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Ein Klinikaufenthalt und eine Operation stehen bevor. Das bedeutet Stress – und der wirkt sich auf den Blutzucker aus. Wie kommen Menschen mit Diabetes sicher und möglichst ohne Komplikationen durch diese schwierige Zeit?
Emma L. hatte in den letzten Jahren 10 kg zugenommen. Bei den Voruntersuchungen zur Operation stellte der Klinikarzt einen erhöhten Blutzuckerwert fest (180 mg/dl (10,0 mmol/l). “Seit wann haben Sie den Diabetes?” fragte er. Dass sie überhaupt Diabetes hat, war Emma L. nicht bekannt. Der Arzt vermutete: “Wahrscheinlich stressbedingt – durch die Angst vor der Operation und vor den Schmerzen.”
Nach der Operation, die gut verlaufen war, hatte Emma L. aber immer noch Nüchternwerte um 140 mg/dl (7,8 mmol/l). Mit einer kleinen Dosis Metformin am Abend (500 mg) waren die Nüchternwerte sechs Wochen später wieder bei etwa 100 mg/dl (5,6 mmol/l). Sie konnte mittlerweile wieder regelmäßig spazieren gehen – und “lief ihrem Typ-2-Diabetes wieder davon”, so ihr Hausarzt. Aufgetreten war der Diabetes durch den Stress vor und während der Operation, aber auch durch die Gewichtszunahme in den letzten Jahren und die mangelnde Bewegung.
In Deutschland werden pro Jahr laut einer aktuellen Studie 2,1 Mio. Menschen mit Diabetes im Krankenhaus behandelt. Bei vielen ist der Diabetes als Nebendiagnose erwähnt. Diabetes muss in der Klinik unbedingt mitbehandelt werden, da erhöhte Blutzuckerwerte Komplikationen wie Wundheilungsstörungen, Nierenversagen oder auch Lungenentzündungen erst ermöglichen bzw. dramatisch verschlechtern.
Man geht auch davon aus, dass etwa 10 Prozent aller Patienten, die zur Operation eingewiesen werden und einen Diabetes haben, gar nichts davon wissen: Meist haben sie einen Prädiabetes (gestörte Glukosetoleranz/Zuckerverwertung).
Durch den Stress, den ein Krankenhausaufenthalt oder eine Operation mit sich bringt, gelangen vermehrt Hormone wie Glukagon, Adrenalin, Kortisol und auch Zytokine ins Blut und verursachen in der Leber eine erhöhte Freisetzung und Neubildung von Zucker. Insbesondere bei schwerkranken Menschen mit Diabetes, die auf der Intensivstation betreut werden, steigt dadurch das Risiko für Komplikationen. Das Risiko zu sterben, ist ebenfalls erhöht.
Auch Menschen, die bisher keine erhöhten Blutzuckerwerte hatten, haben plötzlich deutlich erhöhte Werte (über 180 mg/dl bzw. 10,0 mmol/l) und bedürfen einer besonderen Therapie und Überwachung, da auch bei ihnen durch Stress und Überzuckerung das Risiko für Komplikationen im Rahmen von Operationen steigt. Nicht selten wird auch durch eine stressauslösende Operation ein Diabetes neu entdeckt. Auch diese Patienten bedürfen einer besonderen Überwachung und ggf. Therapie, meist mit Insulin.
Um die Therapie von Menschen mit Diabetes oder Prädiabetes sicherer zu gestalten, muss ein Krankenhausaufenthalt gründlich vorbereitet werden. Besonders muss auf Medikamente geachtet werden: orale Antidiabetika (Zuckertabletten, z. B. Metformin, SGLT-2-Hemmer, DPP-4-Hemmer, Sulfonylharnstoffe) und Medikamente, die die Blutgerinnung hemmen, bei Asthma helfen oder mit denen Herzerkrankungen behandelt werden.
Für ASS (Acetylsalicylsäure), die gerade nach Herzinfarkt oder allgemein bei koronarer Herzkrankheit als Blutplättchenhemmer eingenommen wird, galt bisher, dass sie sechs Tage vor dem Eingriff abgesetzt werden muss. Dies gilt heute nicht mehr grundsätzlich: Viele Chirurgen operieren auch unter Aspirin. Ausnahmen sind in der Regel neurochirurgische Operationen. Dies sollte jedoch vorher unbedingt mit dem behandelnden Arzt im Krankenhaus oder dem Anästhesisten besprochen werden.
Metformin muss in der Regel 48 Stunden vor Operationen und Gabe von Kontrastmitteln abgesetzt werden. Eine Notfalloperation ist unter Metformin aber möglich. Abgesetzt werden müssen auch Sulfonylharnstoffe(z. B. Glibenclamid), da sie bis zu 50 Stunden nach der letzten Einnahme noch wirksam sein können. Andere orale Antidiabetika werden in der Regel am Vorabend des Eingriffs abgesetzt.
Die meisten Menschen mit Diabetes werden vor einer Operation und auch direkt danach von Tabletten auf Insulin umgestellt. Wird neu auf Insulin eingestellt, werden in der Regel kurzwirksame Insulinanaloga statt kurzwirksamen Humaninsulinen (Normalinsuline) verwendet, da sie kürzer wirken und deshalb besser steuerbar sind. Gibt es schon einen Insulinplan, wird dieser verwendet. Während der Operation, insbesondere bei größeren Eingriffen, wird das Insulin über einen Perfusor (Infusionspumpe) kontinuierlich zugeführt. Blutdrucktabletten sollten wie bisher eingenommen werden.
Bei z. B. Magen- oder Darmspiegelungen und anderen Untersuchungen, für die man morgens nüchtern sein sollte, spritzt man in der Regel die Hälfte der üblichen Mischinsulindosis oder nur das Basalinsulin und evtl. einen Morgengupf, das heißt etwa 10 Prozent der Gesamtmenge an kurzwirkendem Insulin für den Tag. Während des stationären Aufenthaltes im Krankenhaus sollte der Blutzucker regelmäßig kontrolliert werden.
Auch bei Insulinpumpenträgern kann die Basalrate unverändert fortgeführt werden. Korrigiert wird durch einen Bolus mit einem kurzwirkenden Insulinanalogon. Nach der Operation kann – wegen des Stresses – eine höhere Insulindosis nötig sein.
Dauert die Operation länger und ist kompliziert (eventuell mit anschließender Versorgung auf der Intensivstation), wird in der Regel die übliche Ernährung und Behandlung bis einen Tag vor der Operation beibehalten. Die oralen Antidiabetika werden bereits 1 bis 2 Tage vorher abgesetzt. Vor der Operation bleibt der Patient nüchtern.
Bei einer Insulinpumpentherapie wird die Pumpentherapie meist unterbrochen und der Patient erhält in der Regel eine Glukose-Insulin-Kalium-Infusion, wobei Blutzuckerkorrekturen bzw. die Gabe von Glukose durch regelmäßige Blutzuckermessungen gesteuert werden.
Wenn der Patient wieder seine erste reguläre Mahlzeit einnimmt, wird vorher wieder mit der subkutanen Insulingabe begonnen. Steht ein Diabetologe direkt zur Verfügung, kann die Pumpentherapie wie gewohnt weitergeführt werden.
Ziele während einer kurzfristigen Krankenhausbehandlung einschließlich Operation sind:
Die Empfehlung einer Blutzuckereinstellung zwischen 140 und 180 mg/dl (7,8 und 10,0 mmol/l) bei kritisch kranken Patienten stammt von der amerikanischen Diabetes-Gesellschaft (ADA) aufgrund zahlreicher Studien bei Patienten auf Intensivstationen.
Wünschenswert wäre es auch – gerade bei älteren Menschen mit Diabetes und häufigen Begleiterkrankungen (Multimorbidität) –, wenn die Patienten bereits 1 bis 2 Tage vor der Operation ins Krankenhaus aufgenommen werden könnten, um eine adäquate Narkosevorbereitung und z. B. auch die Art der Operation sowie das medikamentöse Vorgehen zu besprechen – so könnte das Risiko reduziert werden.
Da dies (aus Kostengründen!) nicht möglich ist, sollte bereits im Vorfeld gegebenenfalls über den Hausarzt mit der behandelnden Klinik Kontakt aufgenommen werden, um abzuklären, welche Form der Narkose für den Patienten unter Berücksichtigung bereits vorhandener Folgeschäden die richtige ist.
Nach der Operation sollten orale Antidiabetikaerst wieder mit der nächsten Hauptmahlzeit eingenommen werden und in der Regel erst dann, wenn die Patienten wieder selbst essen können, diese Kost sicher vertragen und keine anderen Gegenindikationen bestehen. Die eigenen Insulinschemata sollten unmittelbar nach der Operation, wenn wieder normal gegessen wird, benutzt und im weiteren Verlauf der neuen Situation ggf. angepasst werden.
Da auch Menschen mit Diabetes mit zunehmendem Alter häufig Begleiterkrankungen wie Vorhofflimmern haben oder auch eine Thrombose mit Lungenembolie hatten, nehmen sie häufig gerinnungshemmende Medikamente ein wie Marcumar, Faktor-Xa-Hemmer (Xarelto), Apixaban (Eliquis) oder Faktor-V-Hemmer (Dabigatran). Nach einer Operation können und sollen diese Medikamente wieder in Absprache mit dem behandelnden Arzt eingesetzt werden.
Die meisten Patienten, die bisher z. B. nach einer Hüft- oder Knieoperation vorübergehend Bauchspritzen zur Gerinnungshemmung (niedermolekulare Heparine) erhalten haben, bekommen heute moderne Gerinnungshemmer in Form von Tabletten unmittelbar nach der Operation. Diese werden so lange eingenommen, bis die Patienten wieder komplett mobilisiert sind, also nicht mehr im Bett liegen, und das Risiko für eine Thrombose weitgehend normal ist.
Im Zusammenhang mit der Medikamenteneinnahme sei noch einmal darauf hingewiesen, dass bei etwa 20 bis 40 Prozent der Patienten mit Typ-2-Diabetes im Laufe ihrer Erkrankung eine Nierenschwäche (Niereninsuffizienz) auftritt und dadurch Medikamente schlechter abgebaut werden. Gerade in Stresssituationen wie Operationen kann sich die Nierenfunktion dramatisch verschlechtern, weshalb in dieser Situation in der Regel orale Antidiabetika abgesetzt und durch Insulin ersetzt werden.
Um die Risiken bei kleineren, mittleren und auch größeren Operationen zu minimieren, ist eine normnahe Blutzuckereinstellung (140 – 180 mg/dl bzw. 7,8 – 10,0 mmol/l) während der gesamten Behandlungszeit sinnvoll bzw. erforderlich, da sich dadurch das Risiko für Komplikationen während und nach der Operation reduziert.
Welches Risiko z. B. durch eine Narkose besteht, muss unbedingt mit dem behandelnden Anästhesisten und ggf. mit dem Chirurgen besprochen werden. Dabei müssen Begleiterkrankungen und Vorerkrankungen berücksichtigt werden – und dafür ist meist eine enge Kooperation des Hausarztes bzw. des behandelnden Diabetologen mit der Klinik nötig. Auch die Weiterbetreuung ist unbedingt erforderlich, da sie die Prognose des Patienten mit verbessert.
Die enge Kooperation zwischen allen Beteiligten vor, während und nach der Operation bzw. dem Krankenhausaufenthalt ist eine dringende Forderung: Sie ist für Menschen mit Diabetes immer mit Vorteilen verbunden und reduziert das Risiko im Krankenhaus. Insbesondere schwere Unterzuckerungen durch zu viel Insulin und starke Blutzuckerschwankungen sind bei einer Operation zu vermeiden, denn sie verschlechtern die Langzeitprognose!
von Dr. Gerhard-W. Schmeisl
Internist/Angiologe/Diabetologe, Chefarzt Deegenbergklinik
sowie Chefarzt Diabetologie Klinik Saale (DRV-Bund)
Deegenbergklinik, Burgstraße 21,
97688 Bad Kissingen, Tel.: 09 71/8 21-0, E-Mail: schmeisl@deegenberg.de
Klinik Saale, Pfaffstraße 10,
97688 Bad Kissingen, Tel.: 09 71/8 5-01
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2016; 65 (1) Seite 30-33
5 Minuten
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