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Max Besgen schildert, wie er sich auf seinen 4-monatigen USA-Aufenthalt vorbereitet hat und was ihn bei seiner Ankunft erwartete.
Erst wollten ihn seine Eltern nicht gehen lassen – aber im Sommer 2010 ging es dann doch los – und zwar nach New York. Für das Diabetes-Eltern-Journal hat Max Besgen aufgeschrieben, wie er sich auf die vier Monate in den USA vorbereitet hat und welche Abenteuer in New York auf ihn warteten.
Sein Diabetes hat dabei natürlich auch eine Rolle gespielt – und so enthält sein Reisebericht auch viele praktische Tipps und Erfahrungen.
“Ich bin dann mal weg“ – so einfach geht´s als Austauschschüler nicht und erst recht nicht als Austauschschüler mit Diabetes. Wo ein Wille, da ein Weg – diesen Spruch im Ohr habe ich mich auf die Pfade des Internets begeben, um meinem Traum von einem Auslandsaufenthalt näherzukommen.
Nach einer langen Vorbereitungszeit mit vielen, vielen E-Mail-Anfragen an Schulen in der ganzen Welt und viel Überredungskunst bei meinen Eltern, die gerade wegen meiner Krankheit große Bedenken hatten, stand der Verwirklichung meines Traums im Frühsommer 2010 nichts mehr im Wege.
Ende der Sommerferien hieß es für mich Koffer packen und ab ins Flugzeug nach Amerika – an die Ostküste, nach New York! Vier Monate konnte ich dort bei einer Gastfamilie wohnen und die Green Meadow Waldorf School besuchen.
Ohne Organisation im Hintergrund habe ich seit Beginn 2010 sämtliche englischsprachigen Waldorfschulen in der Welt angeschrieben. Im Gegenzug zu meinem Auslandsaufenthalt sollte auch ein Schüler für einige Zeit nach Deutschland zu mir nach Hause kommen. Leider habe ich dazu keine positive Antwort erhalten. So fiel Anfang Mai die Entscheidung für einen einseitigen Austausch an der Schule in New York.
Die Schreiberei und Warterei auf Antworten von den Schulen war teilweise etwas nervig. Parallel dazu lief die Überzeugungsarbeit, die ich bei meinen Eltern leisten musste. Mein Alter – ich bin 15 Jahre alt – und meine Krankheit ins Feld führend, wollten sie mich immer wieder von meinem Vorhaben abbringen und sprachen sich für einen Auslandsaufenthalt nach der Schulzeit aus. Meine Hartnäckigkeit und mein guter HbA1C-Wert bei der Routineuntersuchung im Frühjahr konnten irgendwann die starre Haltung meiner Eltern aufbrechen.
Nachdem ich das endgültige Okay der Schule erhalten hatte und ich mit der Unterstützung meiner Eltern rechnen konnte, galt es nun, alle nötigen Bescheinigungen und Impfungen zu besorgen und einen Termin mit der Diabetologin zu vereinbaren. Nach US-Vorgaben musste ich mich einer ärztlichen Untersuchung unterziehen und gefühlte 100 Impfungen über mich ergehen lassen. Probleme wegen meines Diabetes gab es keine.
Niemand, weder von der Schule noch von meiner Gastfamilie, hat nachgefragt, was es mit meinem Diabetes auf sich hat. Für mich sehr erstaunlich. Ich hatte sogar zwischenzeitlich etwas Bammel, dass die Familie einen Rückzieher machen könnte, nachdem sie von meiner Krankheit erfahren hatte.
Anfang der Sommerferien bin ich dann von meiner Diabetologin reisefit gemacht worden. Das Info-Gespräch war sehr hilfreich und ich empfehle jedem, sich vor einer Reise, mit einem Facharzt kurz zuschließen, denn man kann einfach nicht alles wissen.
Neben Hinweisen zu der Basalrateneinstellung vor dem Abflug (lange Wege auf dem Flughafengelände) und zum Umgang mit der Zeitverschiebung erklärte sie mir, mit welchen Besonderheiten ich in der Neuen Welt rechnen müsse: Zum Beispiel enthält amerikanisches Essen wesentlich mehr Kohlenhydrate und somit musste ich mit mehr BE/KE rechnen.
Mit den Rezepten für den Diabetesbedarf der nächsten acht Monate, denn ich habe alles doppelt mitgenommen, machte ich mich auf den Weg zum DiaExpert Fachgeschäft in Siegen.
Zur Sicherheit habe ich mich noch bei den Produktionsfirmen meiner Hilfsmittel (in meinem Fall bei Accu-Chek und der Insulinproduktionsfirma Lilly) erkundigt, ob die Hilfsmittel unter gleichem Namen in Amerika verfügbar sind. Sie sind es.
Um jeglichen Problemen mit meiner Pumpe vorzubeugen, habe ich mir außerdem kostenlos eine Leihpumpe bei Accu-Chek für den Zeitraum meines Aufenthalts besorgt. So einfach hatte ich mir das wirklich nicht vorgestellt: Zwei Wochen vor Abflug habe ich bei Accu-Chek angefragt, ob noch eine Leihpumpe verfügbar sei. Meine Frage wurde bejaht und die Pumpe wurde mir binnen zwei Tagen per Expresslieferung zugestellt.
Der Versicherungsträger der Auslandskrankenversicherung hat mich darüber informiert, an welche Ärzte ich mich im Notfall wenden soll.
Da ich einige Male nachts eine schwere Hypoglykämie hatte und dann eine Notfallinjektion angebracht ist, musste ich mir überlegen, wie ich meine Gasteltern auf Englisch auf diesen möglichen Hilfseinsatz vorbereite.
Dies empfehle ich jedem. Man sollte sich vorher überlegen, wie man Mitreisenden und Bekannten evtl. auch in einer anderen Sprache, eine Notfallsituation erklärt und ihnen außerdem mitteilt, wo sie Traubenzucker finden können.
Nun, neben den gesundheitlichen Aspekten bei der Vorbereitung, gab es auch eine Fülle von weiteren Formalitäten zu erledigen. Um ein Visum für die USA beantragen zu können, benötigt man eine Bestätigung der Schule, die man besuchen wird. Sechs Wochen vor Abflug hatte ich dieses Dokument immer noch nicht erhalten. Auf Anfragen per Mail oder Telefon wurde nicht reagiert. Endlich – zwei Wochen später – kam der erlösende Anruf und es wurde uns erklärt, dass ein Sturm jegliche Telefonverbindungen zerstört hätte.
Als das Dokument da war, war der Weg frei für die Botschaft, um dort das Visum zu beantragen. Vorab hatten wir uns etliche Stunden online durch den amerikanischen Behördendschungel geschlagen. Bei der Sicherheitskontrolle vor der Botschaft, die ähnlich wie im Flughafen abläuft, konnte kein Sicherheitsbeamter etwas mit meinem Blutzuckermessgerät anfangen.
Zuerst wollte man mich gar nicht in das Gebäude lassen, doch nach einiger Überzeugungsarbeit meinerseits, durfte ich die US-Botschaft dann – begleitet von einem Sicherheitsbeamten, der mein Messgerät trug – betreten. Erstaunlicherweise wurde ich nicht auf meine Insulinpumpe angesprochen, was mir auch sehr recht war. Mit der Zusage, das Visum in wenigen Tagen zugeschickt zu bekommen, verließ ich erleichtert die Botschaft.
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Das Kofferpacken gestaltete sich schwieriger als erwartet. Als ich mit Hilfe der speziellen Packliste für Menschen mit Diabetes alle nötigen Utensilien im Koffer verpackt hatte, bemerkte ich, dass der Koffer schon mit diesen Utensilien zu drei Vierteln war.
Da ich laut Ticket nur ein Gepäckstück mitnehmen durfte – jedes weitere kostet 110 Euro – habe ich bei der Fluggesellschaft angerufen, um mich zu erkundigen, ob ich aus medizinischen Gründen ein weiteres Gepäckstück kostenlos mitnehmen darf. Leider wurde dies abgelehnt. Da ich aber in jedem Fall ein weiteres Gepäckstück mitführen muss, musste ich in den sauren Apfel beißen und ein zusätzliches Gepäckstück anmelden.
Als ich am Vorabend des Fluges ein letztes Mal meine E-Mails checken wollte, bemerkte ich eine neue E-Mail von meiner Gasfamilie mit dem Betreff „your health“ – deine Gesundheit. Die E-Mail begann mit den Worten „I understand that you have Diabetes.“
Ich wurde nach meiner Auslandsversicherung gefragt und ob ich eine besondere Behandlung oder Diät benötigen würde! Einen Abend vor dem Abflug! Außerdem sollte ich mich „immediately“ bei der Schulkrankenschwester melden, um mit ihr alles Weitere zu besprechen. Da ich dort niemanden erreichen konnte, habe ich ihr einfach eine E-Mail geschrieben, und wir haben vereinbart, uns einen Tag nach meiner Ankunft zu treffen. Mehr konnte und wollte ich an dem Abend auch nicht tun – ich war aufgeregt genug!
Endlich – der Tag, auf den ich so lange gewartet hatte! Der Tag des Abflugs! Mit gemischten Gefühlen machten meine Eltern und ich uns auf den Weg zum Flughafen Frankfurt. Das Einchecken verlief problemlos – auch mit meinem zweiten Koffer, den ich als Übergepäck anmelden musste. Mit einem komischen Gefühl im Bauch ging ich in Richtung Zoll, dem Ort, an dem ich meine Eltern für vier Monate das letzte Mal sehen würde.
Bis zur Handgepäckkontrolle lief alles reibungslos. Als ich die Sicherheitskontrolle passierte, schaute eine Sicherheitsbeamtin nur einmal kurz in meinen Rucksack und sah sich die Insulinampullen genauer an. Meine Pumpe oder das Blutzuckermessgerät wollte niemand sehen. Auch das „Medical Certificate“, das einen zum Mitführen von z. B. Spritzen berechtigt, die normalerweise nicht mit an Bord gebracht werden dürfen, wurde nicht verlangt.
Während des Fluges traten keinerlei Probleme auf. Ich habe meine Basalrate hochgestellt, da ich mich im engen Flugzeug nur wenig bewegen konnte. Während des Fluges konnte ich nicht schlafen und so hatte ich viel Zeit, um z.B. meinen Blutzucker zu kontrollieren. Zirka alle zwei Stunden habe ich gemessen und so meinen Blutzuckerspiegel zwischen 80 mg/dl und 130 mg/dl (4,3 mmol/l – 7,2 mmol/l) halten können.
Als ich am Flughafen ankam, erschöpft von der Reise, wollte ich eigentlich nur noch zu meiner Gastfamilie und dann schlafen gehen. Doch so einfach sollte es nicht werden: Die erste halbe Stunde auf dem neuen Boden verbrachte ich mit Warten vor dem Einreiseschalter. Als ich endlich an der Reihe war und dem Beamten mein Visum zeigte, erklärte dieser mir, dass ein Formular fehlen würde und ich so nicht einreisen dürfe.
Glücklicherweise erklärte er mir dann, dass ich das fehlende Formular auch noch vor Ort ausfüllen könne und gab mir das in englischer Bürokratensprache verfasste Formular. 40 Minuten später stand ich mit ausgefülltem Formular wieder vor dem Beamten und wurde endlich zur Gepäckausgabe gelassen.
Meine beiden Koffer zogen als einzige noch ihre Runden auf dem Laufband, da alle anderen Passagiere schon lange aus dem Flugzeug und womöglich schon in ihren gemütlichen Hotelbetten waren. Nach einem Bett war mir nach diesem Tag auch zumute, aber ich war noch lange nicht angekommen! Noch einmal tief durch geatmet, mir selber Glück gewünscht und dann hinaus in die Wartehalle, wo meine Gasteltern auf mich warten sollten.
Doch niemand war da! Völlig geschockt ging ich hin und her und entschloss mich dann, dass es am besten sei, einfach zu warten. Als mir jemand erklärte, dass meine Gasfamilie bereits da gewesen war und sich, als ich nicht mit den anderen Passagieren meiner Maschine aus dem Terminal gekommen war, auf die Suche nach mir gemacht hätte und bald wieder käme, konnte ich mich etwas entspannen. Zehn Minuten später begrüßte ich meine Gasfamilie und wir machten uns auf den Weg in den 40 Kilometer entfernten, kleinen Ort Chestnut Ridge.
Ob während der Aufregungen nach der Landung meine Werte hoch gegangen sind, weiß ich nicht, da ich zu aufgeregt war, um ans messen zu denken. Ich vermute es nur. In Chestnut Ridge angekommen legte ich mich sehr bald ins Bett und schlief nach diesem 21- Stunden-Tag sofort ein. Die Uhrzeit in meiner Pumpe habe nach vorheriger Absprache mit meiner Diabetologin kurz vor dem Insbettgehen umgestellt.
Während der ersten Tage waren meine Werte erstaunlich stabil, ohne dass ich sonderlich darauf geachtet hätte. Im Gegenteil, ich denke, ich habe mich nicht gut um meinen Diabetes gekümmert. Aber so lange meine Werte gut waren – und das waren sie wirklich – hatte ich auch keinen Grund, dieses Verhalten zu ändern.
Doch dieses angenehme „Nichtstun“ stellte sich schnell als nicht effektiv heraus. Mit Schulbeginn, der eine Woche nach meiner Ankunft lag, stiegen auch meine Werte. Das andere Essen, die neue Umgebung und die ungewohnten Anforderungen wirkten sich doch stärker aus, als ich es erwartet hatte. Auch die Zahl der Unterzuckerungen stieg mit Schulbeginn, sodass ich mich dazu entschloss, meine temporäre Basalrate während des Schultages deutlich zu senken.
Das anstrengende Zuhören und Übersetzen und die Veränderungen ließen meine Werte deutlich schwanken. Doch nach der überstandenen Eingewöhnungsphase blieben diese Schwankungen aus, und ich konnte meine Pumpe wieder normal laufen lassen. Mit Hilfe der Schulkrankenschwester habe ich mit meinen Gasteltern alles Wichtige zu meinem Diabetes besprochen.
Das Einleben war sehr einfach. Nach den ersten paar Tagen war ich dem halben Ort bekannt. Mit meiner Familie verstand ich mich auch sehr gut und mein neues Zimmer mit dem übergroßen Bett war zum Glück sehr gemütlich.
Trotz der Nähe zu der Stadt New York liegt der winzige Ort Chestnut Ridge in einer wunderbaren Naturlandschaft. Gerade während des Indian Summer war es traumhaft – man kann im November bei über 20°C durch die Wälder gehen. Die amerikanische Tierwelt empfängt einen sofort, wenn man aus dem Haus geht. Unzählige Truthähne, Eichhörnchen und Streifenhörnchen laufen einem morgens auf dem Schulweg über den Weg.
Doch nicht nur die Tierwelt weckte mein Interesse, sondern natürlich auch die Metropole New York City. Für einen Provinzler aus Siegen wie mich waren diese Eindrücke der ersten Ausflüge nach New York einfach umwerfend. Dass sie mich nicht sprichwörtlich durch eine Hypo umwarfen, dafür sorgte ich mit vermehrten Messungen und flexiblen Einstellungen der Pumpe!
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Vier Monate an fremden Tischen, vier Monate amerikanische High School – vier Monate American Way of Life! Bevor es für mich nach Amerika ging, hatte ich wirklich keine Ahnung von Amerika. Klar, Wirtschaftsmacht USA, drittgrößtes Land auf diesem Planeten, Hauptstadt Washington D.C., 50 Bundesstaaten und Land der unbegrenzten Möglichkeiten.
Mein stereotyper Amerikaner war dick, lief mit Cowboystiefeln herum, aß Hamburger und trank Cola. Aber da hörte es auch schon auf. Um ehrlich zu sein, war mein Amerikabild doch sehr lückenhaft und klischeegeprägt! Zum Glück wurde ich sofort nach meiner Ankunft in New York eines Besseren belehrt, als mich meine Gastfamilie herzlich am Flughafen empfing.
Burger, Pommes und jeden Tag Steak. So stellen sich manche Menschen die amerikanischen Essgewohnheiten vor. Das wird in einigen Fällen auch zutreffen, allerdings nicht in meinem. Glücklicherweise ist meine Familie sehr gesundheitsbewusst, und aus diesem Grund gab es auch nur biologisches Essen.
Um meine Ernährung musste ich mir also keine Sorgen machen. Alle Produkte wurden nahezu ausnahmslos in dem Bioladen des Ortes gekauft. Außerdem war Kochen eines der größten Hobbys meiner Gasteltern. An manchen Tagen standen sie schon mittags am Herd, um das Abendessen vorzubereiten.
Im Allgemeinen ist das amerikanische Essen stark mexikanisch geprägt. So aßen wir häufig Tacos mit Hackfleisch und Käse. In keinem Essen fehlte Knoblauch. Wenn es schon keine ganzen Knoblauchzehen im Essen gab, dann wurde auf jeden Fall Guacamole verwendet, ein mexikanischer Avocado-Dip mit viel gepresstem Knoblauch. Obwohl gerade Knoblauch nicht unbedingt mein Lieblingsgewürz ist, schmeckte es mir immer sehr gut.
Natürlich habe ich auch versucht, meiner Familie auf Zeit einige typisch europäische Gerichte schmackhaft zu machen. Zum Geburtstag meiner Gastmutter habe ich einen Frankfurter Kranz selbst gebacken.
Big Apple, Manhattan. verstopfte Straßen, Menschen überall. Mittendrin ragt das Empire State Building in den Himmel. Die Brooklyn Bridge überspannt den East River. Der Geruch von Hot Dogs, das Hupen der Taxis. Atemberaubend! New York!
Vom etwa 40 Kilometer entfernten Chestnut Ridge, meinem Wohnort, braucht man eine gute Dreiviertelstunde nach Manhattan. Am zweiten Schultag hatten wir wegen des jüdischen Neujahrsfestes zwei Tage schulfrei. Mit zwei anderen Austauschschülern und zwei „Einheimischen“ machte ich mich auf den Weg in die Stadt der Städte. Mit dem Bus ging‘s los. Die Kamera im Anschlag hing ich fast die ganze Busfahrt über am Fenster.
Und dann sah man sie! Die Stadt an der Ostküste, von der jeder bestimmt schon mal ein Bild gesehen hat; ob unbewusst in einem der zahlreichen Filme, die in New York spielen oder auf anderswo. Mein wunderbarer Ausblick wurde jäh von einer riesigen Schallschutzwand verdeckt, die den Lärm tausender Autos zurückhalten soll, die täglich in die Innenstadt drängen.
Da Manhattan eine Insel ist, kann man nur über Brücken oder durch Tunnel sein Ziel erreichen. Unser Bus nahm den Tunnel. Daraus aufgetaucht wurde der Bus direkt durch ein völlig undurchschaubares Verkehrssystem geleitet, sodass wir uns kurz darauf im fünften Stockwerk eines Bus-Terminals befanden. Aus diesem Busparkhaus ging es per Rolltreppensystem zum Ausgang.
Als ich aus den Türen des Terminals trat, konnte ich mich für einen Moment nicht bewegen. Es war einfach zu überwältigend! Den beiden anderen Austauschschülern erging es nicht anders. Vor uns erhob sich das gigantische New York Times Building! Das ständige Hupen der Taxis und die Menschen erzeugen ein Surren, das einen, wenn man es zum ersten Mal hört, hypnotisiert.
Unsere Starre löste sich erst, als wir eine der Glastüren in den Rücken gerammt bekamen. Die Lady, die gerade aus der Tür kam, als wir uns umsahen, unterbrach ihr hektisches Telefonat für uns mit einem schnellen „Sorry!“. Das war also New York.
Nach den ersten fünf Minuten, die wir in Richtung Times Square liefen, war ich schon müde und geschafft von all den Eindrücken! Wir hatten noch nicht einmal unser erstes Ziel erreicht, als wir uns eine Pause an einem der unzähligen Imbissstände gönnten. In New York etwas zu essen zu finden, ist wirklich die einfachste Aufgabe für Touristen und natürlich auch für Einheimische; einen schnellen Snack gibt es an jeder Straßenecke.
Trotz der vielen Snacks zwischendurch, sollte man auf keinen Fall unterschätzen, wie anstrengend es ist, umherzulaufen und alle die gigantischen Eindrücke aufzunehmen. Meine Erfahrung hat gezeigt, dass trotz einer drastisch gesenkten Basalrate und einigen Extra BEs, der Blutzucker sehr schnell in Bereiche sank, die im Allgemeinen gemieden werden sollten.
Die ersten zwei bis drei Besuche in New York kann ich mit einem intensiven Sporttag zu Hause in Deutschland vergleichen. Das heißt, zwei Stunden New York waren in etwa so energiezehrend wie 45 Minuten schnelles Joggen! Auf einen Tag hochgerechnet, kam da Einiges an Energiebedarf zusammen. Nach dem fünften Besuch in der Stadt hatte sich mein Körper glücklicherweise etwas angepasst, sodass ich mich nicht eine ganze Woche von einem Tag New York erholen musste.
Ob Empire State Building, Statue of Liberty, Central Park, Times Square, Brooklyn Bridge oder Rockefeller Center, keine Touristenattraktion war vor uns, den Austauschschülern, sicher. Mit Hilfe unserer amerikanischen Mitschüler konnten wir New York auch hinter seinen touristischen Kulissen erleben.
Als bei unserem zweiten Besuch kein Wölkchen am Himmel zu sehen war, ergriffen wir unsere Chance und uns machten uns auf den Weg zum Empire State Builing. Seit dem 11. September 2001 haben sich die Sicherheitskontrollen in den USA wesentlich verschärft. So ist es zum Beispiel verboten, die Börse in der Wall Street zu besichtigen oder ohne ausgiebige Kontrollen das Empire State Building zu erkunden. Doch die damit verbundene lange Wartezeit sollte sich lohnen.
Nachdem ich die Sicherheitchecks ohne jegliche Probleme passiert, den Aufzug genommen und auf eigenen Wunsch die letzten 20 Stockwerke zu Fuß erklommen hatte, wurde der grandiose Blick auf eine Stadt frei. New York von oben ist einfach umwerfend – wie eigentlich alles dort. Aber diese riesigen Hochhäuser unter sich liegen zu sehen, ist schon ein besonders erhabenes Gefühl.
Auch der Blick auf den Atlantik ist beeindruckend. Dort oben in fast 400 Metern Höhe kann man sogar die Krümmung der Erdoberfläche erkennen!
Wer einmal in New York war, ist wie infiziert. Man muss einfach nochmal hin – jedenfalls ging es mir so. Es gibt so unendlich viel zu entdecken.
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Doch neben dem Entdecken muss man sich erst viele Eigenschaften angewöhnen, um vom typischen Touristenbild wegzukommen. Spontanität spielt da eine große Rolle: Ein Samstagmorgen, die Sonne scheint, der Wecker klingelt und ich – überhöre ihn natürlich. Alle stehen am Treffpunkt bereit, nur einer liegt noch in seinem Bett, ich.
Als dann 15 Minuten vor Zugabfahrt jemand bei uns zu Hause anruft und ich daraufhin geweckt werde, bleiben mir gerade einmal drei Minuten um 1. mich anzuziehen, 2. zu essen, 3. mich zu waschen, 4. meine Sachen zu packen, 5. meine Ampulle aufzufüllen, beziehungsweise meinen Katheter zu wechseln, und 6. mein Geld zu nehmen. Mangels Zeit erledige ich nur Punkt 1.
So kommt es dazu, dass ich immerhin angezogen, mit zwölf Resteinheiten Insulin in der Ampulle, dafür aber hungrig, ohne Geld und ohne meinen Katheter gewechselt zu haben, im Zug sitze und die Fahrt mehr schlecht als recht meistere.
Da der Hunger mich zu sehr belastet, folge ich dem amerikanischen Vorbild und bestelle mir ein Frühstück bei einer Fast Food-Kette. Während ich zwei Croissants mit Schinken und Käse und einen Orangensaft verzehre, mache ich mir Gedanken, wo ich am besten meinen Katheter wechseln könnte und komme zu dem Schluss, dass die Restauranträume wohl ausreichen müssten. Also fülle ich an Ort und Stelle meine Pumpe mit Insulin und setze mir auch noch einen frischen Katheter. Ein paar irritierte Blicke bekomme ich schon, aber das störte mich in dieser Situation nicht im Geringsten.
Eines Abends telefonierte ich mit einem Freund und uns kam die wahnwitzige Idee, einen Kurztrip nach Washington D.C. zu machen. Nachdem wir am nächsten Morgen in der Schule alles weitere besprochen hatten, fragte ich am folgenden Abend, ob mir meine Gasteltern diesen Trip überhaupt erlauben. 15 Minuten später hatte sich meine Gastfamilie mit den Eltern meines Freundes abgestimmt und direkt übers Internet zwei Plätze in einem Bus gebucht.
Als wir in Washington ankamen, blieben uns gerade einmal vier Stunden, bevor unser Bus wieder abfuhr. Als erstes steuerten wir selbstverständlich das Weiße Haus an, danach das Washington Monument, das Lincoln- und Zweite Weltkriegsmemorial, das Air and Space Museum und schließlich das Capitol. Danach hatten wir gerade noch Zeit, uns im Souvenirshop ein paar Andenken an diesen unglaublichen Tag zu kaufen.
Doch damit nicht genug. Einmal auf den Geschmack gekommen, hatten Paul und ich direkt die nächste Kurzreise vor Augen. Eine Woche später ging es dann nach Boston, zu Bekannten von Paul, die vor einigen Jahren in die USA ausgewandert waren. Nachdem wir von der Schule zwei Tage frei bekommen hatten, buchten wir beim gleichen Busunternehmen – „Bolt Bus“ – die Fahrt nach Boston. Alles verlief reibungslos!
Die fünf Tage, die wir in Boston verbrachten, ließen wirklich keine Wünsche offen. Direkt am ersten Tag besuchten wir mit der Familie, bei der wir wohnten, ein Basketballspiel der Extraklasse. Zwei der besten Baskteballmanschaften der Welt trafen sich an diesem Abend in der Boston Celtics Arena. Denver Nuggets vs. Boston Celitcs hieß die Partie. Als die Boston Celtics dann auch noch mit 105 – 89 gewannen, war die Stimmung in der Arena und auch außerhalb einfach grandios! Auch nach so einem aufregenden Tag, waren meine Werte immer in unbedenklichen Bereichen.
Am nächsten Morgen ging das Programm direkt weiter. Ein Tag an einer amerikanischen High School stand auf dem Programm. Da wir beide in den USA wie auch in Deutschland eine Waldorfschule besuchen, war dieses Erlebnis besonders interessant. Diese Schule – mit ca. 3.000 Schülern in vier Jahrgängen – gilt als Hauptdrogenumschlagsplatz in Massachusetts und als die am höchsten verschuldete Schule dieses Bundesstaates.
Während des zweistündigen Kochkurses bereiteten wir Spaghetti zu, die dann man geriebenen Knoblauchzehen serviert wurden. Sehr kulinarisch. Dieser Besuch war für mich ziemlich abschreckend. Neben einigen Besuchen in Boston schauten wir uns außerdem die Harvard University und den kleinen Ort Concord an (In diesem wohnen die meisten Nobelpreisträger pro km² weltweit).
Gerade der Besuch in Boston wirkte sich nicht unbedingt positiv auf meine Blutzuckerwerte aus. Auch, weil mein Austausch schon fast zu Ende war, habe ich mich weniger auf meinen Diabetes als auf alles andere konzentriert. Es gab einfach zu viel zu entdecken! Glücklicherweise waren die Auswirkungen nicht besonders tragisch.
In einem Land, in dem etwa 2/3 der Erwachsenen übergewichtig sind, ist es verständlich, dass Diabetes als Krankheit sehr bekannt ist. Trotzdem war ich überrascht, wie gut alle über Diabetes Bescheid wussten. Dass man mit seinem Diabetes in den USA nicht allein ist, merkt man schnell! Überall wird für Messgeräte geworben. Ob in Geschäften, Bussen oder U- Bahnen, die neuen Modelle verschiedener Hersteller sind immer dabei. So viel Werbung für Messgeräte kenne ich aus Deutschland nicht.
Während des Hinfluges – wie auch während des Rückfluges – habe ich zwei Katheter getragen, falls einer herausreißt, und zusätzlich noch einen weiteren im Handgepäck mitgeführt. Etwa eine Stunde vor der Landung habe ich die Zeit in meiner Pumpe umgestellt.
Der Anflug auf Frankfurt war beeindruckend! Wegen des vielen Schnees waren nur einige Landebahnen vom Schnee befreit und um das Flughafengelände herum, türmte sich der Schnee auf. Nach der Landung merkte man sofort, dass man wieder in Deutschland war. Zum einen sprach das Flughafenpersonal natürlich deutsch und zum anderen fand man sich in einer ruhigen und vor allem sauberen Atmosphäre wieder.
Alles in allem kann ich sagen, dass meine Werte während des Austauschs sehr gut waren. Natürlich gab es auch Ausnahmen, die mit dem Voranschreiten der Zeit immer öfter vorkamen. Gerade am Ende häuften sich Hypers und Hypos. Die vielen Eindrücke und wechselnden Tagesabläufe setzen dem Kreislauf doch mehr zu, als ich erwartet hatte. Auch wenn die Reaktionen nicht immer sofort kamen; sie kamen, manchmal auch erst dann, wenn man nicht mehr damit rechnete.
Zwei Wochen später hatte ich einen Termin bei meiner Diabetologin: Trotz einer schwierigen Umstellungssituation zu Hause und den vielen besonderen Momenten in Amerika, konnte ich mit einem für mich relativ guten HbA1c-Wert von 8,1 meine Zeit in Amerika abschließen. Und mir ist bewusst geworden: Ich kann alles schaffen, was ich will – auch mit Diabetes!
von Max Besgen
16 Jahre alt aus Siegen, Diabetes seit 2005, Pumpentherapie seit 2009
5 Minuten
Geschichten, Gemeinschaft, Gesundheit: Der Diabetes-Anker ist das neue Angebot für alle Menschen mit Diabetes – live, gedruckt und digital. Der Diabetes-Anker und die Community sind immer da, wo du sie brauchst. Für alle Höhen und Tiefen.
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