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Typ-1-Diabetes? Typ-2-Diabetes? Und auch Typ-3- und Typ-4-Diabetes? Was ist denn nun welcher Typ? Und warum ist es wichtig, die unterschiedlichen Diabetes-Typen zu kennen und richtig zu diagnostizieren? Hier gibt es Antworten.
Monika S., 52 Jahre alt, wird als Typ-2-Diabetikerin in der Rehaklinik zur Schulung, Gewichtsabnahme und Blutzucker-Einstellung angemeldet. In der Krankengeschichte steht, sie habe seit sechs Jahren einen Diabetes und leichtes Übergewicht. Bisher ist sie mit Tabletten eingestellt – nach COVID-19 sind die Werte jetzt aber entgleist.
Bei der Aufnahme in der Klinik ist die Patientin fast als schlank zu bezeichnen. Ihre Tabletten wegen des Diabetes nimmt sie in der zugelassenen Höchstdosis, die Blutzuckerwerte sind aber immer noch extrem hoch. Es kommen Zweifel auf, ob die Diagnose Typ-2-Diabetes stimmt, da die Patientin trotz fast Normalgewichts und “normaler Ernährung” so hohe Blutzuckerwerte hat. Die Kontrolle der Diabetes-typischen Antikörper ergibt einen deutlich erhöhten Wert – die Patientin hat einen Typ-1-Diabetes vom Typ LADA.
Die Patientin lernt nun, wie sie ihren Diabetes mit Insulin behandelt. Am Ende des Aufenthalts in der Klinik sind die Blutzuckerwerte im Zielbereich und Monika S. fühlt sich sehr gut.
Als Diabetes mellitus bezeichnet man sämtliche Erkrankungen, die mit einer Störung des Glukose-Stoffwechsels und der damit verbundenen Blutzucker-Erhöhung einhergehen. Am häufigsten sind der Typ-1- und der Typ-2-Diabetes.
Typ-1-Diabetes: Zerstörung der Insulin-produzierenden Beta-Zellen durch einen Autoimmun-Prozess, wodurch ein Insulinmangel entsteht
Typ-2-Diabetes: Insulinresistenz (Unempfindlichkeit auf Insulin) von Muskel-, Fett- und anderen Gewebe-Zellen und abnehmende Produktion von Insulin
Typ-3-Diabetes: Diabetes mellitus aufgrund unterschiedlichster Ursachen, z. B.:
Typ-4-Diabetes: Schwangerschaftsdiabetes (Gestationsdiabetes); man versteht darunter eine Störung der Zucker-Verwertung, die erstmals in der Schwangerschaft auftritt
Der Diabetes mellitus Typ 1 ist durch einen Untergang der Beta-Zellen in den Langerhans-Inseln der Bauchspeicheldrüse charakterisiert. Dieser Zell-Untergang führt zu einem absoluten Insulinmangel und dadurch zu einem Anstieg der Zucker-Konzentration im Blut (Hyperglykämie). Der Typ-1-Diabetes entsteht durch einen Autoimmun-Prozess, wenn gleichzeitig genetisch die Voraussetzung dafür vorliegt. Umweltfaktoren und bestimmte Nahrungs-Bestandteile könnten ebenfalls an diesem Prozess beteiligt sein; hieran wird intensiv geforscht. Für die Vererbung spielen Gene auf verschiedenen der 23 Chromosomen der Menschen eine Rolle – immer wieder werden weitere Gene im Zusammenhang mit Typ-1-Diabetes entdeckt. Trotz der Vererbung ist die Diagnose oft eine Überraschung, weil kein anderes Familien-Mitglied mit Typ-1-Diabetes bekannt ist.
Vermutete auslösende Faktoren sind z. B. Virus-Infekte wie Masern, Grippe oder Mumps, wodurch im Körper eine Autoimmun-Reaktion mit der Bildung von Antikörpern (Abwehrstoffen) gegen körpereigenes Gewebe angestoßen wird. Diese Antikörper bei Typ-1-Diabetes sind Inselzell-Antikörper (ICA), Glutamat-Decarboxylase-Antikörper (GADA), Thyrosinphosphatase-Antikörper (IA2-AK)und Insulin-Autoantikörper (IAA).
Innerhalb von Wochen, Monaten oder auch Jahren kommt es zu einer fortschreitenden Zerstörung der Beta-Zellen. Erst wenn etwa 80 bis 90 Prozent der Beta-Zellen zerstört sind, treten die typischen Symptome des Typ-1-Diabetes, wie großer Durst, häufiges Wasserlassen, Müdigkeit und Schwäche, auf und ermöglichen so in Verbindung mit hohen Blutzuckerwerten (in der Regel über 300 bis 400 mg/dl bzw. 16,7 bis 18,0 mmol/l) die Diagnose.
Nach Ausbruch der Erkrankung und Beginn der Therapie mit Insulin kann es in den folgenden Wochen und Monaten – manchmal auch Jahren – zu einer gewissen Erholung der Beta-Zellen kommen. Man braucht weniger, manchmal vorübergehend auch kein Insulin; diese Phase nennt man Honeymoon- oder Remissions-Phase. Wenn schließlich nahezu alle Beta-Zellen zerstört sind, benötigt man lebenslang eine Therapie mit Insulin.
Typ-1-Diabetes ist bis heute nicht heilbar. Alle Versuche, die möglicherweise noch vorhandenen wenigen Beta-Zellen zu erhalten, hatten bisher keinen Erfolg. Durch eine Inselzell-Transplantation ist bislang nur eine vorübergehende Insulin-Unabhängigkeit zu erreichen. Viele Studien dazu und in andere Richtungen laufen aktuell.
Zurzeit sind bis zu 10 Prozent der Deutschen an Diabetes erkrankt – der Typ-2-Diabetes ist mit 90 bis 95 Prozent die vorherrschende Form. Es handelt sich um eine Gruppe von Erkrankungen mit erhöhten Blutzucker-Werten, deren Ursache entweder eine verminderte Insulin-Ausschüttung (Insulin-Sekretion) oder eine gestörte Wirkung des produzierten Insulins ist.
Weltweit leben geschätzt 500 Millionen Menschen mit Typ-2-Diabetes, vermutlich die größte Epidemie der Menschheitsgeschichte – und die Zahlen steigen. Auslöser sind Risikofaktoren wie bestimmte Formen der Ernährung und mangelnde Bewegung. Haupt-Risikofaktor ist die Fettleibigkeit (Adipositas). Auch das Älterwerden der Gesellschaft verursacht den Anstieg der Häufigkeit. Viele Menschen, die einen Typ-2-Diabetes haben, wissen nichts von ihrer Erkrankung – dieser Anteil beträgt etwa 2 Prozent der Bevölkerung.
Menschen mit Typ-2-Diabetes haben eine höhere Krankheitslast. Darunter versteht man eine erhöhte vorzeitige Sterblichkeit (Mortalität) im Vergleich zu nicht an Diabetes Erkrankten. So ist die Mortalität von Menschen mit Typ-2-Diabetes in Deutschland zwei- bis dreimal höher als die von Menschen ohne Diabetes.
Menschen benötigen zum Funktionieren des Glukose-Stoffwechsels mindestens 50 Prozent ihrer Beta-Zellen. Sind weniger funktionstüchtige Beta-Zellen vorhanden, kommt es zu einer Störung des Glukose-Stoffwechsels. Bei Menschen mit ausgeprägter Insulinresistenz, wie sie typisch ist für einen Typ-2-Diabetes, kann der Glukose-Stoffwechsel bereits gestört sein, wenn noch mehr als 50 Prozent der Beta-Zellen vorhanden sind. Ein Typ-2-Diabetes entsteht typischerweise, wenn sich zu den genetischen Anlagen ein bewegungsarmer Lebensstil kombiniert mit Überernährung gesellt, was zur Entwicklung von Bauchfett (viszeralem Fett) führt.
Mit der Zeit gehen auch beim Typ-2-Diabetes immer mehr funktionierende Beta-Zellen verloren, sodass eine Therapie mit Insulin notwendig wird. Bei Typ-2-Diabetes ist aber nicht nur die Funktion der Beta-Zellen, sondern auch die Funktion der Alpha-Zellen, die ebenfalls in den Langerhans-Inseln liegen, gestört; Alpha-Zellen produzieren den Insulin-Gegenspieler Glukagon. Dieses Hormon wird normalerweise ausgeschüttet, wenn die Blutzucker-Spiegel sinken – als Signal für die Leber, Zucker aus ihrem Reservoir zu Verfügung zu stellen. Bei Menschen mit Typ-2-Diabetes wird Glukagon auch ausgeschüttet, wenn die Blutzucker-Werte normal sind.
Die Vererbbarkeit des Typ-2-Diabetes ist höher als die des Typ-1-Diabetes. Hat ein Elternteil Typ-2-Diabetes, beträgt die Wahrscheinlichkeit, ebenfalls an Typ-2-Diabetes zu erkranken, etwa 40 bis 60 Prozent. Sind beide Elternteile an Typ-2-Diabetes erkrankt, steigt diese Wahrscheinlichkeit sogar auf bis zu 80 Prozent. Man geht heute davon aus, dass die Insulinresistenz vererbt wird. Das bedeutet, dass mit zunehmendem Körpergewicht vor allem die Muskulatur, die Leber und das Fettgewebe immer weniger in der Lage sind, Glukose, also Traubenzucker, in die Zellen aufzunehmen – der Blutzucker steigt. Untersuchungen in der Allgemeinbevölkerung zeigen, dass nahezu 40 Prozent der nicht an Diabetes erkrankten Angehörigen von Menschen mit Typ-2-Diabetes bereits ebenfalls eine Insulinresistenz haben, aber auch ein Drittel der vermeintlich gesunden Allgemeinbevölkerung.
Menschen mit einem LADA, der erst im Erwachsenenalter auftritt, werden zuerst häufig als Typ-2-Diabetiker eingestuft und behandelt. Manchmal erst nach Jahren oder Jahrzehnten stellt man dann durch den Nachweis von Antikörpern gegen Inselzellen (GADA) einen autoimmunen Diabetes fest. Menschen im mittleren Alter erkranken dreimal häufiger an einem LADA als an einem klassischen Typ-1-Diabetes.
Diese Zeichen weisen auf einen LADA hin:
LADA-Patienten haben meist noch eine Rest-Sekretion von Insulin, was nachweisbar ist, wenn man im Blut einen, wenn auch niedrigen, C-Peptid-Spiegel misst. Deshalb funktioniert zu Beginn manchmal noch eine lange Zeit eine Therapie mit Diabetes-Tabletten und ohne Insulin – obwohl eine Insulin-Therapie direkt angezeigt wäre.
Ein Diabetes durch eine Erkrankung der Bauchspeicheldrüse – als pankreopriver Diabetes bezeichnet – wird diagnostiziert, wenn eine Störung der exokrinen Pankreasfunktion (z. B. nach Pankreatitis, einer Krebs-Operation etc.) und eine diabetische Stoffwechsellage vorliegen. Etwa 15 Prozent der Menschen mit einer Pankreatitis entwickeln im ersten Jahr danach einen Diabetes, nach fünf Jahren sind es bereits 40 Prozent, 25 Jahre später sogar 80 Prozent – die Hälfte von ihnen benötigt Insulin. Wenn ein Teil der Bauchspeicheldrüse operativ entfernt werden muss – wie bei Pankreas-Entfernungen bei Pankreas-Krebs oder chronischer Pankreatitis – entsteht besonders dann ein Diabetes, wenn der Pankreas-Schwanz betroffen ist, denn dort liegen die meisten Beta-Zellen. Bei diesem Diabetes-Typ sind ein besonderes Problem die Unterzuckerungen, da auch die Alpha-Zellen mit der Glukagon-Produktion reduziert oder ganz entfernt sind.
Als “sekundäre Diabetesformen” bezeichnet man das Auftreten eines Diabetes als Folge von Erkrankungen anderer Zellen oder Organe als nur der Beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse. Hierzu zählen z. B. auch Erkrankungen mit vermehrter Produktion bestimmer Hormone, die die Blutzucker-Werte erhöhen, wie Kortison.
Bestimmte Diabetes-Formen werden jeweils durch ein einziges Gen vererbt. Diese Formen werden manchmal auch nicht richtig erkannt und eingeordnet – und werden dann wie ein Typ-1- oder Typ-2-Diabetes behandelt. Dazu gehört der bereits genannte Maturity Onset Diabetes of the Young (MODY).
Das Risiko, durch Medikamente einen Diabetes auszulösen, ist bei Menschen mit Übergewicht, Metabolischem Syndrom (gestörter Fett-Stoffwechsel, erhöhte Harnsäure-Werte, Übergewicht, gestörte Zucker-Verwertung), bei Schwangerschaftsdiabetes und bei familiärer Belastung (Diabetes bei Eltern, Großeltern) deutlich erhöht.
Hormone:
Blutdruckmittel:
Fett-Senker:
Antibiotika, Anti-Virusmittel, Chemotherapeutika:
Immunsuppresiva:
Psychopharmaka:
Anti-Epileptika:
Vor einigen Jahren haben schwedische Forscher eine neue Einteilung der Diabetes-Typen in fünf verschiedene Gruppen vorgeschlagen, um eine noch gezieltere Behandlung durchführen zu können. Diese berücksichtigt:
Diese Einteilung wird gegenwärtig noch nicht breit genutzt und bezüglich ihres möglichen Nutzens im Alltag in wissenschaftlichen Studien untersucht.
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2022; 71 (9) Seite 30-35
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