ein Leichtes gewesen, dieser vorhersehbaren Essattacke ein Schnippchen zu schlagen: Schlicht einen Apfel langsam kauend essen.
Verflogen waren aber alle Gedanken an Äpfel, als ich mich in Ruhe in dem bodenständigen Landgasthof mit seinen gemütlichen Holzwänden umschaute. Gegenüber ein Herrgottswinkel, neben mir eine Vitrine mit Bierkrügen, schön eingedeckte Tische – und eine charmant freundliche Bedienung, welche mir schnell die übersichtliche Speisekarte brachte. Schon mal gut, dachte ich, denn je kleiner die Karte, desto frischer wird meist gekocht.
Schön eingedeckte Tische | Traditionsreiche Bierkrüge |
Drei Gerichte wählte ich aus – und ich wurde nicht enttäuscht von Anna Schwarzmann, einer Köchin, die in den renommiertesten Häusern gelernt hat, die viele Preise errungen hat, es aber vorzieht in der bayerischen Provinz für ein gut bürgerliches Publikum zu kochen.
Ein prächtiger Auftakt für 12,50 Euro: Der von Anna Schwarzmann selbst marinierte Saibling in einer Gurkensalsa (Salsa spanisch für Sauce) mit einem pikant angemachten Salat, einer kleinen Rösti, einer wunderbar geschmorten Ofentomate – und als Delikatesse Limettenfilets. „Das sind spezielle Fingerlimetten“, erläuterte mir die Schwester von Anna Schwarzmann, welche den Service zupackend-souverän leitet.
Unter dem Salat „schwimmt“ der Saibling
Das Schönste, was eine Karotte werden kann: Eine mit Chili und Ingwer sensationell gut abgeschmeckte Suppe, die auch noch wunderbar aussieht. Delikate Stückchen vom Kabeljau runden das Gericht ab, das mit 4,90 Euro äußerst gästefreundlich kalkuliert ist.
Diese Suppe ess´ ich gern
Spätestens nach diesem Gericht wusste ich, dass sich der Weg nach Überacker gelohnt hat: Eine perfekt geschmorte Schulter vom Ochsen mit einer intensiven Rotweinsauce, auf den Punkt gegarten Gemüsen und Parmesangnocchi – und das alles für 21 Euro. Das Fleisch kommt vom „Gut Karlshof“ in Ismaning, das der Stadt München gehört – und das bekannt ist für seine artgerechte Tierhaltung. Gute Idee, dass sich die bayerische Metropole ein eigenes Gut leistet – in einer Zeit, wo die Apostel der Privatisierung möglichst alles öffentliche Eigentum verscherbeln wollen.
Best-bürgerlich: Geschmorte Ochsenschulter
Aufmerksam bin ich auf Anna Schwarzmann durch das Magazin der „Süddeutschen“ geworden, wo sie regelmäßig im Wechsel mit drei anderen Köchen ein Rezept vorstellt. Jüngst war das ein „Saures Kalbslüngerl“, von dem sie aber gleich schrieb, dass sie das nur für die Familie zubereitet. Natürlich habe ich trotzdem danach gefragt – leider ohne Erfolg. Und weil ich auch bei allen anderen Produkten genau wissen wollte, wo sie herkommen, kam plötzlich jemand ganz anderes an meinen Tisch, „die Tante“.
„Früher hatten wir hier mittags offen, und ich hab das gekocht, was die Leute so gerne haben, eben das Lüngerl, den Schweinsbraten, die Semmelknödel“, sagte sie ein wenig wehmütig. Als ich ihr dann noch mein „TDM Traditionelle Deutsche Medizin“ zeigte, war sie ganz begeistert, meinte, „kommen sie mal wieder“.
Ein Dorado für Weintrinker ist das „Widmann“. Selten habe ich eine so klug zusammengestellte Karte gesehen. Sehr schöne Weine aus Deutschland, aber auch die großen Italiener, etwa Tignanello, die großen Franzosen, etwa Mouton Rothschild, sind hier zu erstaunlich günstigen Preisen zu trinken. Mir war das trotzdem zu teuer, ich begnügte mich mit dem ausgezeichneten Pils aus der nahen Brauerei Maisach zu 3 Euro. Es passiert ja ganz selten, dass in Bayern ein gutes Pils gebraut wird, doch die 450 Jahre alte Brauerei ist eine rühmliche Ausnahme. Allerdings: Zum Ochsen genehmigte ich mir doch noch einen herrlichen offenen „Douro Vale de Clara“ aus Portugal aus der großartigen Touriga-Rebe für 7 Euro.
Fazit: Auch wenn ich mir das Gasthaus noch „echter“, also mit noch mehr Produkten aus der Region und auch mit noch mehr authentischen wie dem Kalbslüngerl vorstellen könnte, lohnt sich dieses Gasthaus mit seinem unverstellten Charme, seiner guten Küche, seinem Preis-Leistungs-Verhältnis auf jeden Fall. Angenehm: Es gibt keinen Internet-Auftritt: „Wir sind ein Familienbetrieb“, lautet die lakonische Begründung von Anna Schwarzmanns Schwester.
Ach so, ich musste ja noch zurück: Also wieder fünf Kilometer laufen. Und weil bei der klugen Küche von Anna Schwarzmann kaum Kohlenhydrate aufgetischt werden, weil ich auch das Dessert weggelassen habe, war am nächsten Morgen auch mein Zuckerspiegel perfekt. Vielleicht lade ich den schwergewichtigen Diabetes-Professor ja mal ein, mit mir ins „Widmann“ zu gehen, laufend natürlich, so viel Praxis muss sein.
Mein heißersehntes saures Kalbslüngerl habe ich dann einige Tage später doch noch bekommen, nämlich im „Bräustüberl“ in Tegernsee. Das ist eine meiner Lieblingsadressen in Deutschland, eine urige bayerische Wirtschaft mit mehreren gewölbeartigen Sälen. Hier geht´s laut und derb zu, aber das aus der hauseigenen Brauerei stammende „Helle“ ist von einer seltenen Süffigkeit – und für die Größe des Lokals wird erstaunlich gut gekocht, etwa das saure Lüngerl vom Kalb mit einem prächtigen Knödel für 7,20 Euro – eine Riesenportion übrigens.
Lüngerl, igitt, sagen jetzt sicher manche. Nur, ich bin der Meinung, wer Fleisch isst, hat auch alle anderen Teile (nicht nur die Filets)von einem Tier zu essen, das gebietet der Respekt vor der Natur. Und wenn die Lunge so schön klein geschnitten in einer braunen Sauce serviert wird, ist´s schlicht ein Gedicht. Natürlich eines, das Sie sich nicht jeden Tag „aufsagen“ sollten. Obwohl: Die Kalbslunge enthält eine Menge Eiweiß, aber auch Vitamine und Vitalstoffe wie etwa Zink. Und im Gegensatz zu anderen Innereien halten sich auch die Gicht auslösenden Purine im Rahmen, werden durch den basisch wirkenden Essig sogar noch ausbalanciert. Also, wer´s mag, einfach mal probieren!
Für wagemutige Hungrige: Kalblslüngerl mit Semmelknödel
von Hans Lauber
E-Mail: aktiv@lauber-methode.de
,
Internet: www.lauber-methode.de
5 Minuten
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