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Nicht nur gesellschaftliche, familiäre und persönliche Faktoren spielen eine Rolle beim Entstehen von Übergewicht und Diabetes: Womöglich kann auch das Übergewicht der Eltern vererbt werden. Ebenso können Umwelteinflüsse auf die Eltern Auswirkungen auf die Vererbung haben.
Seit Jahrzehnten ist bekannt, dass sich der Typ-2-Diabetes in hohem Maß aus dem entwickelt, was als Metabolisches Syndrom bezeichnet wird oder auch Wohlstandssyndrom bzw. Syndrom X. Einer der Haupt-Mitspieler des Metabolischen Syndroms ist die “Bauch-Adipositas” – eine Vermehrung des Bauchfetts: Sie spielt eine entscheidende Rolle beim Entstehen des Typ-2-Diabetes.
Wenn man jedoch aktuell von Diabetes, krankhaftem Übergewicht (Adipositas) und Metabolischem Syndrom spricht, denkt man reflexartig an Menschen mit Bewegungsmangel, Ernährung mit zu vielen Kalorien und mangelnder Motivation, daran etwas ändern zu wollen.
Einen eindeutigen Zusammenhang zwischen erhöhter Nahrungs- bzw. Kalorienzufuhr gibt es aber nicht für jeden Diabetiker! Wie sich die Ernährung auf das Diabetesrisiko auswirkt, zeigt eine große Studie (Metaanalyse) aus dem Jahr 2016: Hier wurden viele Studien untersucht hinsichtlich des Einflusses süßer Softdrinks und industriell hergestellter Fruchtsäfte auf das Diabetesrisiko.
In insgesamt 17 großen Studien wurden jeweils die Verschlechterung der Zuckerempfindlichkeit (Glukosetoleranz) und das Auftreten eines Diabetes untersucht. Das Ergebnis war beeindruckend: Das Diabetesrisiko stieg im Vergleich zum völligen Verzicht auf Softdrinks um 18 Prozent mit jedem Jahr, in dem 1-mal täglich ein gesüßter Softdrink getrunken wurde. Wurden in den Getränken Zuckerersatzstoffe verwendet, betrug die Risikoerhöhung sogar 25 Prozent, für industriell hergestellte Fruchtsäfte 7 Prozent.
Aus den Daten ergibt sich zumindest, dass für viele Menschen, die auf Süßes in den Getränken verzichten und dafür auf Zuckerersatzstoffe umsteigen, das Diabetesrisiko sogar noch höher wird, als wenn man gelegentlich mit Zucker süßt. Die genauen Gründe dafür sind noch nicht bekannt.
Was wir jedoch genau wissen, ist, dass die Anlage zum Typ-2-Diabetes in hohem Maß vererbt wird: zwischen 40 und 80 Prozent, wenn die Eltern oder Großeltern ebenfalls an Typ-2-Diabetes erkrankt sind oder waren. Andererseits haben bisherige Präventionsprogramme gezeigt, dass es Menschen gibt, die auf eine Lebensstilintervention (Gewichtsabnahme, Sport etc.) reagieren und andere nicht oder nur wenig.
Den Erfolg einer solchen Maßnahme kann man jedoch immer besser vorhersagen durch bestimmte genetische und andere Merkmale, z. B.
Merke: Offenbar gibt es ein Zeitfenster im Leben eines Menschen, währenddessen Umwelteinflüsse (Hunger, Überfluss an Nahrung etc.) sein Erbgut und damit auch das der Nachkommen beeinflussen können!
Heute beschäftigt man sich nicht nur mit der Vererbung (Genetik), sondern auch mit Epigenetik: Das sind sonstige Einflüsse, die uns Menschen ebenfalls sehr stark prägen. Man denke an bestimmte Umweltveränderungen wie Hungerzuständeim Krieg, die das Epigenom verändern, sprich die “Software” unseres Körpers; so wird schließlich möglicherweise auch unser Erbgut (“Hardware”) beeinflusst.
Inzwischen weiß man, dass erworbene Eigenschaften wie Übergewicht auch die Genregulation beeinflussen können und diese Veränderungen sogar an nachfolgende Generationen weitergegeben werden können. Die Frage ist: Welche Umwelteinflüsse können den “epigenetischen Schalter” umlegen: Ist es unser Ernährungsverhalten, das Bewegungsverhalten, das Rauchen, Stress etc.?
Studien zeigen, dass Übergewicht bzw. ein Diabetes der Mutter vor der Schwangerschaft das Risiko für Übergewicht und Diabetes bei den Kindern erhöht. Das Gleiche gilt für eine starke Gewichtszunahme während der Schwangerschaft.
Andererseits: Untersuchungen von Hungerperioden, z. B. des niederländischen Hungerwinters 1944/1945 oder gegen Ende des Zweiten Weltkriegs, in denen die tägliche Kalorienportion nur 667 kcal betrug, zeigten: Kinder, die während der frühen Schwangerschaft den Hunger ihrer Mütter quasi im Bauch miterlebten, entwickelten später häufiger Diabetes als Kinder, die vor und bei der Geburt diese Hungerperiode der Eltern nicht miterleben mussten.
Eine Forschungsgruppe am Institut für experimentelle Genetik, Helmholtz Zentrum München, konnte erstmals zeigen, dass die Hungerperiode als “epigenetisches Phänomen” die Steuerung der blutzuckerkontrollierenden Gene und damit wichtiger Eiweiße nachhaltig beeinflusst. Es ist bisher nur unklar, wie diese Informationen weitergegeben werden.
Durch mehrere Experimente an Mäusen konnte gezeigt werden, dass nicht nur gesellschaftliche, familiäre und persönliche Faktoren beim Entstehen von Diabetes und Übergewicht eine Rolle spielen, sondern dass die epigenetischen Informationen tatsächlich einen Einfluss auf Eizellen und Spermien haben und so an die nächste Generation von Menschen vererbt werden können.
Dass sich Pfunde nicht nur auf den Hüften der Menschen, sondern auch auf deren Erbgut ablagern, zeigt eine aktuelle, internationale Studie des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD), an der 10 Nationen mitgewirkt haben. Die Studie ergab, dass Übergewicht etwa 187 Gene verändert, die dann anders oder falsch reguliert wurden. Das betraf vor allem Gene für den Fettstoffwechsel, Sauerstofftransport, aber auch Entzündungsparameter.
Merke: Langzeituntersuchungen und Beobachtungen haben dazu geführt, zu erkennen, dass die Veränderungen der Gene Folge des Übergewichts waren und nicht dessen Ursache.
Im Zusammenhang mit dieser Forschung hat man weitere Marker entdeckt, anhand derer man das Risiko für das Entstehen eines Diabetes vorhersagen konnte: Seit längerem ist bekannt, dass das Übergewicht eines Elternteils das Risiko für das Übergewicht bei den Kindern erhöht. Das Risiko ist größer, wenn die Mutter übergewichtig ist, als wenn der Vater Übergewicht hat. Außerdem bestätigte sich, dass es offenbar ein gewisses Zeitfenster gibt, in dem sich Übergewicht oder Hungerzustände der Eltern negativ auf die Körper der Nachkommen auswirken kann.
Positiv zu vermerken ist: Die Auswirkungen auf die Gene der Kinder lassen sich umkehren, z. B. durch regelmäßige Bewegung und vernünftige Ernährung. Da viele dieser Veränderungen bisher nur im Tiermodell eindeutig beschrieben werden konnten, bleibt uns gegenwärtig nur, die bisher gültigen Empfehlungen zur Behandlung oder Vorbeugung des Diabetes, des Übergewichts bzw. des Metabolischen Syndroms zu befolgen, um womöglich negative Auswirkungen auf unsere Nachkommenschaft zu verhindern.
Dies bedeutet jedoch im Umkehrschluss, dass jeder Mensch auch durch sein Verhalten in gewissem Maß für die genetische Ausstattung seiner Nachkommen mit verantwortlich ist.
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Erschienen in: Diabetes-Journal, 2017; 66 (10) Seite 26-28
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