DDB-Podiumsdiskussion: „Auge um Auge!“

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DDB-Podiumsdiskussion: „Auge um Auge!“

“Auge um Auge!” hieß eine spannende Podiumsdiskussion des Deutschen Diabetiker Bunds (DDB, www.diabetikerbund.de) beim 2. Deutschen Diabetiker Tag im Rahmen des Patienten-Forums.

Rund 3 Mio. in Deutschland von diabetischer Retinopathie betroffen

Augenerkrankungen sind eine häufige Folgeerkrankung des Diabetes. In Deutschland sind rund 3 Mio. Diabetespatienten von einer diabetischen Retinopathie betroffen, die unbehandelt zur vollständigen Erblindung führen kann.

Aktueller Anlass für die rund einstündige Debatte zwischen Augenärzten, Kassenvertretern, Patientenorganisationen und Betroffenen ist ein neuer Facharztvertrag der AOK Baden-Württemberg mit Augenärzten: Darin sollen die Ärzte mit einem Bonus belohnt werden, wenn sie von Blindheit bedrohte Menschen das noch nicht zugelassene Medikament Avastin verabreichen.

Ablehnung wegen des Sicherheitsrisikos

Der Deutsche Diabetiker Bund (DDB), der DDB-Landesverband Baden-Württemberg und die Selbsthilfeorganisation Pro Retina Deutschland , eine Selbsthilfeorganisation von Menschen mit Netzhaut-Degenerationen, lehnen den Vertrag strikt ab. In Frankreich und Italien wurde das Präparat aufgrund seines Sicherheitsrisikos und der häufig auftretenden Entzündungen am Auge verboten.

Avastin (Bevacizumab, Hersteller: Roche) ist ursprünglich ein Krebsmedikament, das heute in der Behandlung der altersbedingten Makuladegeneration (AMD) eingesetzt wird. Bislang erhielten AMD-Patienten das zugelassene Arzneimittel Lucentis (Wirkstoff: Ranibizumab, Hersteller: Novartis), das aber teurer ist. Beide Präparate werden ins Auge gespritzt.

Sollen Ärzte und Patienten unter Druck gesetzt werden?

Michael Denkinger (DDB-Medienbetreuung): “Als ‚Mogelpackung‘, die Ärzte und Patienten unter Druck setzt, wenn es darum geht, sich für eine nicht zugelassene Therapie zu entscheiden, bezeichnete Ute Palm, stellvertretende Vorsitzende von Pro Retina Deutschland, das Vorhaben”, stieg der Moderator in das Thema ein – selbst Vater eines 9-jährigen mit Typ-1-Diabetes. “Welchen Ausweg gibt es?” fragte er.

“Nicht zugelassen ist nicht illegal”

“In Deutschland haben wir immer noch Therapiefreiheit, es wird kein Arzt unter Druck gesetzt”, sagte Prof. Dr. Norbert Bornfeld vom Zentrum für Augenheilkunde in Essen. “Man muss auch ganz klar sagen, dass die Verwendung eines nicht zugelassenen Medikaments nicht verboten ist.” Ohne Arzneimittel, die nicht zugelassen sind, wäre manche Krankheit nicht behandelbar, so Bornfeld.

Dies betrifft vor allem die Kinderheilkunde, bei der überwiegend Medikamente eingesetzt werden, für die es bei jungen Patienten keine Zulassung gibt. “Nicht zugelassen ist nicht illegal”, so der Augenarzt.

„Patienten-Arzt-Verhältnis wird so geschädigt“

Warum plant die AOK Baden-Württemberg einen solchen Vertrag? In Niedersachsen habe es in einer anderen Sache schon mal eine ähnliche Situation gegeben, erklärte Jörg Reytarowski von der AOK Niedersachsen – nur umgekehrt. Augenärzte hätten versucht, Druck zu machen, “damit wir Verträge abschließen, die ein höheres Honorar für Ärzte bringen”, sagte er. Das niedersächsische Sozialministerium hatte dies seinerzeit untersagt.

Patienten in den Nachbarländern Bremen und Nordrhein-Westfalen erhielten Avastin. Zudem hätten einzelne Kassen in Niedersachsen Verträge dazu abgeschlossen.

Ute Palm kritisierte, dass das Patienten-Arzt-Verhältnis durch solche Verträge beschädigt wird: “Der Patient soll unterschreiben und weiß gar nicht, um was es geht.” Eine “sehr wichtige Angelegenheit” sei auch der ganze Hilfsmittelbereich – “die Kassen müssen verstehen: Was ist für einen Menschen, der hochgradig sehbehindert oder erblindet ist, wirklich nötig, damit er ein freies, selbstbestimmtes Leben führen kann?”

Fürsprecher der Patienten

Der DDB-Bundesvorsitzende Dieter Möhler sprach aus Sicht der Menschen mit Diabetes: “Wir müssen befürchten, dass ohne Beteiligung der Patienten aus Kostengesichtspunkten Verabredungen zwischen Kostenträgern und Behandlern über den Einsatz einer Medikation getroffen werden, auf die der Patient letztendlich keinen Einfluss mehr hat”, sagte er.

“Wenn man Patienten aus Kostengründen ein nicht zugelassenes Medikament verabreicht, setzt man ihn einer Gefährdung aus. Wir als Patientenorganisation DDB sind die Fürsprecher der Patienten, denn wir wollen nicht, dass sich die Facharztverträge verbreiten. Gerade im Bereich der Qualitätssicherung stellen wir hier Defizite fest, und es treten Patientengefährdungen ein.”

Patienten detailliert aufklären

Der Augenarzt Dr. Christian Flöhr vom Klinikum Region Hannover sagte: “Ich bin in der Klinik angestellt und habe nichts davon, ob ich nun Avastin oder Lucentis verschreibe.” Jeder Patient werde detailliert über die Medikamente aufgeklärt. “Dafür nehmen wir uns viel Zeit und sind zudem rechtlich dazu verpflichtet.” Die Darreichungsform sei die gleiche: Das Präparat wird dem Patienten ins Auge gespritzt. In der Infektionsgefahr als auch bei Komplikationen könne er keinen Unterschied zwischen den beiden Arzneimitteln feststellen.

Für ihn sei es auch völlig verständlich, dass die Kassen gleichwertige, kostengünstigere Medikamente, bevorzugen.Der Kritikpunkt sei ein anderer: Bei einem zugelassenen Medikament, bei dem unvorhergesehene Komplikationen auftreten, übernehme der Hersteller die Produzentenhaftung. Bei Avastin sei dem nicht so.

Für eine potenzielle Gefährdung gebe es also keine finanzielle Abdeckung. “Was, wenn sich in 5 Jahren herausstellt, dass das Mittel eine bestimmte Komplikation hervorruft, die man heute noch nicht kennt?” fragte er. “Das muss der Patient wissen, erst dann kann er sich entscheiden.”

Schwierige praktische Umsetzung

Diskutiert wurde auch die praktische Anwendung der Präparate, die bis zu 7-mal im Jahr gespritzt werden müssen, um einen Behandlungserfolg zu erzielen. Kontroll-, Injektions- und Nachuntersuchungstermine finden bis zu 30-mal jährlich statt. Ältere Patienten, die schlecht sehen und z. B. in ländlichen Regionen leben, sind dabei auf Begleitpersonen angewiesen, die sie zum Arzt bringen.

Auch fallen Zuzahlungen für Injektionen und Nachkontrolle an. Oft kommen die Patienten dann nur 3-mal zum Injizieren, was nicht ausreicht, um die ADM erfolgreich zu behandeln. Es sei immer noch nicht gelungen, diese Leistungen in eine Abrechnungsziffer zu gießen, so Jörg Reytarowski.

Der Grund liege u.a. in den Selektivverträgen der einzelnen Bundesländer, die daran kein Interesse hätten, da die Verträge für sie günstiger ausfallen. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber die Beihilfe für Fahrtkosten radikal reduziert, außer es handelt sich z. B. um einen stationsersetzenden Eingriff im Krankenhaus. Daher müssten alle Beteiligten daran arbeiten, die Situation zu verbessern.

Augenerkrankung zufällig entdeckt

Bei Walter Rinke von der Aktion Frei sein! (www.frei-sein-hannover.de) wurde der Grüne Star erst mit 32 Jahren zufällig entdeckt, als er mit seinem Auto beinahe jemanden überfahren hätte. Seine Augenerkrankung hat er jedoch schon von Geburt an. “Man kann Folgekosten ausschließen, wenn man Erkrankungen frühzeitig erkennt.”

Diabetiker-Warnhund als Hilfsmittel

Günter Schleifer, der sich selbst als “blinder Cowboy” bezeichnet, kam in Begleitung seiner Hündin “Luna”. “Ich habe das Glück im Unglück, dass ich durch meine Behinderung den Blindenführhund, der als Hilfsmittel gilt, von meiner Kasse gefördert bekomme.” Dank Luna könne er ein fast normales Leben führen. Der Hund begleite ihn sicher im Straßenverkehr und z.B. bei Arztbesuchen.

“Wir von der Aktion ‚Frei sein!’ setzen uns intensiv dafür ein, dass der Hilfsmittelkatalog auch auf den Diabetiker-Warnhund erweitert wird”, sagte er. “Wir werden auch über Spenden finanzierte Diabetiker-Warnhunde abgeben.” Das sei ein wichtiger Schritt. Man könne nicht immer nur über Kosten und Medikamente reden. Schleifer: “Hier geht es um die Zukunft von Menschen, die sehr stark betroffen sind und auch gefördert werden müssen.”


Angela Monecke

Kontakt:
Kirchheim-Verlag, Kaiserstraße 41, 55116 Mainz, Tel.: (0 61 31) 9 60 70 0,
Fax: (0 61 31) 9 60 70 90, E-Mail: redaktion@diabetes-journal.de

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2013; 62 (1) Seite 36-38

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