4 Minuten
Die Europäische Gesellschaft für Diabetesforschung (EASD) traf sich zur 54. Jahrestagung vom 1. bis 5. Oktober in Berlin. 15 699 Teilnehmer aus über 120 Ländern diskutierten neue Ergebnisse der Diabetesforschung.
Ziele der EASD sind die Förderung und Unterstützung der Diabetesforschung sowie die schnelle Verbreitung des erworbenen Wissens. Genau dies passiert alljährlich auf dem „EASD“, dem weltweit größten internationalen Diabetes-Kongress – so auch im Oktober in Berlin.
Den Camillo-Golgi-Preis vergibt die EASD für ausgezeichnete Forschung zum Thema Folgeerkrankungen des Diabetes. Den Preis erhielt Prof. Peter Nawroth aus Heidelberg. Er machte darauf aufmerksam, dass die Kontrolle des Blutzuckers nicht bei allen Menschen Folgeschäden völlig verhütet und dass es auch einige Menschen gibt, die trotz erhöhter Blutzuckerwerte nur wenige Folgeerkrankungen bekommen. Deshalb sucht er nach anderen Ursachen, die Diabetesfolgen hervorrufen. Seine Forschung könnte zu Behandlungen führen, die wirksam solche Folgen vermindern.
Der Claude-Bernard-Preis ehrt das Lebenswerk eines Diabetesforschers. In Berlin erhielt ihn der Finne Prof. Jaakko Tuomilehto – berühmt für Arbeiten zur Vorbeugung des Typ-2-Diabetes durch gesunde Kost und mehr Bewegung. Er leitete die Finnische Diabetes-Präventionsstudie, die zeigte, dass eine „Lebensstiländerung“ das Auftreten des Typ-2-Diabetes vermindern kann.
Den Minkowski-Preis verleiht die EASD zu Ehren von Prof. Oskar Minkowski, dem Entdecker des Pankreasdiabetes und damit dem „Großvater“ der Entdeckung des Insulins. Minkowski starb 1931, sein Grab liegt nahe der Berliner Messe. Seine Witwe konnte 1939 gerade noch rechtzeitig nach Argentinien fliehen, finanziell unterstützt vom Mitentdecker des Insulins Charles Best. Minkowski war einer der vielen ausgezeichneten deutschen Forscher jüdischer Herkunft – ihrer zu gedenken ist heute aktueller denn je.
2010 war das Programm-Komitee zum EASD verblüfft – es tauchte erstmals eine Vortragsanmeldung mit unappetitlichen Methoden auf, die es bis dahin nur auf Darm-Kongressen gab: Übertragung des Darminhaltes von einem Menschen zum anderen, um den Einfluss der Darmbakterien auf den Stoffwechsel zu untersuchen. Mittlerweile ist daraus ein reger Forschungszweig geworden und: Jetzt gab es dafür den Minkowski-Preis.
Er ging an Prof. Fredrik Bäckhed aus Göteborg. Interessant, wie sich die Darmbakterien unter Medikamenten und Diäten verändern, wie das Erbgut unserer Mitbewohner in uns eindringt und in unseren Stoffwechsel eingreift. Ob allerdings Darmbakterien oder Viren ursächlich etwas mit der Entwicklung des Diabetes zu tun haben? Dafür gibt es bisher keinen Beleg.
Australische Forscher hatten bereits belegt, dass bestimmte Süßstoffe den Zuckerstoffwechsel ungünstig beeinflussen. Jetzt zeigten sie, dass dabei der Wirkung der Süßstoffe auf Darmbakterien Bedeutung zukommt. Bei Gesunden, die entweder ein Scheinmedikament oder eine Mischung der Süßstoffe Azesulfam und Sucralose erhielten, wurden die eher als gesund anzusehenden Lactobazillen und Bifidusbakterien seltener, dafür wuchsen andere Keime. Das führte zu mehr Aufnahme von Zucker aus dem Darm – ein Grund mehr, auf Süßstoffe zu verzichten.
Ein kleines Gerät (MedAngel ONE) misst die Temperatur in der Nähe der Insulinfläschchen und Pens und überträgt sie auf eine App. Dr. Katarina Braune aus der Kinderklinik der Charité in Berlin präsentierte Ergebnisse von Patienten, die mit dem Gerät die Temperatur in der Nähe ihres Insulins über lange Zeit gemessen hatten. Bei 16,5 Prozent der Patienten kamen Temperaturen unter 0 °C vor. Am häufigsten war der Kühlschrank zu kalt. Also: Thermometer in den Kühlschrank, womöglich weniger kalt einstellen – das spart auch Strom!
Dr. Bernd Hagen (Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung, Köln) zeigte Ergebnisse des Disease-Management-Programms (DMP) in Nordrhein-Westfalen (NRW): Menschen mit Diabetes in Gegenden mit einem hohen Anteil sozial schlechter gestellter Einwohner (viele Arbeitslose, hoher Migrationsanteil) schaffen es seltener, die Angebote des DMPs wahrzunehmen. Dort sollte es mehr Schwerpunktpraxen und besondere Angebote für Migranten geben. Mittlerweile wurden im Rahmen der DMPs in NRW Daten von sehr vielen Menschen mit Diabetes gesammelt – in der Zukunft sind daraus mehr Ergebnisse zu erwarten.
Es bleibt natürlich bei der Empfehlung, zunächst für alle Betroffenen Patientenschulung verfügbar zu machen und dann Metformin einzusetzen. Danach empfehlen EASD und die Amerikanische Diabetes-Gesellschaft (ADA) jetzt angesichts neuer Studien:
Menschen mit bestehenden Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder erheblichem Risiko dafür sollen Medikamente bekommen, die in Studien bei diesen Patienten günstige Wirkungen gezeigt haben. Das sind die Mittel aus der Gruppe der SGLT-2-Hemmer und GLP-1-Rezeptor-Agonisten: SGLT-2-Hemmer senken den Blutzuckerspiegel, indem die Nieren mehr Zucker ausscheiden. GLP-1-Rezeptor-Agonisten machen die Wirkung des blutzuckersenkenden Hormons GLP-1 nach.
Von diesen Medikamenten sollten jene vorgezogen werden, für die bessere Studienergebnisse vorliegen. Das führt natürlich zu heißen Diskussionen unter den Fachleuten. Für die Mehrzahl der Menschen mit Diabetes, die ein nicht so hohes Herz-Kreislauf-Risiko haben, empfehlen ADA und EASD eine für jeden Patienten persönliche Auswahl aus der mittlerweile großen Zahl von Medikamenten. Dabei sollen Begleiterkrankungen, Körpergewicht, Verträglichkeit, Kosten und ganz besonders die Wünsche der Betroffenen eine Rolle spielen.
5 321 Patienten mit Typ-2-Diabetes aus dem schwedischen Diabetesregister wurden nach bariatrischer Chirurgie (Operationen des Magens bei erheblichem Übergewicht) über bis zu neun Jahre mit Menschen verglichen, die nicht operiert worden waren. Wie schon bekannt, wirkten sich die bariatrischen Operationen günstig auf den Blutzucker und auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen aus.
Allerdings kam es bei den Operierten häufiger zu Bauchschmerzen, Ernährungsstörungen, Blutarmut und psychiatrischen Erkrankungen. Dreimal häufiger als bei Nichtoperierten kam es zu Alkoholkrankheit. Die Autoren schlagen vor, Patienten in Kenntnis der Probleme nach der Operation intensiv zu betreuen.
Ambulant über mehrere Monate funktionieren jetzt „Closed-Loop-Systeme“: Von der „künstlichen Betazelle“ sind sie aber weit entfernt; das Insulin vor dem Essen muss noch vom Patienten entsprechend den geplanten Kohlenhydraten selbst dosiert werden. Dr. Martin Tauschmann aus Cambridge stellte eine Studie vor, die 46 Kinder und Jugendliche mit Typ-1-Diabetes und einem solchen System verglich mit 40 Kindern und Jugendlichen mit durch Sensor unterstützter Pumpenbehandlung.
Die Patienten mit künstlicher Betazelle lagen häufiger im Bereich normaler Glukosewerte. Das HbA1c war um 0,4 Prozent niedriger. Mit dem Gerät kann man einige Sorgen um das Selbstmanagement des Diabetes vergessen – besonders im Schlaf, denn der Vorteil zeigt sich besonders nachts.
In Europa gab es bisher keine starke, gemeinsame Stimme für Menschen mit Diabetes, Diabetesversorgung und Forschung. Die EASD hat das Europäische Diabetes Forum geschaffen, das sich für eine Verbesserung der Diabetesversorgung und Forschung in Europa einsetzt. Die Gründungsversammlung fand in Berlin unter Beteiligung vieler nationaler und internationaler Verbände statt.
Die EASD-Tagung ist im Internet verfügbar. Unter www.easd.org kann man fast alle Vorträge anhören. Der Zugang ist kostenfrei – als gemeinnützige Gesellschaft ist es das Ziel der EASD, neuste Erkenntnisse weltweit zur Verfügung zu stellen.
von Dr. med. Viktor Jörgens und Dr. med. Monika Grüßer
Director EASD/EFSD 1987 – 2015 (Jörgens)
Managing Director and Chief Medical Officer EASD (Grüßer)
E-Mail: Dr-Viktor-Joergens@t-online.de
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2018; 67 (12) Seite 38-40
5 Minuten
Geschichten, Gemeinschaft, Gesundheit: Der Diabetes-Anker ist das neue Angebot für alle Menschen mit Diabetes – live, gedruckt und digital. Der Diabetes-Anker und die Community sind immer da, wo du sie brauchst. Für alle Höhen und Tiefen.
Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.
Beliebte Themen
Ernährung
Aus der Community
Push-Benachrichtigungen