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In der Pubertät brauchen viele Jugendliche mit Diabetes mehr Insulin, um einen guten Stoffwechsel zu erreichen. Das liegt am Wachstumshormon. Hormone sorgen auch dafür, “dass Eltern jetzt schwierig werden”. Selbständig werden und die Therapie nicht vernachlässigen: Darum geht es, so Prof. Th. Danne.
Neulich rief eine verzweifelte Mutter einer 15-jährigen Tochter außerhalb der Diabetessprechstunde an und klagte:
“Petra hat seit sieben Jahren Diabetes. Seit drei Jahren, seit sie in der Pubertät ist, hat sie schwankende Blutzuckerwerte, der HbA1c-Wert ist höher als vor der Pubertät, manchmal sogar über 8 Prozent! Anfangs war es viel einfacher, den Diabetes gut zu behandeln. Jetzt geht oft alles durcheinander, das macht uns ratlos. Gleichzeitig hält sie sich nicht an Regeln und geht unerklärliche Risiken ein z. B. mit Alkohol. Es hat deshalb schon viel Streit in der Familie gegeben. Sind das alles nur die Hormone? Was können Sie uns raten?”
So wie dieser Mutter geht es den meisten Eltern von Jugendlichen mit Diabetes. Während der Pubertät fällt es fast allen Jugendlichen schwer, ihren Diabetes gut zu behandeln. Das hat viele Gründe: Jugendliche streben weg vom Elternhaus, sie wollen selbständig und eigenverantwortlich ihren Tag gestalten, sich mit Freunden treffen, reisen, “die Welt erobern”.
Der Diabetes tritt in den Hintergrund, wird vernachlässigt und ignoriert. Zusammen mit ausgeprägten Stimmungsschwankungen der Jugendlichen kommt es dann oft zu heftigen Auseinandersetzungen in der Familie. Aber auch von Seiten der besorgten Eltern gibt es manchmal Probleme: Nach vielen Jahren intensiver Fürsorge fällt es ihnen verständlicherweise schwer, ihr Kind loszulassen und in die Eigenständigkeit zu entlassen.
Die sexuelle Reifung beginnt, wenn bestimmte Nervenzellen im Gehirn aktiv werden. Wie der Startschuss fällt, ist noch unklar. Zu einem gewissen Teil ist es genetisch bestimmt, in welchem Alter die sexuelle Reifung beginnt. Auch Ernährung und Gesundheit spielen eine Rolle.
Die bessere Grundversorgung gilt als Ursache dafür, dass die sexuelle Reifung heute früher beginnt als vor 150 Jahren: Das durchschnittliche Alter, in dem Mädchen ihre erste Regelblutung bekommen, ist um etwa zwei Jahre gesunken und hat sich in den 1970er und 1980er Jahren auf 12 bis 13 Jahre eingependelt. Eigentlich ist die gesamte Zeit vor der Pubertät eine Phase der Hormon-Unterdrückung; gehemmt wird dabei das Hormonsystem, das die Pubertät einleitet. Von Geburt an ist es vollständig ausgebildet und wartet auf seinen Einsatz.
Pubertät beginnt mit der Aktivierung des Hormonsystems in einer Hirnregion namens Hypothalamus. Den Startschuss geben Nervenzellen, die der Hirnanhangsdrüse signalisieren, mit der Sekretion der Hormone FSH (follikelstimulierendes Hormon) und LH (luteinisierendes Hormon) zu beginnen. Über die Blutbahn gelangen diese Hormone in die Hoden oder Eierstöcke, woraufhin dort die Produktion der Sexualhormone Östrogen und Testosteron angekurbelt wird.
Diese Sexualhormone sorgen schließlich dafür, dass Geschlechtsteile und Schamhaare zu wachsen beginnen und die körperlichen Veränderungen sichtbar werden. Bei Jungen sollte die Pubertät normalerweise im Alter von 9 bis 14 Jahren beginnen. Kommt es vor dem 9. Geburtstag zu ersten Pubertätszeichen, spricht man von einer vorzeitigen Pubertätsentwicklung: Diese sollte ebenso wie eine zu späte Pubertätsentwicklung (keine Pubertätszeichen bis zum Alter von 14 Jahren) durch den Arzt abgeklärt werden.
Bei Mädchen spricht man von einer vorzeitigen Pubertätsentwicklung, wenn die ersten Anzeichen vor dem 8. Geburtstag auftreten – und von einer verspäteten Pubertät, wenn bis zu einem Alter von 13,5 Jahren noch keine Pubertätszeichen zu sehen sind. Diese Hormone haben neben ihrer geschlechtstypischen Eigenschaften jedoch weitere Auswirkungen: Sie setzen die Insulinwirkung herab. Dies bedeutet, dass in der Pubertät verhältnismäßig mehr Insulin notwendig ist, um eine gute Stoffwechsellage zu erreichen.
Hinzu kommt, dass die Hormone Östrogen und Testosteron in sehr schwankender Konzentration im Körper kreisen und ihre Wirkung somit nicht vorhersehbar ist – und es folglich zu stärker schwankenden Blutzuckerwerten kommt.
Neben den Geschlechtshormonen wird in der Pubertät ein weiteres Hormon vermehrt ausgeschüttet: das Wachstumshormon. Es ist verantwortlich für den Wachstumsschub in dieser Phase des Lebens; neben der Förderung des Wachstums führt das Wachstumshormon auch zu einer Senkung der Insulinwirkung. Es wird regulär frühmorgens ausgeschüttet und führt somit zu erhöhten Blutzuckerwerten beim Aufstehen, dies nennt man auch Dawn-Phänomen (Dämmerungsphänomen). Dieses Problem beklagen viele Jugendliche, wenn sie in der Pubertät sind.
Ein weiterer Faktor, der hier erschwerend hinzukommt, ist, dass das Wachstumshormon nicht regelmäßig, sondern schwankend (pulsatil) ausgeschüttet wird. Die Blutzuckerwerte sind also schwankend und nicht regelmäßig jeden Morgen erhöht.
Die Phase des stärksten Wachstums und somit der stärksten Sekretion von Wachstumshormonen liegt bei Jungen etwa im Alter von 14 Jahren, während Mädchen im Jahr vor der ersten Regelblutung ihren Wachstumsspurt haben. In diesen Phasen sind dann auch die Insulindosen zur Nacht entsprechend anzupassen. Die Dosierung des Basalinsulins zur Nacht wird somit zu einer Herausforderung; oft muss auf ein anderes, länger wirkendes Insulin ausgewichen werden, das dann vor allem die hohen Morgenwerte abfangen kann.
Bei Kindern mit Insulinpumpentherapie muss in diesem Fall die Basalrate in den frühen Morgenstunden entsprechend erhöht werden. Durch die genannten hormonellen Einflüsse steigt der Insulinbedarf in der Pubertät deutlich an: von vorher ca. 1 Einheit pro kg Körpergewicht pro Tag auf ca. 1,2 bis 1,5 Einheiten pro kg Körpergewicht pro Tag. Es ist also für die Jugendlichen aufgrund der hormonellen Lage nicht einfach, in der Pubertät einen guten HbA1c-Wert zu erreichen. Nach Abschluss der Pubertät kann das Insulin wieder reduziert werden – die Stoffwechsellage beruhigt sich.
Das risikoreiche und auch ansonsten manchmal kopflos wirkende Verhalten Jugendlicher bringen Forscher heute mehr und mehr mit der Hirnentwicklung während der Pubertät in Verbindung. Die Forscher sprechen in Bezug auf das Gehirn von Jugendlichen von einem “grundlegenden Umbau bei vollem Betrieb”.
Man geht davon aus, dass ungefähr 60 Prozent der Nervenverbindungen im Gehirn von kindlichen Leitungsbahnen zum Erwachsenengehirn umgebaut werden. Dabei werden nicht alle neuen Strukturen gleichzeitig fertig. Das hyperaktive limbische, emotionale System hat aufgrund einer früheren Entwicklung einen größeren Einfluss auf das Verhalten Jugendlicher, während das Kontrollsystem des Gehirns, das Stirnhirn, noch nicht vollständig ausgereift ist.
In der Pubertät sucht der Jugendliche daher nach Erfahrungen, um das körpereigene Belohnungssystem anzuregen – während die Kontrollfunktion des Gehirns bis in die späte Pubertät noch nicht voll entwickelt ist.
All dies sind einige wichtige Gründe für den Anstieg des HbA1c in der Pubertät. Eltern sollten in einem solchen Fall den Kontakt zum Behandlungsteam in der Diabetesambulanz intensivieren. Es ist jetzt wichtig, den Jugendlichen auf der einen Seite die Freiheit und Verantwortung teilweise zu übertragen, ihnen aber auch nach wie vor bestimmte Regeln und Grenzen zu setzen, damit die Insulintherapie nicht vernachlässigt wird.
Die Förderung der Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit ist dabei ebenso wichtig wie Erfolgserlebnisse in der Therapie. Zunehmend sollten in diesem Alter auch die Integration des Diabetes in den zukünftigen, erwachsenenähnlichen Alltag eine Rolle spielen: Berufund Diabetes, Führerschein und Diabetes sind Themen, die besprochen werden müssen.
Das ist ein längerer Prozess und fordert von allen Beteiligten Vertrauen, Einfühlungsvermögen und Geduld. All diese Themen sind nicht nur durch die Eltern zu leisten, sondern sollten im Rahmen der Schulung der Jugendlichen durch das Diabetesteam unterstützt werden.
von Prof. Dr. med Thomas Danne
Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin “Auf der Bult”,
Janusz-Korczak-Allee 12, 30173 Hannover,
E-Mail: danne@hka.de
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2016; 65 (5) Seite 32-35
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