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Diverse Unternehmen bieten Präparate mit Hanföl-Extrakten an, und manche empfehlen diese Mittel auch Menschen mit Diabetes. Sie haben als Wirkstoff Cannabidiol (CBD) aus Hanföl. Die Belege für eine Wirksamkeit bei Diabetes sind recht dürftig. Der Artikel erklärt, was Hanföl und das darin enthaltene CBD sind und mit welchen Argumenten sie bezüglich des Diabetes beworben werden. Gibt es überzeugende Untersuchungen, die belegen, dass Hanföl-Präparate bei Menschen mit Diabetes wirken? Hier lesen Sie die Antworten darauf.
Cannabis sativa, der Hanf, ist eine einjährige, starkwüchsige, tiefwurzelnde Pflanze, von der weltweit viele verschiedene Sorten existieren. Für den Anbau gibt es Faserhanf, Ölhanf und speziell auf Harzausbeute und hohen Gehalt an Tetrahydrocannabinol (THC) gezüchteten „Drogenhanf“ mit bis zu 20 Prozent THC in den weiblichen Blüten der Pflanze. Heute züchtet man auch THC-arme oder THC-freie Sorten, um daraus Hanföl mit Cannabidiol zu gewinnen, abgekürzt CBD.
Die 3 bis 4 mm großen Hanfsamen sind botanisch gesehen Nussfrüchte. Nur wenige andere Pflanzenöle enthalten derart viele Omega-3-Fettsäuren, die aus dem Fischöl bekannt sind. Samen und Samenschalen enthalten im Gegensatz zu den sie umgebenden Hüllblättern noch nicht einmal Spuren des psychoaktiven THC, das für die psychische Wirkung von Haschisch verantwortlich ist. So entsteht auch keine Gefahr einer Drogenwirkung beim Konsum der Hanffrüchte. Hanfsamen sind ein bei Vögeln beliebtes Futter und werden auch in der Ernährung des Menschen geschätzt.
Der nussige Geschmack erlaubt viele verschiedene Zubereitungen mit den ganzen oder geschälten Samen, dem Öl oder dem Mehl aus dem Presskuchen der Ölpressung. Hanföl wird schonend durch Kaltpressung gewonnen. Es oxidiert wegen seines hohen Gehalts an mehrfach ungesättigten Fettsäuren durch Wärme, Sauerstoff und Lichteinwirkung und wird leicht ranzig. Das reichlich enthaltene Vitamin E verhindert bei zusätzlich zur Aufbewahrung im Kühlschrank das Ranzigwerden in der angebrochenen Flasche. Hanföl verbrennt beim Erhitzen und soll nicht zum Braten verwendet werden.
Hanfsamen enthalten 30 bis 35 Prozent Kohlenhydrate, die meisten als Ballaststoffe in der Schale. Sie enthalten 28 bis 35 Prozent Fett, davon ungefähr 90 Prozent als ungesättigte Fettsäuren, wovon 20 Prozent Omega-3-Fettsäuren sind. Hanfsamen enthalten rund 20 bis 24 Prozent Eiweiß. Daneben sind sie reich an Vitaminen und Mineralstoffen. 100 g Hanfsamen decken nahezu den Tagesbedarf an Vitamin B1 und B2.
Hanf: Nährstoffe in 100 Gramm | ||
Hanfsamen mit Schale | Hanfsamen geschält | |
Energie (kcal) | 385 | 560 |
Eiweiß (g) | 20 – 24 | 33 |
Kohlenhydrate (g) | 30 – 35 | 12 |
davon Ballaststoffe (g) | 33 | 5 |
Fett (g) | 28 – 35 | 44 |
davon gesättigte Fettsäuren (g) | 3 | 5 |
davon ungesättigte Fettsäuren (g) | 28 – 32 | 39 |
Mineralstoffe (g) | 6 | 6 |
Leicht angeröstet dienen die geschälten, sehr feinen oder die ungeschälten und knackigen Hanfsamen als geschmacksintensive Zutat vor allem in Salaten und in der kalten Küche, auch für Brotaufstriche. Auch das Hanfprotein ist mittlerweile zum Abnehmen bei Low-Carb-Diäten beliebt. Hanfprodukte können also durchaus eine gesunde Bereicherung des Speisezettels darstellen. Aber was ist dran an der Reklame, Produkte aus Hanföl seien wirksam zur Verhütung oder Behandlung des Diabetes?
Cannabidiol wurde 1963 vom Israeli Prof. Raphael Mechoulam entdeckt. Cannabidiol ist ein Cannabinoid aus dem weiblichen Hanf, das nicht die Drogenwirkung des THC im Haschisch hat. Für Cannabidiol sind entkrampfende, entzündungshemmende, angstlösende und gegen Übelkeit gerichtete Wirkungen beschrieben.
Mittel mit CBD verkaufen sich weltweit zunehmend sehr gut, für diverse Präparate mit diesem Wirkstoff werden angeblich in Deutschland jährlich schon 1,8 Milliarden Euro ausgegeben. Ein verschreibungspflichtiges Medikament, das Cannabidiol enthält, ist für die Behandlung einer schwer behandelbaren, sehr seltenen Form der Epilepsie bei Kindern zugelassen.
In der Werbung im Internet wird von einigen Anbietern behauptet, die in Tierversuchen beobachtete entzündungshemmende und antioxidative Wirkung des CBD-Öls könne dazu beitragen, die Schwere einer Immunantwort des Körpers zu verringern. Das wiederum könne die Entwicklung eines Typ-1-Diabetes günstig beeinflussen. Diese Behauptung wird in der Reklame für CBD-Präparate mit einer Untersuchung an Mäusen belegt.
Nur bei „NOD-Mäusen“ haben Forscher diese Wirkungen auf die Entzündung der Inselzellen beschrieben, die am Beginn des Typ-1-Diabetes steht. NOD-Mäuse werden oft als Tiermodell für den Typ-1-Diabetes in der Forschung eingesetzt. Diese Forschungen sind aber auf den Diabetes bei Menschen nicht übertragbar, und es liegen dazu an Menschen keinerlei Untersuchungen vor.
Es wird im Internet auch von manchen Herstellern behauptet, CBD wirke günstig auf Folgeschäden des Diabetes – auch hierfür gibt es keine wissenschaftlichen Belege aus Untersuchungen an Menschen mit Diabetes. Den Blutzuckerspiegel beeinflussen die CBD-Zubereitungen auch nicht. Zusammenfassend muss man also feststellen, dass es nach allen bisherigen wissenschaftlichen Untersuchungen keinen Beleg für eine Bedeutung der CBD-Präparate in der Diabetesbehandlung gibt.
In der Werbung wird angedeutet, dass man mit CBD-Produkten dem Entstehen eines Typ-2-Diabetes vorbeugen kann, aber auch hierfür gibt es keine wissenschaftlichen Belege. Angeführt werden verschiedene Möglichkeiten der Wirkung von CBD, unter anderem auf den Darm. Zwar wissen wir heute, dass der Darm direkt mit unserem Gehirn, Hormonsystem und vielen anderen Organen und Systemen des Körpers verbunden ist.
In Forschungen wurde sogar entdeckt, dass Darmbakterien Stoffe bilden, die die Bildung von Serotonin, Dopamin und anderen chemischen Verbindungen aktivieren, die mit dem Gefühl des Wohlbefindens zusammenhängen. Aber ob und wie all diese noch wenig erforschten Zusammenhänge von CBD beeinflusst werden können, ist noch völlig unklar.
Bei der Werbung für Medikamente gibt es sehr genaue Vorschriften, und für verschreibungspflichtige Medikamente darf gar nicht öffentlich geworben werden. Die Hanföl-Präparate werden aber nicht als Arzneimittel angesehen. Deshalb unterliegt die Werbung für sie kaum einer Kontrolle, und man kann fast ungestraft recht eigenartige Dinge behaupten. In den USA wurden Hersteller von CBD-Produkten schon mehrfach von der Gesundheitsbehörde FDA abgemahnt.
Neben dem CBD enthält das Hanföl noch viele andere Stoffe, die längst nicht alle genau untersucht sind. Weil aber entsprechende Untersuchungen zum heutigen Zeitpunkt nicht vorliegen, sollte man gegenüber der Reklame für die vielen Angebote mit diesen Substanzen sehr kritisch sein. Die unverantwortlichen, voreiligen Meldungen über angeblich erfolgreiche Behandlungen des Coronavirus waren ein sehr trauriges Beispiel für solche verfrühten „Fake News“ in der Medizin.
Die Europäische Kommission (EK) hat im Jahr 2020 Anträge für die Aufnahme von CBD in ihren Katalog für neuartige Lebensmittel ausgesetzt und erklärt, dass CBD besser als Betäubungsmittel im Rahmen des Einheitsübereinkommens der Vereinten Nationen (UNO) über Betäubungsmittel von 1961 geregelt würde. Sollte die EU bei dieser Ansicht bleiben, wäre dies ein schwerer Rückschlag für einen mittlerweile schon beachtlichen Markt. Die jährlichen Ausgaben für CBD-haltige Präparate in der EU werden für 2020 auf insgesamt 8,3 Milliarden Euro geschätzt.
Selbst wenn die EU nicht bei diesem Entwurf bleibt: Auch in Deutschland fordern die Behörden für CBD-haltige Produkte einen Antrag auf Zulassung als Arzneimittel oder einen Antrag auf Zulassung eines neuartigen Lebensmittels – es sind also noch spannende Auseinandersetzungen um die CBD-Präparate zu erwarten, die es mittlerweile sogar in Form von hübschen Gummibärchen gibt. Manche Apotheker, die auch Cannabis abgeben, forderten kürzlich, dass CBD-haltige Mittel verschreibungspflichtig werden sollten – da ist noch viel kontroverse Diskussion zu erwarten!
Im August 2020 veröffentlichte das Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg eine Untersuchung, in der 49 Lebensmittelproben von CBD-Produkten untersucht wurden. Fast die Hälfte der Proben wurde aufgrund eines zu hohen THC-Gehalts als nicht sicher beurteilt. Ein ähnliches Ergebnis zeigte sich bei Kosmetikprodukten. In 9 von 40 Proben wurden Teile der Hanfpflanze gefunden, die nicht zur Verarbeitung zugelassen sind … noch ein Grund mehr, diese Produkte kritisch zu betrachten.
Zu den vielen anderen Krankheiten, bei denen CBD-Präparate angewandt werden, möchten wir hier nicht Stellung nehmen – das Thema würde ein Buch füllen. Bezüglich des Diabetes gibt es aber zurzeit keinen wissenschaftlich belegten Grund, eine Zubereitung von CBD einzunehmen. Viel Forschung ist noch nötig, und auch die zahlreichen anderen Substanzen im Hanföl sind vielleicht eines Tages für die Medizin interessant.
Heute sollte man Menschen mit Diabetes raten, der bewährten Ansicht des berühmten Internisten Prof. Sir William Osler (1849 – 1919) zu folgen: Er sah in seinem Leben viele Medikamente kommen und gehen und warnte vor übereilter Begeisterung für Neues. Er riet den Ärzten schon vor über 100 Jahren: „Man sollte nie der Erste, aber auch nicht der Letzte sein, der ein neues Medikament verschreibt.“
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2021; 70 (2) Seite 24-27
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