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„Kann ich dich was fragen?“
Der Diabetes klang unsicher und mied meinen Blick.
Verwirrt hielt ich inne. So kannte ich ihn gar nicht.
„Äh, ja, klar“, antwortete ich.
„Nun, also.“ Der Diabetes knetete nervös seine Hände. „Die Nachbarn in der Neuro haben erzählt, duhättestnachneuenstudiengesucht.“
Ich sah ihn verdutzt an, bis ich endlich den Sinn hinter dem schnellen Wortschwall verstand.
Und ja, das hatte ich. Nichts sonderlich Neues gefunden, aber ich hatte mich durch ein paar aktuelle Zeitungsartikel bezüglich Diabetesforschung gelesen.
„Das stimmt“, bestätigte ich also.
„Aber warum?“ Der Diabetes blickte mir endlich ins Gesicht. „Ich dachte, wir kämen jetzt miteinander klar. Warum willst du mich immer noch loswerden?“
Für einen Moment war ich überrascht, wie verletzt er klang.
Ich seufzte und unterdrückte das Bedürfnis, eine Hand tröstend auf seine Schulter zu legen.
„Zwischen uns läuft es besser, da hast du Recht. Aber manchmal, wenn ich überzeugt davon bin, dich wirklich vollkommen akzeptiert zu haben, da erwischt mich die Erkenntnis, dass du für immer bleibst, trotzdem erneut ganz kalt“, versuchte ich zu erklären. „Da liege ich abends im Bett und scrolle durch das Internet, nur, um auf einen Vater zu stoßen, dessen Tochter Typ-1-Diabetikerin ist und der ein paar Tage lang einen Dexcom-Sensor getragen hat, weil er neugierig war, wie der Zuckerverlauf bei einem Nicht-Diabetiker sein würde. Dann sehe ich diese wunderbare, glatte Kurve, die sich selbst von einer 80-g-Kohlenhydrat-Pizza nicht beirren lässt. Diese Kurve, für die andere nichts tun müssen, als einfach nur zu leben, und für die wir jeden Tag so viel Kraft und Energie hergeben müssen, nur, um sie doch nie so perfekt erreichen zu können.
Und dann? Ja, dann breche ich kurz in Tränen aus, weil mich für einen Moment wieder das Gefühl überkommt, wie unglaublich unfair das alles scheint. Dann bin ich wieder so aufgewühlt, als hätte ich erst gestern die Diagnose erhalten. Dann tut es wieder weh.
Denn das ist es, worauf es am Ende hinausläuft: Kein Jahr ist genug, um sich endgültig an dich zu gewöhnen. Man passt sich an, man lernt, damit zu leben, man hat keine Alternative.
Aber man vergisst dich nicht. Und das würde ich manchmal gerne. Einfach vergessen können.“
Der Diabetes schniefte. „Also schmeißt du mich jetzt raus?“
Ich lachte auf. „Nein, nein. Ich meine, wer weiß, vielleicht irgendwann. Aber ich würde behaupten, du bist noch eine Weile lang sicher.“
Heilung – ein Wort, an das ich erst sämtliche Hoffnungen gehängt habe, nur, um zu verstehen, dass es eher ein Spiel mit der Hoffnung ist. Heilung ist so unglaublich verlockend, denn es verspricht ein Enddatum statt eines Lebenslangs. Ein „Du musst nur so lange durchhalten und dann bist du erlöst“. Aber Heilung ist genau deswegen auch gefährlich – es ist keine Garantie. Eine Möglichkeit, vielleicht, aber eben auch nicht mehr. Tatsache hingegen ist, dass ich Diabetes habe. Heute, morgen und vielleicht eben tatsächlich bis zum allerletzten meiner Tage.
Das ist oft ein ernüchternder Gedanke. Aber er ist notwendig, denn mein Körper wird nicht auf eine potentielle Heilung in der Zukunft warten können. Er braucht mich jetzt. Ich muss mich jetzt genug um ihn kümmern, damit später noch genug von ihm übrig ist, sollten wir den Diabetes tatsächlich irgendwann loswerden können. Damit sich bis dahin nicht noch weitere unfreiwillige Bewohner eingenistet haben.
Das bedeutet nicht, dass ich komplett die Hoffnung aufgegeben habe. Dafür ist die Sehnsucht in manchen Momenten zu groß. Dafür lese ich Beiträge über neue Forschungsansätze mit zu viel Interesse. Und dann frage ich mich, wie lange ich wohl brauchen würde, um nicht mehr instinktiv nach der Kohlenhydratmenge auf einem Produkt zu schauen? Wie lange wohl, bis der erste Blick am Morgen nicht mehr meinem Zuckerwert gilt? Wie lange, bis Jahrzehnte voller Diabetes endgültig meinen Körper und meinen Geist verlassen?
An manchen Tagen brauche ich den Trost, den mir diese Vorstellungen schenken.
Und es gibt ja durchaus neue Entwicklungen. Bei meiner Diagnose damals klangen 24 Stunden Zuckerwerte auf dem Handy ohne Stechen in die Fingerbeere noch wie eine Illusion, jetzt könnte ich nicht mehr darauf verzichten. Loopen ist heute schon für viele normal geworden. Die Technik wird immer besser und genauer, kann ein Stück Lebensqualität zurückgeben. Vielleicht wird meine Bauchspeicheldrüse niemals mehr einen einzigen Tropfen Insulin produzieren, aber Diabetes wird trotzdem angenehmer.
Ideen gibt es immerhin zur Genüge, mal sehen, was davon tatsächlich funktionieren wird.
Aber ich erwarte nichts. Sollte die Heilung, in welcher Form auch immer, kommen, dann treffen wir uns alle und essen ein ganzes Wochenende lang Süßigkeiten. Sollte sie nicht kommen – nun, dann machen wir dasselbe und hauen uns danach eine ordentliche Portion Insulin hinein.
Hoffnung auf Heilung? Damit hat sich auch Katharina im Rahmen der Diabetes-Blogwoche beschäftigt: #DBW2019 – Tag 1: Heilung?!
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