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Immer wieder kommt es vor, dass Medikamente, die einem verordnet wurden, in der Apotheke nicht erhältlich sind. Das Problem der Lieferengpässe hat in letzter Zeit zugenommen – aber es wird auch an praktikablen Lösungen gearbeitet.
Jeder von uns hat diesen Satz sicher schon einmal in einer Apotheke gehört: “Darf ich Ihnen dieses Medikament bestellen?” Im Regelfall liegt das gewünschte Medikament noch am selben oder aber spätestens am nächsten Tag zum Abholen für Sie bereit. Doch was ist, wenn Sie stattdessen Folgendes hören: “Leider ist dieses Medikament momentan nicht lieferbar.”
Diesen Satz bekommen Patientinnen und Patienten in letzter Zeit sehr oft zu hören und Apothekerinnen und Apotheker müssen ihn mittlerweile zu oft sagen. Mit mehr als 300 Arzneimitteln hat dieser Wert in diesem Jahr eine traurige Höchstmarke erreicht. Doch was führt zu solchen Lieferengpässen?
Spätestens, als in den Nachrichten von Lieferengpässen bei Arzneimitteln für Kinder, wie Fieber- oder Antibiotikasäften, berichtet wurde, merkte man, dass das Problem in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Lieferengpässe hat es zwar immer wieder mal gegeben, doch in letzter Zeit häufen sich die Meldungen über nicht lieferbare Arzneimittel. Die Gründe hierfür sind vielfältig und eine einfache Lösung ist meist nicht möglich.
Seit 2007 existieren Rabattverträge in Deutschland. Dabei schließen die Krankenkassen mit den pharmazeutischen Unternehmen Verträge ab, in denen die Unternehmen den Krankenkassen Rabatte gewähren. Die Apotheken sind hierfür verpflichtet, bei einer Verordnung eines entsprechenden Medikaments ein Präparat abzugeben, für das es solch einen Rabattvertrag gibt, sofern dies nicht durch anderweitige Gründe ausgeschlossen ist. Dies führt dazu, dass der Kostendruck auf die Unternehmen erhöht wird und eine Herstellung mitunter nicht mehr profitabel ist. So kann es passieren, dass zum Teil ein Medikament nur noch von einem Unternehmen produziert wird. Kommt es dann bei diesem Unternehmen z. B. zu Problemen in der Produktion oder müssen Produktions-Kapazitäten wie letzten Winter u. a. durch steigende Energiekosten heruntergefahren werden, führt dies zwangsläufig zu einem Lieferengpass.
In unserer globalisierten Welt ist es viel einfacher geworden, Dinge im Ausland herzustellen und diese über den Erdball zu transportieren. Wie viele andere Produkte werden Wirkstoffe für Medikamente oft außerhalb Deutschlands hergestellt. Auch wenn die “Endfertigung” der Tabletten in Deutschland geschieht, kommen mehr als 80 Prozent der Wirkstoffe aus Indien oder China. Gerade globale Krisen, wie der Ukraine-Krieg oder die Corona-Pandemie, führen zu Problemen in den Lieferketten. Zudem führt diese Monopolisierung der Produktion der Wirkstoffe zu einer weiteren Erhöhung des Kostendrucks, da die Unternehmen die Preise diktieren und an den jeweils Höchstbietenden verkaufen können.
Bei der Therapie des Diabetes werden Arzneimittel eingesetzt, die leider auch zeitweise oder dauerhaft nicht lieferbar sind oder deren Herstellung aufgrund von Problemen in der Produktion ganz eingestellt wurden. Dies betrifft Medikamente aus den Gruppen der Insuline und der Diabetes-Tabletten (orale Antidiabetika), aber auch GLP-1-Rezeptor-Agonisten. Die Gründe hierfür sind, wie bei anderen Arzneimitteln, vielfältig. Die wichtigsten sind Probleme in den Lieferketten, Mangel an Rohstoffen, Inflation, niedrige oder extrem hohe, teilweise regional stark wechselnde Nachfrage, Störungen an Abfüllanlagen, Verzögerungen bei der Lieferung von Komponenten und Materialien für die Verpackung, aber auch Off-Label-Use. Darunter versteht man den Gebrauch von Arzneimitteln für andere Indikationen außerhalb der Zulassung. Beispiele hierfür sind die GLP-1-Rezeptor-Agonisten Dulaglutid und Semaglutid, die neben der Behandlung des Typ-2-Diabetes auch eingesetzt werden zur Gewichtsreduktion, wenn kein Typ-2-Diabetes vorliegt. Aber die Versorgung muss gesichert werden und ist für viele Menschen mit Diabetes lebenswichtig. So werden verschiedene Lösungen angeboten, wie Kontingentierung, um Hamsterkäufe und Off-Label-Use zu verhindern, keine Neueinstellungen auf die Medikamente, Umstellung auf lieferbare Packungsgrößen und Stärken oder Umstellung auf den gleichen oder sehr ähnlichen Wirkstoff anderer Unternehmen. In Apotheken und Arztpraxen sollte darüber offen und transparent informiert und die Patientinnen und Patienten sollten aktiv in die Entscheidung eingebunden werden.
Auch die Politiker um Gesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach haben sich der Problematik angenommen und das Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG), kurz Lieferengpass-Gesetz, auf den Weg gebracht. Dies soll verhindern, dass sich Lieferengpässe ausweiten und eine Versorgung in Zukunft sichergestellt ist. So fallen beispielsweise die Rabattverträge für nicht mehr patentierte Arzneimittel (Generika) für Kinder weg und die Unternehmen müssen sich bei versorgungskritischen Wirkstoffen ausreichend bevorraten, sodass eine Lieferfähigkeit dieser Arzneimittel über sechs Monate gewährleistet ist. Das ist sicher ein Schritt in die richtige Richtung, doch viele kritisieren, dass das Gesetz allein die Lieferengpass-Problematik nicht lösen wird.
Lieferengpässe stellen alle Personen im Gesundheitssystem vor große Herausforderungen. Dennoch wird alles dafür getan, dass Patientinnen und Patienten optimal versorgt sind. So prüfen die Apotheken vor Ort mehrmals täglich die Lieferfähigkeit bestimmter Medikamente und können bei fehlender Verfügbarkeit auf ein Präparat eines anderen Unternehmens mit gleichem Wirkstoff umschwenken. Sollte ein Medikament mit einem bestimmten Wirkstoff von keinem Unternehmen in der Apotheke vorrätig oder lieferbar sein, kann die Apotheke wenigstens im Filial-Netzwerk nachschauen, ob das Medikament dort vorrätig ist, oder bei Apotheken von Kolleginnen und Kollegen nachfragen. Sollten all diese Stricke reißen, ist auch das kein Grund zur Sorge. In Absprache mit Ärztin oder Arzt kann die Medikation umgestellt und so garantiert werden, dass trotz des Lieferengpasses sinnvoll medikamentös behandelt wird.
Und auch im Fall der Lieferengpässe bei den Fiebersäften für Kinder konnte eine pragmatische Lösung gefunden werden. So wurde die Möglichkeit gegeben, das Herstellen dieser Säfte in den Apotheken vorzunehmen und sie auch aus dem Ausland importieren zu dürfen, sodass die Versorgung sichergestellt werden kann.
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2023; 72 (10) Seite 21-23
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