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Über Äthiopien sind meine Reisepartnerin Mona und ich nach Tansania gereist und haben dort noch eine Nacht im Hotel verbracht. Wie ich mich vorbereitet habe, warum ich diese Reise unbedingt machen wollte und was bis zu dem Morgen geschah, an dem der Aufstieg startete, könnt ihr im ersten Teil meiner Erzählung nachlesen.
Nun bin ich zusammen mit meiner Gruppe und den Guides auf dem beschwerlichen Weg hoch zum Kilimandscharo. Wie ich mit meinem Diabetes umgehe, wohin meine Pumpe verschwunden ist, warum Mona nun nicht mehr mit dabei ist und wie ich den Jahreswechsel auf über 4000 Metern Höhe erlebt habe, erfahrt ihr hier.
1. Januar 2020 / Tag 5:
An Neujahr sind wir erst um 10 Uhr gestartet – nicht wie sonst üblich um 6.30 Uhr. Wir mussten eine steile Wand, die Breakfast Wall, hochklettern. Es war rutschig und eng, und weil hier mehrere Routen zusammenlaufen, waren dort viele Menschen. Zum ersten Mal haben wir die Wanderstöcke zur Seite gelegt und sind geklettert. Wirklich beeindruckend war, wie die Träger die Felswände hochkraxelten.
Schließlich waren wir auf 4200 Metern Höhe, unser Ziel war aber das Karanga Camp auf 3995 Metern. Dort gibt es einen Helikopter-Landeplatz.
Nach dem Abendessen sind wir alle früh ins Bett. Nachts war es so kalt, dass ich nicht raus wollte, obwohl ich so dringend auf die Toilette musste. Es wurde sogar so kalt, dass ich mein Gesicht kaum noch gespürt habe. Schließlich ging es aber doch nicht anders. Allein das Aufstehen hat mich schneller atmen lassen. Ich war sehr erschöpft und habe kaum Luft bekommen. Aber draußen habe ich den schönsten Sternenhimmel meines Lebens gesehen, dazu noch den strahlenden Mond. Wie wunderschön der Schnee im Schein des Mondes geglitzert hat! Ich hatte Tränen in den Augen. Die Sterne sahen aus wie kleine, funkelnde Diamanten, und es war so ruhig. Alles schien so weit weg. All die kleinen Alltagsprobleme waren so weit weg.
Glücklich im Karanga Camp angekommen / Quelle: Bilge Özyurt
2. und 3. Januar 2020 / Tag 6 und 7:
Nach dem Frühstück haben wir wieder gemeinsam gesungen und sind gegen 9 Uhr ganz langsam weiter hochgeschlichen. Unser Vorteil war: Unsere Schlafplätze waren die mit am höchsten gelegenen im Camp – so hatten wir einen kleinen Höhenvorsprung und mussten den Aufstieg nicht vom untersten Punkt des Camps beginnen. Der Weg war an diesem Tag nicht so weit, und bald kamen wir im Barafu Camp auf 4670 Metern Höhe an, wo es sehr windig war.
Um 17 Uhr gab es Abendessen, auch eine Besprechung mit Ben stand noch an. Um 22 Uhr wurden wir geweckt und nach einem Snack ging es um 23 Uhr los, mit Stirnlampen und zusammen mit ganz vielen anderen Gruppen.
Es war windig und kalt, und ich war einfach nur total kaputt. Ich konnte auch nicht mehr auf meine Pumpe schauen, weil alleine das Öffnen des Reißverschlusses meiner Hosentasche zu anstrengend war. Der Sternenhimmel war wunderschön, aber das konnte ich nun nicht genießen. Ich war so müde, dass ich beim Gehen fast eingeschlafen bin. Pausen durften wir nicht machen, weil es so windig und kalt war.
Ich war so kaputt, dass ich meinen Rucksack mit der Trinkblase darin nicht mehr tragen konnte. Ich wollte mich auf den Boden legen und schlafen. Meine Tasche hat einer der Guides – Rafael – genommen. Ich war nun alleine mit Rafael unterwegs. Mir ging es so schlecht, dass ich alle 5 Minuten nur noch „Helikopter“ gesagt habe, weil ich wollte, dass der Hubschrauber mich abholt. Aber Rafael hat mich immer wieder ermutigt und gesagt, dass ich stark bin und es schaffe. Seine Anstrengungen, mich zu motivieren, wirkten, hielten aber immer nur 5 Minuten an, bis ich wieder „Helikopter“ gemurmelt habe. Ich musste mich wirklich oft hinsetzen und hatte auch ein schlechtes Gewissen wegen Rafael, der schon sichtlich gezittert hat. Trinken konnte ich nun nicht mehr viel, weil der Schlauch meiner Trinkblase eingefroren war.
Plötzlich hat mein CGM-System nicht mehr funktioniert, und ich wusste nicht, ob das jetzt an der Höhe lag oder ich im Unterzucker oder im Überzucker war. Ich weiß nur noch, dass ich Rafael einmal gesagt habe: „Just go, I want to die here.“
Blick vom Uhuru Peak – der Sonnenaufgang / Quelle: Bilge Özyurt
Er hat mich aber zum Glück nicht zurückgelassen. Jedes Mal hat er gesagt, dass ich noch 5 Minuten weiterlaufen soll, bevor er den Helikopter ruft. Wenn man bedenkt, dass das 7 Stunden lang so weiterging, ist klar, dass sein „Hakuna Matata“ mich irgendwann total genervt hat. Ich war so frustriert. Aber irgendwann sagte er: „Bilge, schau einfach mal nach oben.“
Und da war schon das Schild vom Stella Point. Ich hatte im Dunkeln gar nicht gemerkt, dass ich genau davorsitze und mich selbst bemitleide. Der Stella Point mit 5746 Metern gilt offiziell als der Punkt, an dem man den Berg erfolgreich bestiegen hat. Und plötzlich hatte ich vor lauter Freude so viel Kraft, dass ich noch weiter hoch auf den Uhuru Peak wollte, auf 5895 Meter. Ich habe meinen Entschluss schnell bereut, aber Rafael hat mich weiter ermutigt. Und dann hatte ich es geschafft: Ich war am Uhuru Peak angekommen.
Zufällig habe ich direkt dort meine Gruppe wieder getroffen. Auch Jana, die zuvor neben mir erbrochen hatte, hatte es bis zum Gipfel geschafft. Wir haben uns alle umarmt. Ich war überglücklich, doch nicht wirklich klar bei Verstand. Ich wollte mich den Berg hinunterrollen, um als Erste im Camp zu sein und schlafen zu gehen. Das hat Ben glücklicherweise verhindert. Und je mehr wir an Höhe verloren haben, desto klarer wurde ich wieder im Kopf. Ich hätte nie gedacht, dass die Höhenluft bewirkt, dass ich mich wie eine Idiotin verhalte. Ist aber gut zu wissen.
Das Beste, was man gegen die Höhenkrankheit tun kann, ist, so schnell wie möglich abzusteigen. Ich hatte keine Übelkeit oder Kopfschmerzen. Ich war aber extrem müde und benommen. Bis heute weiß ich jedoch nicht, ob die Ursache dafür die Höhe oder eine Unterzuckerung war. Wahrscheinlich beides.
Auf den nächsten beiden Bildern seht ihr den Weg nach unten.
Der Weg bis ganz nach unten hat noch einige Tage gedauert, aber ich war einfach nur froh und glücklich, Mona bald wiederzusehen und sie in meine Arme zu schließen, meine beste Freundin.
Den Berg zu erklimmen, war nur ein äußeres Ziel, und ich bin dankbar für jede Person, die ich auf meinem Weg kennenlernen durfte, für die gegenseitige Unterstützung. Es war nicht nur der Berg, den ich bezwungen habe, sondern vielmehr bin ich innerlich daran gewachsen und habe all die Barrieren in mir durchbrochen, die mich bisher von meinen Träumen abgehalten haben.
Das war ganz unten, nach dem Abenteuer. Ein Blick zurück nach dem Abstieg … / Quelle: Bilge Özyurt
Diesen Moment werde ich nie vergessen und kann ihn in Gedanken immer wieder durchleben. Ich freue mich auf die Zukunft und weiß nun, dass ich wirklich alles schaffen kann, was ich mir vornehme – mit den richtigen Menschen um mich herum. Und egal, welche Schicksalsschläge einen treffen: Wir sollten versuchen, das Beste daraus zu machen. Vielleicht sollten wir das Leben auch nicht so ernst nehmen. Ich bin dankbar für die vergangenen Jahre und offen für die, die noch kommen.
Danke Kilimandscharo, dass du mir erlaubt hast, dich zu erklimmen. Hakuna Matata!
Reisen mit Diabetes, das große Thema findet auch in unserem neuen Coaching-Bereich einen Platz!
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