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Wunden am Fuß stellen bei Menschen mit Diabetes ein großes Risiko dar, vor allem, wenn gleichzeitig eine Nervenstörung vorliegt. Problematisch ist, dass dadurch oft kein Schmerz spürbar ist und so der Fuß mit der Wunde nicht vom Betroffenen selbst automatisch entlastet wird. Deshalb ist ein gezieltes Entlasten mit entsprechenden Hilfsmitteln nötig, damit diese Wunden abheilen können.
Menschen mit Diabetes und einem Geschwür (Ulkus) am Fuß haben typischerweise sehr wenige Schmerzen. Das kommt durch den Untergang feiner Nerven, der mit der Dauer der Diabetes-Erkrankung, der Situation des Glukosestoffwechsels und anderen Dingen zusammenhängt, wie Alkohol-Konsum. Durch die fehlenden Schmerzen wirken Betroffene oft unbeteiligt – als ob der Fuß nicht ein Teil von ihnen wäre, sondern zur Umgebung gehöre. Sie neigen sogar in Studien dazu, schützende Schuhe auszuziehen und Entfernungen, die sie für harmlos halten, “mal eben” ungeschützt zurückzulegen. Das ist typisch für diese Erkrankung und hat nichts mit fehlendem Verstand zu tun. Im Fachjargon heißt das “Leibesinsel-Schwund”. Menschen, die Schmerzen empfinden, treten wegen des Schmerzes automatisch nicht mit dem Fuß auf, sodass sich bei ihnen aus kleinen Verletzungen normalerweise keine Geschwüre entwickeln. Bei manchen Menschen kommen Durchblutungs-Störungen dazu. Dann fehlen die Nährstoffe, um die Wunde heilen zu lassen.
Die Diabetic Foot Study Group, eine europäische Fachgesellschaft, fordert in ihrer Leitlinie, Füße mit Geschwüren intensiv zu schützen durch ein kniehohes, nicht abnehmbares Hilfsmittel. Dieses soll am Unterschenkel wenig Spiel aufweisen. Die Grenzfläche zwischen Fuß und Sohle soll so optimiert sein, dass kein Druck auf die Wunde kommt.
Da nicht jeder eine so intensive Behandlung braucht und diese manchmal auch Nachteile hat, werden Kompromisse geschlossen und Maßnahmen reduziert. Dies sollte allerdings nicht so weit gehen, dass die Entlastung untauglich wird. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn man Vorfuß-Entlastungsschuhe bekommt und die Empfehlung, nur noch das Nötigste zu gehen. Es braucht oft viele Monate, bis eine Wunde sich schließt. Einer solchen Empfehlung zu folgen, würde die Bewegung stark einschränken und hätte eine schlechtere Fitness von Herz und Kreislauf zur Folge. Es wird vermutet, dass das zu einem früheren Tod führt.
Es ist für alle Beteiligten eine Herausforderung, den Schutz des Fußes und den Schutz der Gesundheit des gesamten Menschen in Einklang zu bringen. Die Ärzte und Angehörigen anderer Gesundheitsberufe, die daran beteiligt sind, müssen sich gut auskennen und über viele Techniken verfügen, unter denen sie zusammen mit den Betroffenen auswählen können. Das ist in Zeiten der Überforderung des Gesundheitswesens nicht selbstverständlich. Es sollte aber von den Betroffenen und insbesondere von deren Angehörigen intensiv eingefordert werden. Einrichtungen, die sich besonders gut auskennen, können sich von der Arbeitsgemeinschaft (AG) Diabetischer Fuß der Deutschen Diabetes Gesellschaft zertifizieren lassen. Zu finden sind sie auf der Internetseite www.ddg.info/behandlung/zertifizierte-einrichtungen#filter=stufe&value=3 oder dem Kurzlink bit.ly/3GWaTit. Dort kann man sich auch eine nach Postleitzahlen sortierte pdf-Datei mit den zertifizierten Fußbehandlungseinrichtungen herunterladen.
Wer Zweifel an der aktuellen Betreuung hat oder wem eine Amputation droht, kann sich dort auch eine Zweitmeinung einholen. Dieses Recht auf eine Zweitmeinung ist vom Gesetzgeber wegen der besonderen Mängel in der Versorgung von Menschen mit Diabetischem Fußsyndrom extra festgelegt worden. Dazu stehen die Zentren der AG Diabetischer Fuß bereit und weitere Einrichtungen, die sich bei den Kassenärztlichen Vereinigungen gemeldet haben. Sie sind dort auch findbar unter arztsuche.kbv.de, dann “Erweiterte Suche” und dort bei “Zweitmeinungen” “Amputation diabetischer Fuß” auswählen.
Der Goldstandard in der Entlastung ist ein Vollkontaktgips, auch bezeichnet als “Total Contact Cast” (TCC). Er ist nicht abnehmbar und wird, zumindest in der ursprünglichen Version, zum Verbandwechsel alle zwei Wochen aufgeschnitten und danach entsorgt. Da das unpraktisch ist, hat es sich eingebürgert, dass der TCC Schlitze erhält und ausgezogen werden kann. Das führt aber dazu, dass er auch ausgezogen wird, wenn es nicht sein soll, und so nur wenig hilft. Eine Lösung ist der VW-TCC, an dem eine große Klappe geöffnet und so der Fuß versorgt werden kann. Ausgezogen wird er dafür aber nicht.
Wird das Hilfsmittel länger gebraucht oder ist keine Einrichtung zur Verfügung, die einen TCC anfertigen kann, werden von Orthopädieschuh-Technikern und Prothesen-Herstellern auch ähnliche Konstruktionen aus Carbon angefertigt, die sich Orthesen nennen. Eine Alternative dazu sind Walker. Das sind Stiefel aus Kunststoff, die grundsätzlich ausgezogen werden können, aber mit Kabelbindern und Ähnlichem verplombt werden, um diesen Nachteil zu beheben. Sie sind vorgefertigt und berücksichtigen daher besondere anatomische Gegebenheiten nicht. Daher kann sie nicht jeder tragen.
Diese kniehohen Entlastungshilfen werden benötigt, wenn alle Bewegungen in Fuß- und Sprunggelenken ausgeschaltet werden sollen. Die Fußsohle wird dann immer vollflächig auf den Boden des Hilfsmittels gepresst und auch die Schienbeinkante wird zum Tragen benutzt. Die Betroffenen gewöhnen sich schnell an diese Hilfsmittel und können dann immer besser damit gehen. Dabei hilft auch ein Erhöhen der Sohle auf der Gegenseite, sodass die dicke Sohle des “Walkers” nicht dazu führt, dass die Hüfte schief steht und Schmerzen in Knien, Hüften oder Wirbelsäule auftreten. Untersuchungen haben gezeigt, dass Menschen mit diesen Hilfsmitteln wenig gehen, was für den Fuß optimal ist – aber für die Menschen insgesamt nicht gut.
Weitere Kompromisse kommen bei Geschwüren am Vorfuß zum Tragen, bei denen möglicherweise das Sprunggelenk nicht geschient werden muss und eine Schienung der Fußsohle reicht. Sie schließen Therapieschuhe ein, die alle ausgezogen werden können. Dann sollte wenigstens die Struktur zwischen Fuß und Schuhsohle nicht abnehmbar sein. Das könnten Filz-Auflagen sein, die unter den Fuß geklebt werden und so massiv sind, dass auf die Wunde selbst keine Belastung kommt. Diese Filz-Entlastungen können mit einem Träger aus Fiberglas verbunden werden. Sie sind dann wiederverwendbar und schienen den Fuß zusätzlich. Sie passen in Verbandschuhe, die besonders geräumig gefertigt werden. Mit etwas Glück können sie auch in Schuhe passen, deren Schnürung man öffnen und wo eine Bettung herausgenommen werden kann. Diese Entwicklungen sind neu und noch nicht flächendeckend verfügbar.
Immer wieder werden Wundermittel angepriesen, die wie magisch Wunden heilen sollen, und es kommt der Eindruck auf, man könne die unliebsame Entlastung umschiffen. Das hat sich bisher aber noch nie als wahr herausgestellt.
Jein – es gibt in Deutschland kein Universitäts-Institut, das sich intensiv um das Diabetische Fußsyndrom kümmert. International tut sich mehr, aber bei Weitem nicht in der Intensität, wie es diese häufige und schwerwiegende Folgeerkrankung verdient hätte. Aktuell widmet sich eine deutsche Arbeitsgruppe der Entwicklung von Sensortechnik, um das Abheilen von Fußwunden zu unterstützen. Zum Einsatz von Sensortechnik, um Fußgeschwüren vorzubeugen, sind gleich mehrere Arbeitsgruppen tätig. Der Weg dieser sinnvollen Hilfen in den Alltag ist noch lang, auch, weil die Betroffenen selbst bei Gesetzgebern und ausführenden Organen nichts einfordern.
Eine Entlastung verlangt den Betroffenen und ihren betreuenden Einrichtungen viel ab. Sie ist aber unverzichtbar und Eckpfeiler jeder Therapie beim Diabetischen Fußsyndrom. Sie ist machbar und hilfreich. Das Ziel ist das vollständige Entlasten der Wunde.
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2023; 72 (1) Seite 18-21
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