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Ach du schöne Sommerzeit. Draußen ist es warm und sonnig. Die Stimmung immer im Dauerhoch, denn die Sonne bräunt die Haut und Eis und Bier kühlen von innen. In den WG-Zimmern und Wohnungen wird es langsam zu heiß. Die Leute strömen zum Badestrand, in Biergärten und Eisdielen. In den Parks wird gegrillt, gefeiert, gelacht. Zu zweit, dritt, viert … zu zehnt … Aus den offenen Fenstern strömt nachts laute Musik. Man lädt zu sich ein und jeder bringt jemanden mit.
Haben wir uns diese schöne Zeit nicht auch verdient? Saßen wir nicht alle monatelang brav zu Hause und haben unsere Liebsten nur über Skype gesehen und natürlich immer ordentlich die Hände gewaschen? Haben wir nicht ständig Mundschutz getragen und Abstand gehalten? Ist es nicht endlich Zeit, die Anspannung zu vergessen und den Sommer zu genießen?
Gern würde ich diese Frage mit Ja beantworten, aber so einfach ist das leider nicht. Denn wenn ich so durch Leipzig laufe und sehe, wie wenig noch auf Schutzmaßnamen geachtet wird, dann bekomme ich ein sehr mulmiges Gefühl. Ich will hier niemanden belehren oder verurteilen. Aber als Typ-1-Diabetikerin könnte ich nun einmal Teil der Risikogruppe sein und habe bei all dem sommerlichen Treiben so meine Bedenken.
Covid-19 hat uns alle in eine absolute Ausnahmesituation gebracht. Wir wissen auch jetzt noch relativ wenig über dieses Virus. Aber durch Lockdown und andere Schutzmaßnahmen konnten wir ein Horrorszenario, wie z.B. in Italien, abwenden. Doch verhältnismäßig wenige Fälle und schwere Verläufe, sowie kürzliche Lockerung der Schutzmaßnahmen, haben meiner Meinung nach zu früh dazu geführt, dass wir dieses Virus nicht mehr allzu ernst nehmen. Das merke ich nicht nur an den vollen Bars, Cafés, Badestränden und Parks, sondern auch an meinem eigenen Verhalten.
Zu Beginn der Pandemie war ich meiner Angst einfach ausgeliefert. Ich hatte teilweise so große Angst vor einer Infektion mit dem Virus, dass ich nicht einmal mehr selbst einkaufen gegangen bin. Meine Panikstörung war nach 2 Jahren Therapie wieder auf dem aufsteigenden Ast und ich konnte an kaum etwas anderes denken als den Fakt, dass, wenn es mich „erwischen“ sollte, ich mit erhöhter Wahrscheinlichkeit unter einem schweren Verlauf der Krankheit leiden würde. Corona war für mich quasi überall und die Zukunft so ungewiss, dass ich nur Herzrasen bekommen habe, wenn ich an den nächsten Tag gedacht habe. Das Einzige, was mir Stück für Stück eine gewisse Sicherheit zurückgab, waren die Schutzmaßnahmen der Regierung, denn jetzt mussten sich alle daran halten, um die Risikogruppe zu schützen, der ich nun einmal aus meiner Sicht angehöre.
Und jetzt? Mehr Lockerungen, mehr Angst? Nicht ganz. Ich muss zugeben, im Nachhinein betrachtet war meine Angst vor einer Corona-Infektion schon übertrieben. Aber ich glaube, damit war ich nicht allein. Viele von uns waren einfach überfordert – alles stand plötzlich still und drehte sich 24/7 nur um dieses neue Virus. Es gab einfach zu viele Fragen und zu wenige Antworten.
Auch ich gehe wieder einkaufen, treffe mich mit Freunden und setze mich in Parks und Biergärten. Denn auch ich sehne mich wieder nach etwas Normalität und weniger Angst und Anspannung. Doch nichtsdestotrotz hat all das immer noch einen sehr bitteren Beigeschmack. Sorgenfreies Abhängen mit Freunden ist für mich nicht möglich. Ständig muss ich mich fragen: Wo gehen wir hin? Kann man da draußen sitzen? Ist es dort voll? Mit wie vielen Leuten treffen wir uns?
Ständig muss ich Entspannung, soziale Kontakte und Sommer-Spaß mit meiner eigenen Gesundheit aufwiegen. Das bringt mich immer wieder in Situationen, in denen ich mich einfach unwohl fühle und nicht weiß, wie ich mich entscheiden soll. Der Lockdown und die Ungewissheit zu Beginn der Pandemie haben hart ((besser: stark ?)) an meiner Psyche genagt. Meine Depression und Angststörung waren seit 2 Jahren nicht mehr so präsent wie in den letzten Monaten. Mich weiterhin einzusperren, um eine mögliche Infektion zu verhindern, würde ich psychisch nicht mehr aushalten, ohne einen massiven Rückfall zu erleiden, da bin ich mir sicher. Ich stecke quasi in einer Dilemma-Situation, die ich allein nicht lösen kann.
Deshalb wäre es für mich und auch für andere, die in einer ähnlichen Situation stecken, so wichtig, dass wir eben nicht so tun, als hätten wir Corona überstanden, als könnten wir jetzt alle wieder sorgenfrei unseren Alltag bestreiten. Es gibt immer noch Maßnahmen, die wir einhalten müssen, um uns gegenseitig zu schützen und zu unterstützen. Allein können wir in so einer Ausnahmesituation nicht viel bewirken, wir müssen uns aufeinander verlassen können. Jetzt ist meiner Meinung nach der allerschlechteste Zeitpunkt, egoistisch zu sein. Ich habe es satt, gesagt zu bekommen: „Dann bleib doch einfach zu Hause.“ Meiner Meinung nach sind solche Aussagen schlichtweg ignorant. Ich gehöre zwar meiner Ansicht nach zur Risikogruppe, aber das bedeutet nicht, dass ich für meinen Schutz allein verantwortlich bin. Jeder von uns hat das Recht auf soziale Kontakte, Ausgehen und, draußen zu sein, auch die, die zu einer Risikogruppe gehören. Der Schlüssel liegt für mich darin, sich seiner eigenen Verantwortung bewusst zu sein, damit wir alle gemeinsam diesen Sommer genießen können.
#BSLounge-Autorin Kathy hat ein Interview mit Hannah Kohler, Ärztin in der Ambulanz der LVR-Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Universität Duisburg-Essen zur aktuellen Situation geführt: Die psychische Belastung durch die Coronapandemie: ein Thema für die Forschung
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