„Hilfe, meine Schilddrüse hat einen Knoten…“

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„Hilfe, meine Schilddrüse hat einen Knoten…“

Schilddrüsenknoten kommen bei etwa einem Viertel der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland vor; 95 Prozent davon sind gutartig. Prof. Zick erklärt, wie man auf einen Knoten reagieren sollte.

Bärbel M. war 65 Jahre alt und hatte seit mehr als 20 Jahren einen Typ-2-Diabetes, der inzwischen mit Insulin behandelt wurde. Sie war nicht übergewichtig, und diabetesspezifische Folgeerkrankungen waren dem Hausarzt bisher bei Bärbel M. nicht aufgefallen. Aber was sie bewegte, war eine schmerzlose Vergrößerung oder bzw. ein schmerzloser Knoten an der rechten Halsseite. Voller Angst fragte sie mich bei unserer ersten Begegnung: Ist dieser Knoten Krebs?

Ich untersuchte Bärbel M. und tastete einen weichen, schmerzlosen Knoten, den ich dem rechten Schilddrüsenlappen zuordnen konnte. Im Ultraschall war die Schilddrüse mit einem Volumen von 25 ml für eine Frau leicht vergrößert – und es fand sich tatsächlich im rechten Schilddrüsenlappen ein Knoten, der 1,5 x 1,2 x 1,7 cm groß war. Der Knoten war in sich homogen und wies auch bei der Untersuchung mit einem Farbdoppler keine Besonderheiten auf. Vergrößerte Lymphknoten konnte ich bei der Ultraschall-Untersuchung der Schilddrüse glücklicherweise nicht nachweisen.

An Blutuntersuchungen veranlasste ich zum Beispiel die Bestimmung von TSH etc. Zum Abschluss der ersten Konsultation veranlasste ich bei Bärbel M. noch eine nuklearmedizinische Untersuchung der Schilddrüse und beruhigte sie hinsichtlich ihrer Krebsängste. Ich wies aber darauf hin, dass die diagnostische Abklärung ihres Schilddrüsenknotens noch am Anfang stände.

Knoten: Bei über 95 Prozent ist der Befund gutartig!

Schilddrüsenknoten liegen bei etwa 20 bis 30 Prozent der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland vor. Die Auftretenshäufigkeit nimmt mit dem Lebensalter zu – und bei über 95 Prozent der Patienten, die zur Knotenabklärung kommen, liegt ein gutartiger Befund vor. Da Schilddrüsenknoten vor allem in vergrößerten Schilddrüsen zu finden sind, wird ihre Entstehung auch weiterhin mit einem Jodmangel in Verbindung gebracht, obwohl die Jodversorgung in Deutschland sich inzwischen deutlich verbessert hat:

Nach den WHO-Zielkriterien haben wir einen niedrig normalen Bereich erreicht. In den Vordergrund der Betrachtung rücken zunehmend unterschiedlichste Mutationen der Schilddrüsenzelle, die darüber entscheiden, ob das Wachstum des Knotens sich in eine gutartige oder in eine bösartige Richtung entwickelt.

Als sich Bärbel M. das zweite Mal bei mir in der Sprechstunde vorstellte, konnte ich ihr mitteilen, dass alle Blutuntersuchungen einen Normalbefund ergeben hätten und insbesondere die Serumkonzentration von Calcitonin nicht erhöht sei: “Damit kann ich aber nichts anfangen”, erwiderte sie mir. Ich gab ihr daraufhin folgende Erklärung:

“Damit kann ich nichts anfangen”

Calcitonin ist ein Hormon, das in den C-Zellen (“C” für Calcitonin) der Schilddrüse gebildet wird. Die C-Zellen befinden sich neben den Schilddrüsenzellen (Thyreozyten), die die beiden Schilddrüsenhormone T3 und T4 bilden (s. Einleitung S. 14). Calcitonin ist der Gegenspieler zum in den Nebenschilddrüsen gebildeten Parathormon, und beide Hormone regulieren den Kalzium- und Phosphathaushalt des Körpers.

Ein bösartiger Tumor der Schilddrüse, der von diesen Zellen ausgeht, lässt sich sehr frühzeitig durch die erhöhten Werte von Calcitonin im Serum erkennen – und vor allem auch behandeln. Deshalb wird von der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie bei jedem Schilddrüsenknoten die einmalige Calcitonin-Bestimmung empfohlen. Nach dieser Erklärung spürte ich förmlich die Erleichterung bei Bärbel M.

Was ist “normofunktionell”?

Zu der Zweitbesprechung brachte Bärbel M. auch schon das Ergebnis der nuklearmedizinischen Untersuchung ihrer Schilddrüse mit: Der Kollege beschrieb den Schilddrüsenknoten von ihr als “normofunktionell” – und mit dieser Aussage konnte Bärbel M. verständlicherweise erneut wenig anfangen:

Bei der Szintigraphie (bildgebendes Verfahren mit radioaktiv markierten Stoffen) der Schilddrüse mit Tc-99m-Pertechnat wird Technetium über den gleichen Mechanismus wie Jod in die Schilddrüsenzellen oder Thyreozyten aufgenommen. Speichert der Schilddrüsenknoten mehr Technetium als das umgebende Schilddrüsengewebe, wird er als hyperfunktionell oder heiß eingestuft. Im umgekehrten Fall spricht man von einem hypofunktionellen oder kalten Knoten.

Der Knoten von Bärbel M. verhielt sich damit in der Szintigraphie wie das umgebende Schilddrüsengewebe oder war von diesem nicht abgrenzbar. In Deutschland sind 50 Prozent der solitären Knoten “normofunktionell” und 25 Prozent jeweils eindeutig kalt oder heiß. Ich erläuterte Bärbel M., dass das jeweilige Ergebnis der Schilddrüsen-Szintigraphie entscheidend für den weiteren therapeutischen Weg sei:

Knoten: “heiß” oder “kalt”?

Wenn ihr Schilddrüsenknoten szintigraphisch als kalt eingestuft worden wäre, hätte ich ihr zunächst zu einer Feinnadelpunktion geraten, um zytologisch das Gewebe des Knotens näher untersuchen zu lassen. Wenn der Pathologe diese Zellen als bösartig eingestuft hätte, wäre eine Operation unumgänglich gewesen.

Im anderen Fall hätte man sich auch für ein halbjährliches beobachtendes Abwarten entscheiden können – obwohl die Größe des Knotens und weitere Hinweise verdächtige Zeichen auf Bösartigkeit sein können, aber nicht müssen. Ich erläuterte ihr, dass in der Medizin therapeutische Entscheidungen immer mit einen Wenn oder Aber belastet sind – und erst im Nachhinein die richtige Entscheidung einfach sei.

Wenn der Nuklearmediziner ihren Schilddrüsenknoten als heiß beschrieben hätte, wäre zuallererst ihre Hauptsorge, einen Schilddrüsenkrebs zu haben, entfallen. An Therapie-Optionen hätten theoretisch die Gabe von Thyreostatika, die Operation oder die Radiojodtherapie zur Wahl gestanden. Da jedoch ihr TSH-Wert im Normalbereich lag und somit eine Überfunktion der Schilddrüse ausgeschlossen werden konnte, hätte man in ihrem Fall abgewartet und im Abstand von ¼ bis ½ Jahr den TSH-Wert kontrolliert.

Also, was jetzt …

Es war verständlich, dass Bärbel M. mich nach den Ausführungen fragte, was in ihrem Fall oder mit ihrem Knoten zu tun sei. Ich erläuterte, dass der Schilddrüsenkrebs bei Frauen im Vergleich zum Krebs der Brust selten sei. In Deutschland rechnet man mit 10 Schilddrüsenkrebserkrankungen bei Frauen auf 100.000 Einwohner pro Jahr.

Im Vergleich dazu würden von 100.000 Frauen in Deutschland jährlich 170 an Brustkrebs erkranken. Bei ihrem Schilddrüsenknoten seien nur die Größe, die Festigkeit (Solidität) und das Echomuster auffällig. Alle anderen Zeichen, die im Ultraschall auf eine Bösartigkeit des Knotens hinweisen könnten, würden fehlen. Es wäre also eine abwartende Therapieentscheidung gerechtfertigt gewesen.

Ich entschied mich aber bei Bärbel M. für eine Feinnadelpunktion des Schilddrüsenknotens, da sie fünf Jahre zuvor an einem Brustdrüsenkrebs erkrankt war, der operiert, medikamentös behandelt und bestrahlt worden war – und sie mit der Unsicherheit einer weiteren Krebserkrankung nicht leben konnte und wollte. Das Zellmaterial dieser Punktion beurteilte der Pathologe als unauffällig.

Und ich konnte Bärbel M. mit einer aktuellen Studie weiter beruhigen, die gezeigt hatte, dass Schilddrüsenknoten, deren Zellen als unauffällig eingestuft wurden, im weiteren Verlauf keine bösartige Veränderung zeigen. Diese Studie bezog sich auf mehr als 11.000 Punktionen, die über einen Zeitraum von über 15 Jahren nachbeobachtet worden waren.

Ein immer aktuelles Thema

Zum Abschluss gab ich ihr noch mit auf den Weg, dass sie in Zukunft eine Kombination von Schilddrüsenhormon und Jod (Levothyroxin und Kaliumjodid) einnehmen müsse, um im doppelten Sinne die Chance einer in der Literatur belegten Verkleinerung zu haben: ihrer vergrößerten Schilddrüse und ihres Knotens im rechten Schilddrüsenlappen.

Warum haben wir Bärbel M. zum Thema dieses Artikels gemacht? Nahezu jeder dritte Leser dieses Artikels zählt zu den Betroffenen – also haben wir uns sicherlich nicht mit einem Thema beschäftigt, dem man die tägliche Aktualität absprechen kann und wird … in den vielen Praxen, in denen Diabetiker betreut werden.

Punktion bringt nähere Information
Schilddrüsenknoten liegen bei etwa 20 bis 30 Prozent der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland vor. Die Auftretenshäufigkeit nimmt mit dem Lebensalter zu. Eine Feinnadelpunktion bringt bei “kalt” eingestuften Knoten zusätzliche Information über das Gewebe. Bei über 95 Prozent der Patienten, die zur Knotenabklärung kommen, liegt ein gutartiger Befund vor. Schilddrüsenknoten sind vor allem in vergrößerten Schilddrüsen zu finden – ihre Entstehung wird weiterhin mit einem Jodmangel in Verbindung gebracht (trotz besserer Jodversorgung).
Schwerpunkt Diabetes und Schilddrüse

von Prof. Dr. med. Reinhard Zick
Endokrinologikum Osnabrück, Parkstraße 42 (Medipark Haus B), 49080 Osnabrück, E-Mail: osnabrueck@endokrinologikum.com

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2015; 64 (4) Seite 20-23

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