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Wenn der Schmerz seine natürliche Funktion als Warnsignal verliert, wenn er ständig vorhanden ist und sich verselbstständigt, kann er die Betroffenen zermürben. Im folgenden Artikel sagen wir, wie es dazu kommen kann.
Schmerz ist für uns alle lebenswichtig, sogar überlebenswichtig, denn er dient als Warnsignal und hat die Aufgabe, den Körper zu schützen, indem er auf eine tatsächlich stattfindende Verletzung oder auch drohende Gewebeschädigung hinweist. Meist geht dem Schmerz ein Reiz voraus, der zeitlich und örtlich begrenzt ist – z. B. der Kontakt mit einer brennenden Kerze; in dem Fall spricht man von einem akuten Schmerz.
Chronischer Schmerz dagegen ist ein Sammelbegriff für einen ununterbrochenen Schmerz von mindestens 6 Monaten nach Beginn der Erkrankung, einer Verletzung oder einem Unfall. Oft ist den Betroffenen gar nicht mehr bewusst, was den eigentlichen Schmerz ausgelöst hat. Der Schmerz hat sich womöglich verselbstständigt und kann für das weitere Leben zur Qual werden.
Im Gegensatz zum akuten Schmerz, der meist wieder verschwindet, wenn z. B. die Wunde verheilt ist, kann sich ein chronifizierter Schmerz auswirken
In diesem Zusammenhang spricht man auch, je nach Ursache,
Seit einigen Jahren gibt es funktionell bildgebende Untersuchungsmethoden wie funktionelle Magnetresonanz-Tomographie (MRT) oder auch PET (Positronen-Emissions-Tomographie) und Magnet-Enzephalographie (MEG). Hierdurch ist es gelungen, das Gehirn genauer zu untersuchen – als Ursprung der subjektiven Wahrnehmung des Schmerzes und seiner Veränderung z. B. durch gedanklich-emotionale Faktoren. Nun wurde das bisherige bio-medizinische Modell (Ursache/Wirkung-Effekt) abgelöst durch ein bio-psycho-soziales Modell.
Man hat auch gesehen, dass der chronische Schmerz eine überwiegend “subjektive Wirklichkeit” für die Betroffenendarstellt, die sich hauptsächlich aus dem Befinden der Patienten und nicht aus medizinischen Befunden ergibt. So können Empfindungen, Gefühle, Wahrnehmungen und Gedanken die Schmerzwahrnehmung und das Krankheitsgeschehen massiv beeinflussen; der Schmerz ist also nicht mehr nur Symptom, sondern er wird selbst zur Krankheit. Psychosoziale Faktoren, die für die Schmerzchronifizierung verantwortlich sein können, sind im Info-Kasten dargestellt.
Psychosoziale Risikofaktoren, die das Chronischwerden des Schmerzes fördern können:
Einstellungen des Patienten, z. B.:
Verhalten, z. B.:
Arbeitsunfähigkeit, z. B.:
Diagnose und Behandlung, z. B.:
Familie, z. B.:
überbehütender Partner (“Wie eine Glucke!”)
fehlende soziale Unterstützung (“Keiner hilft oder interessiert sich.”)
Arbeit, z. B.:
(nach: Main, Waddell: Schmerzmedizin. Verlag Elsevier, 1998)
Nicht selten gibt es auch Patienten mit einem “Ganzkörperschmerz”, diffus ausstrahlenden Schmerzen (“wide-spread pain”), einer Sonderform des primär chronischen Schmerzes, bei dem keine organische Ursache gefunden werden kann – im Unterschied z. B. zur Fibromyalgie, die sich in der Regel auf die Muskulatur und Sehnen beschränkt. Neben den bereits genannten Auslösern des akuten Schmerzes und auch der chronischen Schmerzen können Erkrankungen der inneren Organe wieEntzündungen im Bereich der Gallenblase, der Leber, des Darms usw. Schmerzen verursachen.
Das Gehirn selbst ist schmerzunempfindlich, dagegen finden sich in unserem Körper zahlreiche Schmerzrezeptoren, die Nozizeptoren: Dies sind die Enden von Nervenfasern, die zu über 90 Prozent in der Haut lokalisiert sind, aber auch in den inneren Organen unseres Körpers, wo sie für die Schmerzweiterleitung verantwortlich sind.
Unter anderem folgende Reize werden von ihnen weiter über das Rückenmark zum Gehirn geleitet:
Neuropathische Schmerzen sind chronische Schmerzen. Sie entstehen nach einer Schädigung entweder zentraler (Rückenmark, Gehirn) oder peripherer nozizeptiver Systeme (z. B. Messfühler in der Haut), also schmerzverarbeitender Nerven selbst. Als Folge dieser Verletzung sind die zum Rückenmark oder Gehirn leitenden Nerven in ihrer Funktion verändert, ebenso der Schmerzcharakter. Typisch ist auch, dass trotz Gewebeheilung die Schmerzen fortbestehen können (Schmerzgedächtnis).
Von der Entstehung her unterscheidet man die
Besteht eine Funktionsstörung eines Nerven über längere Zeit, so hat das einen enormen Einfluss auf die Empfindlichkeit der Zellen im zentralen Nervensystem. Während also ein Akutschmerz ein wichtiges Warnzeichen ist und anzeigt, dass etwas nicht in Ordnung ist, hat der chronische Schmerz diese Alarmfunktion verloren; er zermürbt die Patienten körperlich und psychisch, wobei für die Chronifizierung im Wesentlichen zwei Dinge verantwortlich sind:
Normalerweise werden Schmerzreize vom Ort des Entstehens durch spezielle Nervenfasern ins Rückenmark geleitet. Von dort gelangen Informationen über bestimmte Schmerzbahnen zu den verschiedenen Regionen im Gehirn. Die Schmerzverarbeitung und -wahrnehmung erfolgt im Großhirn.
Wenn sich nun starke Schmerzsignale ständig wiederholen, kann sich ein Schmerzgedächtnis ausbilden. Die Folge ist, dass manchmal selbst leichte Reize wie eine Berührung, Wärme oder Dehnung plötzlich von unserem Körper als Schmerz empfunden werden. Es kann sogar sein, dass ein Schmerz ausgelöst wird, obwohl gar kein Reiz stattgefunden hat – zum Beispiel am amputierten Bein als “Phantomschmerz” bekannt.
C-Fasern
Ursache ist, dass im zentralen Nervensystem die Schädigungen eine Gedächtnisspur hinterlassen haben, so dass ständig Schmerzsignale erzeugt werden, ohne dass ein Auslöser dafür vorliegt. Je länger ein Schmerz besteht, umso tiefer gräbt er sich ins Gedächtnis ein und ist umso schwerer zu behandeln. Deshalb muss eine Schmerztherapie frühzeitig und konsequent durchgeführt werden.
von Dr. Gerhard-W. Schmeisl
Internist/Angiologie/Diabetologie/ Sozialmedizin,
Lehrbeauftragter der Universität Würzburg,
Chefarzt Deegenbergklinik,
Burgstraße 21, 97688 Bad Kissingen,
Tel.: 09 71/8 21-0, E-Mail: schmeisl@deegenberg.de
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2018; 67 (8) Seite 18-22
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