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„Boah, ich bin gerade total unterzuckert!“ Seid ihr auch immer versucht, ein wenig die Augenbrauen hochzuziehen, wenn ihr diesen Satz aus dem Mund von jemandem hört, der keinen Diabetes hat? Klar, auch Stoffwechselgesunde bekommen schon mal weiche Knie, wenn sie über einen längeren Zeitraum das Essen vergessen oder sich körperlich verausgabt haben. Wenn man in so einem Moment ihren Blutzucker messen würde, bekäme man auf dem Display des Messgeräts vermutlich auch tatsächlich einen ziemlich niedrigen Wert angezeigt. Und doch ist es nicht dasselbe wie eine waschechte Diabetes-Hypo. Denn bei stoffwechselgesunden Menschen setzt im Falle sinkender Glukosewerte zuverlässig eine hormonelle Gegenregulation ein. Diese hebt den Zucker wieder auf ein sicheres Niveau an. Wer Diabetes hat und Insulin spritzt, der kann sich auf eine solche Gegenregulation nicht verlassen. Eine Hypoglykämie bedeutet bei ihnen im schlimmsten Fall: Glukosewerte im freien Fall. Und das fühlt sich einfach beschissen an.
Und dieses „beschissen“ empfindet jeder ein wenig anders, wie die Session zum Thema Hypos beim Diabetes-Barcamp gezeigt hat. Katrin Kraatz hatte sie angeregt, weil sie sich immer wieder fragt, wie sie ihrem Umfeld besser begreiflich machen kann, was bei einer Hypo mit ihr passiert. Mit Worten stößt man rasch an die Grenzen des Erklärbaren, fanden auch die anderen Typ-Einser im Raum. „Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll, aber kennt ihr dieses Gefühl, wenn bei einer Hypo so ein saures Ziehen hier im Unterkiefer einsetzt?“ Kopfschütteln bei den meisten, aber eine Frau meldete sich tatsächlich: „Ja, ich kenne das Gefühl! Oh, ich freue mich immer so sehr, wenn ich in einer Runde Typ-Einser mal jemanden treffe, der das genauso wie ich empfindet!“
Mein ganz persönliches Hypo-Gefühl scheint noch ein bisschen seltener zu sein. Denn nach meiner Beschreibung schaute ich sogar bei den anderen Typ-Einsern in ratlose Gesichter: Bei mir machen sich Zuckerwerte im Sinkflug nämlich zuallererst im Bauch bemerkbar. Ich spüre ein diffuses Ziehen an der hinteren Magenwand. Es fühlt sich nicht wie Heißhunger oder Magenknurren an, sondern etwas subtiler, aber dafür großflächiger. Schwer in Worte zu fassen – aber zum Glück für mich ein recht eindeutiges Signal, dass ich in Kürze mit zittrigen Knien und einem Schweißausbruch rechnen muss, wenn ich nicht ganz fix etwas Süßes einwerfe. Wobei der Schweiß meist an den Haarwurzeln startet und sich dann an meinem Körper hinab nach unten vorarbeitet. Bis ich am Ende klatschnass geschwitzt bin und unter die Dusche muss.
Andere berichteten, dass sie bei einer Hypo albern werden und jede Menge dummes Zeug quasseln. Dass sie still werden und sich nicht mehr konzentrieren können, weil der Kopf auf einmal ganz leer ist. Dass sie auf einmal eine Fressattacke haben und hinterher beschämt nachzählen, wie viele Kohlenhydrate sie da um alles in der Welt in sich hineingestopft haben. Dass sie auf alles Mögliche reagieren, nur nicht auf die Aufforderung, jetzt bitte schnell die angebotene Capri-Sonne zu trinken. Dass sie zickig, manchmal sogar aggressiv werden und ihrem Gegenüber Dinge an den Kopf werfen, die ihnen später leid tun – eine Hypo-Begleiterscheinung, die vor allem im Job schnell unangenehm werden kann. Dass sie mit stierem Blick die Hypohelfer-Schublade ansteuern und Stück für Stück den gesamten Inhalt auf den Boden werfen, ohne auch nur ein Gramm Kohlenhydrate zu sich zu nehmen. Dass sie sich einmal durch das gesamte Haribo-Sortiment futtern und den Eindruck haben, alles schmecke salzig. Dass sie lange glaubten, sie hätten Migräne – bis ein CGM offenbarte, dass die Kopfschmerzen am Morgen immer auf eine nächtliche Hypo folgten. Die Liste ist lang – und natürlich längst nicht vollständig.
Und deshalb entstand beim Barcamp die Idee, ein Aufklärungs-Projekt rund um das Thema Hypo zu starten. Unsere erste Idee: Wir entwickeln einen Hypo-Simulator. Wer immer schon einmal wissen wollte, wie sich eine Hypo wirklich anfühlt, der steigt ein, wird verkabelt und darf anschließend ein paar gruselig-lehrreiche unterzuckerte Minuten erleben. Vielleicht wäre so ein Hypo-Simulator sogar jahrmarkttauglich? „Jetzt einsteigen, es sind noch Plätze frei, einmal Hypo 3 Euro!“ Allerdings dürften klassische Instrumente der Aufklärung wesentlich leichter umzusetzen sein. Sprich: Broschüren, Online-Infos, Flyer, Videos. Informationen, die man neuen Bekanntschaften oder auch Arbeitskollegen in die Hand drücken und ihnen sagen kann: „Hier, schau dir das mal an, darin ist ganz gut erklärt, was bei Hypos mit einem passiert!“
Und so entstand in unserer engagierten Runde die Idee zu „100 Gesichter, 100 Hypos“. Wir wollen unseren Mitmenschen zum einen erklären, was aus medizinischer Sicht bei einer Unterzuckerung im Körper passiert. Und dann wollen wir ihnen in einer Kombination aus Text und Video vermitteln, wie sich eine Hypo anfühlt. Es muss auch nicht ganz bierernst zugehen: Wer im unterzuckerten Zustand schon einmal besonders schräge Sachen angestellt hat, darf ebenfalls seine Geschichte erzählen. Die 45-minütige Session bei einem Barcamp reichte natürlich nicht aus, um ein ausgereiftes Konzept für das Aufklärungs-Projekt zu entwickeln. Doch die Idee finde ich klasse und würde auch gern aktiv daran mitwirken. Geht es euch auch so? Habt ihr Lust, einmal in Text, Bild und Video zu beschreiben, wie sich Hypos für euch anfühlen?
Hier könnt ihr euch die Hypo-Session vom #Diabetesbarcamp noch einmal ansehen.
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