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„Sie haben morgen um 8 Uhr Ihren OP-Termin. Sechs Stunden vorher dürfen Sie nichts mehr essen, zwei Stunden vorher nichts mehr trinken.“ Klar, mir war schon vor dem Aufklärungsgespräch im Krankenhaus bekannt, dass man zu einer Operation unter Vollnarkose nüchtern zu erscheinen hat. Trotzdem: Bis zu diesem Satz der Anästhesistin am Tag vor der OP hatte ich mir über meinen Typ-1-Diabetes keine großen Gedanken gemacht bei dem geplanten Eingriff.
Jetzt aber ratterte es in meinem Kopf gleich auf mehreren Gleisen. Mir fiel zum einen siedend heiß ein: Seit ein, zwei Wochen sank mein Blutzucker in den Morgenstunden immer wieder in den Keller. Passiert das auch am OP-Tag, bevor ich einen Zugang gelegt bekomme, über den man nicht nur Insulin, sondern auch Glukose intravenös zuführen könnte, müsste ich essen oder trinken. Das wiederum würde bedeuten: Keine OP um 8 Uhr …
Mehr noch: Die Anästhesistin sagte, dass man zwar Erfahrung mit Diabetikern, kaum aber mit Pumpenträgern im OP habe. Folglich solle ich die Pumpe am besten abnehmen, sodass das OP-Team die Insulin- respektive Glukoseversorgung über den gelegten Zugang komplett übernehmen könne. Uuuuuh … das gefiel mir nicht. Ich trage seit 13 Jahren eine Insulinpumpe, seit fünf Jahren die Patchpumpe Omnipod. 24/7. Die Vorstellung, mehrere Stunden ohne meine gewohnte und geregelte Insulinquelle verbringen zu müssen, behagte mir gar nicht. Zumal ja auch vor der OP auf dem Weg bis in den OP-Saal und auch hinterher im Aufwachraum unkalkulierbare Zeit verstreicht, in der man ohnehin schon die Kontrolle abgeben muss – dann doch zumindest nicht auch noch sein Basalinsulin.
Und überhaupt: Diabetes verlangt Selbstmanagement. Erst recht, wenn man wie ich die Diagnose erst mit 21 Jahren bekommen hat, ist man es nicht gewöhnt, dass jemand anders den eigenen Blutzucker steuert. Die Anästhesistin und ich schlossen daher folgenden Deal: Ich fahre sehr vorsichtig, also mit weniger Insulin, in der Nacht vor der OP – „Lieber ein zu hoher als ein zu tiefer Blutzucker!“, reduziere dann am Morgen auf 10 Prozent Basalversorgung – und muss dafür die Pumpe nicht abnehmen.
Gesagt, getan. Ab 22 Uhr habe ich das Basalinsulin um 50 Prozent reduziert. Bis kurz vor Mitternacht sah es so aus, als ob ich mit 225 mg/dl (12,5 mmol/l) stabil ins Bett und durch die Nacht komme – einen höheren Wert hatte ich ja extra angepeilt, um nur ja nicht bis 8 Uhr morgens zu unterzuckern. Doch dann sank der Zucker auf einmal rapide ab. 200, 180, 140 mg/dl (11,1, 10,0, 7,8 mmol/l). Warum auch immer. Welcher Diabetiker kennt es nicht – man rechnet und plant bis ins Detail und trotzdem macht das Diabetes-Monster einfach manchmal, was es will. Vorzugsweise dann, wenn es besonders artig sein soll.
Also habe ich vorsichtshalber ein 2-BE-Brötchen um Mitternacht gegessen – bis 2 Uhr durfte ich ja essen – und den Wecker auf alle 30 Minuten bis morgens um halb sechs getimt. Eine überflüssige Maßnahme, ich war die ganze Nacht wach, habe um 1.15 Uhr und 2.15 Uhr sogar nochmal vorsichtig mit je 0,5 Einheiten korrigiert.
Auf dem morgendlichen Weg zum Krankenhaus lag mein Zucker dann bei 246 mg/dl (13,7 mmol/l). Hoch, aber besser als Unterzucker. Im Krankenhaus wurde ich auf der Station für die OP vorbereitet, habe die Pumpe wie besprochen auf 10 Prozent für die nächsten Stunden reduziert und FreeStyle-Libre-Messgerät und Handy mit Libre-App im Schrank verstaut. Genau wie den PDM des Omnipod. Ich ahnte: Mein Zucker nimmt mit nur noch 10 Prozent Basalinsulin ab jetzt noch mehr Bergfahrt auf – was ich dem Anästhesisten im OP noch kurz mitgeteilt habe, bevor ich als Letztes von ihm hörte: „Ich passe auf Sie auf!“, was ich mit „Danke“ quittierte. Dann war ich weg.
Und wachte knapp zwei Stunden später wieder auf. Die Schwestern teilten mir mit, dass man mir während der OP Insulin verabreicht habe und mein Blutzucker jetzt bei 110 (6,1) liege. Yes! Das klang gut. Doch dann habe ich nachgefragt – noch etwas drimselig: Wann wurde denn das Insulin genau gespritzt – und wie viel? Die Antwort: vor einer Stunde und 10 Einheiten. Hui! Eine Einheit senkt bei mir den Blutzucker um etwa 50 mg/dl (2,8 mmol/l). 10 Einheiten spritze ich mir sonst nur bei einer mächtigen Pizza – und dann als verzögerten Bolus. Und mein NovoRapid wirkt bis zu vier Stunden lang. Vermutlich wurde mir entsprechend viel Insulin verabreicht, weil ich schon so lange mit ansatzweise gar keinem Insulin unterwegs war, einen sehr hohen Blutzucker hatte und zudem der Insulinbedarf nach einem Eingriff erhöht sein kann.
Leider hat das Diabetes-Monster wieder zugeschlagen: Kurz darauf lag mein Blutzucker bei 58 mg/dl (3,2 mmol/l) – und so kam ich schon eine halbe Stunde nach der OP noch im Aufwachraum in den Genuss von Gummibärchen und Butterkeksen – parallel zu flüssiger Glukose via Tropf. 20 Minuten später: Immer noch unter 60 mg/dl (3,3 mmol/l), ich bekam noch mehr Glukose-Lösung. Und wurde unruhig. Immerhin lief mein Basalinsulin immer noch auf moderaten 10 Prozent und es war nur eine Frage der Zeit, bis ich wieder im oberen Extrem landen würde. Aber zurück auf die Station zum Messgerät und vor allem zum PDM des Omnipod konnte ich erst gebracht werden, als ich den tiefen Blutzuckerbereich verlassen hatte. Bei 188 mg/dl (10,4 mmol/l) durfte ich schließlich zurück. Dort habe ich nach der langen Fahrt durchs große (Kranken-)Haus sofort gemessen: 307 mg/dl (17,1 mmol/l) … egal. Basalrate wieder auf 100 Prozent gesetzt, Korrektur gespritzt, durchgeatmet.
Ach ja, die OP lief übrigens auch gut …
Habt ihr auch bereits Erfahrungen mit Diabetes und/oder Insulinpumpe unter Vollnarkose gemacht?
diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe hat eine Broschüre zum Thema „Mit Diabetes ins Krankenhaus“ herausgebracht: https://www.diabetesde.org/system/files/documents/broschuere_diabetes_krankenhaus_a5_2017_ok_ansicht.pdf
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