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Die Ketoazidose tritt bei Insulinmangel auf. In dieser Situation greift der Körper für seinen Energiebedarf statt auf Zucker auf Fettreserven zurück. Bei 8 bis 9 Prozent aller Typ-1-Diabetiker tritt sie auf – und ist häufig der Grund für eine Krankenhauseinweisung. Wichtig ist, Anzeichen und Sofortmaßnahmen zu kennen.
Die 34-jährige Marianne M. hat Typ-1-Diabetes, der ihr keine Probleme bereitet, und ist Krankenschwester in einem Kreiskrankenhaus auf der gastroenterologischen Abteilung. Die Patienten, die sie betreut, kommen meist wegen Magen-Darm-Beschwerden zur weiteren Abklärung.
Als sie selbst eines morgens „Bauchschmerzen“ hat (sie hat auch nicht gefrühstückt, weil sie keinen Appetit hat), denkt sie natürlich zuerst daran, dass sie sich bei einem der Patienten etwas eingefangen hat! Als sie während der Morgenbesprechung plötzlich „komisch spricht“ und nicht ganz klar wirkt, rät eine Kollegin dazu, den Blutzucker zu testen: 300 mg/dl (16,7 mmol/l)! Danach wird von der Kollegin auch noch das Blut auf Ketone getestet: 2 mmol/l.
Im Rahmen eines leichten Infektes hat sich bei Marianne eine Ketoazidose entwickelt, die außer Bauchschmerzen und leichter Verwirrtheit keine anderen Beschwerden verursacht.
Nach etwas Ruhe, der Gabe von Insulin, Kalium und Flüssigkeit sind die Werte nach einigen Stunden auch wieder gut – Glück gehabt!
Jeder Typ-1-Diabetiker sollte schon einmal eine Schulung über die Ketoazidose mitgemacht haben. Da diese Stoffwechselentgleisung nicht so oft vorkommt, geraten die klassischen Beschwerden oft in Vergessenheit – und die Gefährlichkeit ist nicht mehr gegenwärtig.
Aktuelle neue medikamentöse Entwicklungen zeigen jedoch, wie wichtig es ist, die typischen Symptome zu kennen, um rechtzeitig handeln zu können. Es sind bereits Medikamente in Tablettenform für den europäischen Markt zugelassen, die auch übergewichtigen Typ-1-Diabetikern helfen sollen, ihren Blutzucker zu senken und gleichzeitig durch den Zuckerverlust über den Urin Gewicht abzunehmen (und auch, den Blutdruck zu senken).
Dabei handelt es sich um einen kombinierten SGLT-1- und SGLT-2-Hemmer (Wirkstoff: Sotagliflozin) sowie auch um SGLT-2-Hemmer (Dapagliflozin). Bei Typ-2-Diabetikern wirken SGLT-2-Hemmer schon sehr gut (Medikamente wie Forxiga, Jardiance). Aber es hat sich gezeigt, dass unter diesen Medikamenten vermehrt Ketoazidosen auftreten können – auch bei normalen Blutzuckerwerten. Warum diese Ketoazidosen entstehen, ist noch nicht eindeutig geklärt.
Die Ketoazidose betrifft maximal 8 bis 9 Prozent aller Patienten – sie ist aber dann häufig der Grund für eine Krankenhauseinweisung. Die Ketoazidose ist ein Zustand des Insulinmangels, bei dem der Körper zur Deckung seines Energiebedarfs statt auf Zucker (Glukose) auf Fettreserven zurückgreift.
Die dabei entstehenden Fettsäuren werden schließlich im Rahmen der „Beta-Oxidation“ im Körper unvollständig zu Ketonkörpern abgebaut, wodurch sich eine Übersäuerung des Blutes ergibt: Der Körper wird quasi mit Ketonkörpern, die Säuren sind, überschwemmt; die Ketonkörper finden sich in Blut und Urin.
Die ausgeprägte Ketoazidose ist vor allem wegen der Übersäuerung ein internistischer Notfall, der eine Krankenhauseinweisung erfordert, soweit er in den Anfängen nicht beherrscht wird. Deshalb sollten jeder Typ-1-Diabetiker sowie deren Angehörige, Bekannte, Betreuer (wie Lehrer, Trainer) Symptome und unmittelbares Vorgehen bei einer solchen Stoffwechselentgleisung kennen!
Merke: Auch bei Nichtdiabetikern kann es bei starkem Fasten/Hungern zu einer, wenn auch geringen, Ketonbildung kommen, die allerdings so gut wie nie einer Behandlung bedarf.
Sehr hohe Blutzuckerwerte (meist über 300 mg/dl bzw. 16,7 mmol/l) und zwei- bis dreifach positiver Keton-Nachweis im Urin oder Keton-Werte über 3,0 mmol/l im Blut, gemessen mit entsprechenden Teststreifen, und entsprechenden Beschwerden sind typisch.
… diese sollte jeder Patient sowie auch jeder Therapeut kennen (Auszug):
Besonders typisch ist eine vertiefte Atmung (Kußmaul’sche Atmung), mit der der Körper versucht, die sauren Ketonkörper im Körper durch „Abatmen“ loszuwerden. Der Geruch des Atems nach frischen grünen Äpfeln durch den Ketonkörper Azeton ist auffällig! Bauchschmerzen im Rahmen einer Ketoazidose werden nicht selten fehlinterpretiert, z. B. als Magenverstimmung.
Das Weglassen von Insulin bei Typ-1-Diabetikern im Rahmen von Infektionen mit Fieber und vermindertem Appetit ist einer der Gründe. Das Weglassen ist ein Fehler, denn Stress und Hormone, die gegen die Wirkung des Insulins gerichtet sind (z. B. Adrenalin, Wachstumshormon, Kortisol), führen zu einem zusätzlichen Blutzuckeranstieg, sodass auf jeden Fall Insulin gespritzt werden muss – um nicht in einen Insulinmangel mit Entwicklung einer Ketoazidose zu geraten.
Regelmäßig geschulte Patienten sind oft in der Lage, mittels Insulingabe eine beginnende Ketoazidose selbst zu behandeln. Achtung: Die Korrektur des Blutzuckers durch Insulin führt zu einer Verschiebung von Kalium aus dem Blut in die Zellen; hierdurch wird der Kalium-Spiegel im Blut also erniedrigt – was zu lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörungen führen kann!
Bei Blutketon-Werten über 1,5 mmol/l:
sofort kurzwirksames Insulin nach der doppelten Korrekturregel spritzen (bei Pumpentherapie mit Insulinpen oder Einmalspritze!)
sofort Arzt informieren oder sich ins Krankenhaus fahren lassen
eine Klinikbehandlung ist in den meisten Fällen notwendig!
Eine der wichtigsten zusätzlichen Maßnahmen (neben Insulinzufuhr) ist daher, gleichzeitig Kalium zu sich zu nehmen – z. B. Kalinor-Brause oder entsprechende Tabletten. Dies gilt sowohl für zu Hause wie auch für die Klinik.
Eine Stoffwechselentgleisung im Rahmen einer Ketoazidose mit sehr hohen Blutzuckerwerten und den damit verbundenen Wasser-und Blutsalzverschiebungen ist eine potenziell lebensgefährliche Angelegenheit.
Wenn insbesondere Typ-1-Diabetiker mit Übergewicht demnächst neben Insulin auch moderne Wirkstoffe oder Wirkstoffkombinationen erhalten werden, sollten sie trotz des hoffentlich seltenen Vorkommens einer Ketoazidose die Anzeichen kennen. Die Messung der Ketonkörper trägt zum Erkennen bei – regelmäßige Schulungen sind jedoch trotz technischer Hilfsmittel unbedingt notwendig.
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Erschienen in: Diabetes-Journal, 2019; 68 (11) Seite 42-44
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