Drei Jahre gegen ein ganzes Leben – Diabetesschicksale

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Drei Jahre gegen ein ganzes Leben – Diabetesschicksale

Meine Diabetesdiagnose liegt nun fast vier Jahre zurück und obwohl ich mittlerweile auf die positiven Seiten des Lebens blicke, denke ich auch noch oft an die schlimmsten Jahre meines jungen Lebens.
 Am 11.11.2011 wurde mir die Chance gegeben, weiterzuleben.
 Doch es gibt immer zwei Seiten der Geschichte, denn mein Leben hing damals an einem seidenen Faden und ich bin unglaublich dankbar, dass mir in dem Sinne nichts Schlimmeres passiert ist, als dass es mir 3 Jahre lang psychisch und körperlich schlecht ging.
 In letzter Zeit jedoch lese ich immer häufiger über Schicksale, die auch mich hätten treffen können.
Dann wäre ich nun nicht mehr hier, um diese Zeilen schreiben zu können. 
Natürlich bringen diese „Was-wäre-wenn“-Gedanken nichts außer Frust und Traurigkeit, allerdings machen sie mir auch bewusst, wie glücklich ich mich schätzen kann, dass ich in einem Land lebe, in dem die Mediziner mit den Symptomen von Diabetes in der Regel vertraut sind.

Fläschchen mit blauem Deckel retteten mein Leben

In den USA, wo ich erstmals diagnostiziert wurde, sieht das Ganze schon anders aus. Hier stehen Fehldiagnosen an der Tagesordnung, was bei dem Gesundheitssystem vermutlich nicht überrascht. Doch über die Konsequenzen wird meist erst nachgedacht, wenn man bereits mittendrin steckt. Mit 17 hatte ich, um ehrlich zu sein, sowieso keine Ahnung vom Gesundheitssystem in den Staaten, warum auch, ich war schließlich noch jung und hatte eine Auslandskrankenversicherung, was sollte mir schon passieren. Damals war ich bereits seit zwei Monaten in den Staaten, der Aufenthalt war bis dahin wirklich schön, nur die vielen neuen Eindrücke und die fremde Sprache schienen mich zu ermüden. Ich war eigentlich immer müde und konnte keine Kraft für die am Nachmittag stattfindenden Sportprogramme aufbringen, abends ging ich bereits früh zu Bett. Manchmal war mir schwindelig und in den Pausen wurde mir oft schwarz vor Augen. Doch erst, als ich eine Grippe dazubekam, ging ich zum Arzt. Dieser verschrieb mir Erkältungssaft und Bettruhe und ich war mir sicher, dass all die vorherigen Symptome nur Voranzeichen der Infektion waren. Doch mein Gesundheitszustand verschlechterte sich.

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Quelle: Lea Raak

Im Nachhinein betrachtet liegen all diese Erinnerungen im Nebel, was ich weiß, ist, dass ich immer mehr an Kraft verlor, immer dünner wurde und oft umgekippt bin. Zwischendurch hatte ich Erinnerungslücken und damit kam die Angst, sie heftete sich an mich und machte alles noch schlimmer.Mein Arzt wollte mir nicht glauben, dass es mir wirklich schlecht ging. Es läge bestimmt am Heimweh und ich würde mir all das nur einbilden. Ich sollte es doch mal mit Nährstoffshakes versuchen.Die kleinen Fläschchen mit dem blauen Deckel retteten mir vermutlich das Leben.Den Tag der Diagnose hatte ich bereits im Bett verbracht, mir war übel, ich konnte nichts essen, nur eine Menge trinken. Als meine Gastmutter mir die Drinks brachte, bekam ich die Flüssigkeit gerade so herunter.

Drei Jahre gegen ein ganzes Leben

Ich weiß nicht mehr, wie viel Zeit verstrich, bis mir so schwindelig wurde, dass ich die Augen nicht mehr offen halten konnte. Ich war zu schwach, um nach meiner Gastfamilie zu rufen, hatte aber Glück, dass mein Gastbruder gerade ins Zimmer kam. Ich versuchte meinen Blick auf einen Punkt im Raum zu fixieren, aber es klappte nicht. Ich hatte das Gefühl, nicht genug Luft zu bekommen, mein Körper kribbelte, mein Gastvater trug mich ins Auto.
 Im Krankenhaus wurden alle möglichen Tests veranstaltet und endlich auch Blutzucker gemessen. Natürlich war der Wert viel zu hoch. Vermutlich hatte ich auch Ketone im Blut, das wurde aber nie überprüft.

Doch auch danach ging es nicht aufwärts. Kein Bolusinsulin, keine Schulung, nur den Hinweis, keine Kohlenhydrate mehr zu mir zu nehmen. Nach zwei Monaten Leid entschloss ich mich dann schweren Herzens, nach Deutschland zurückzukehren. Mein Schicksal aber ist nur eines von vielen schlimmen Schicksalen in der Diabeteswelt. Meine Geschichte eine der wenigen, die gut ausgegangen sind. Was sind schon drei Jahre, die ich verloren habe, gegen ein ganzes Leben?

Der Fall von Kycie Terry

Leider hatte nicht jeder so viel Glück wie ich und ich möchte mit diesem Beitrag den Menschen Tribut zollen, die ihr Leben durch Typ-1-Diabetes verloren haben.

Eine von ihnen ist Kycie Terry, ein erst fünfjähriges Mädchen. Auch bei ihr stellten die Ärzte eine Fehldiagnose, sie bekam Antibiotika für ihre Halsentzündung. Erst, als es ihr immer schlechter ging und sie im Stundentakt erbrach, wurde sie fünf(!) Tage, nachdem die Symptome auftraten, mit einem Blutzucker von über 1000 mg/dl (55,6 mmol/l) in eine Kinderklinik geflogen. Auf dem Weg dorthin erlitt sie mehrere Krampfanfälle, die ihr Hirn irreparabel schädigten. Nach einem langen Kampf erlag sie am 12. Juli 2015 ihren schweren Verletzungen. Ihre Familie erstellte eine Facebookseite, „Kisses for Kycie“, um über Typ-1-Diabetes und die Symptome aufzuklären. Die Beiträge sind wirklich nur schwer zu ertragen, all die Erzählungen und ähnlichen Schicksale brechen mir das Herz. Trotzdem finde ich es bewundernswert und richtig, dass die Familie auch nach dem untröstlichen Verlust ihrer Tochter weitermacht. Kycies Geschichte konnte so schon vielen anderen Kindern das Leben retten.

Harmlose Grippe statt Diabetes

Auf meiner Suche nach ähnlichen Erlebnissen stieß ich auf einige Artikel über Falschdiagnosen bei Diabeteserkrankungen und musste feststellen, dass es in den Staaten anscheinend gang und gäbe ist, die Symptome wie Abgeschlagenheit, Bauchschmerzen, Erbrechen und den ständigen Durst als harmlosen Infekt abzustempeln. Das hat natürlich furchtbare Konsequenzen. Wissen wir doch alle, dass Erbrechen häufig ein Anzeichen von einer beginnenden Ketoazidose ist, die nicht behandelt zum diabetischen Koma führt. Man mag gar nicht daran denken, was mit Diabetikern in weniger fortschrittlichen Ländern als den Vereinigten Staaten passiert. Das macht mich sehr traurig, aber gleichzeitig auch wütend. Denn viele dieser Schicksale hätten verhindert werden können, würde noch besser und intensiver aufgeklärt werden.

Nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch in der Medizin. Jede Krankenschwester, jeder Pfleger und jeder Arzt sollte die typischen Symptome von einer neuauftretenden Diabeteserkrankung kennen. Für mich ist Deutschland da ziemlich gut dabei, auch wenn es gewiss noch nicht als Vorzeigeland fungieren kann. Auf Stationen, die sich nicht mit Diabetes beschäftigen, sieht es mit dem Wissen nämlich eher lau aus. Trotzdem habe ich noch nichts von falschen Diagnosen im deutschen Raum gehört, Typ 1 und 2 aufgrund fehlender Antikörper im Blut zu vertauschen, mal ausgenommen.

Was wir für diese Menschen tun können: nicht mit dem Aufklären aufhören, egal wie blöd die Fragen sind. Denn schon ein aufgeklärter Mensch mehr kann Leben retten. Denkt an Kycie.

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