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Die Häufigkeit des Typ-1-Diabetes scheint weltweit anzusteigen, vor allem sehr junge Kinder sind vermehrt betroffen. Ein aktuelles Forschungsprojekt steuert dagegen und ist vielversprechend – gesucht dafür werden Menschen, bei denen der Diabetes gerade festgestellt wurde sowie Angehörige ersten Grades von Menschen mit Diabetes.
Typ-1-Diabetes betrifft weltweit rund 17 Mio. Menschen. Die Krankheit kann in jedem Alter auftreten, vom Säugling bis zum alten Menschen, entwickelt sich aber häufig bereits im ersten Lebensabschnitt, vor allem in der Pubertät. Noch fehlen wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse zu dem auslösenden Ereignis.
Im November 2018 trafen sich über 200 Diabetesforscher aus Universitäten und Pharmaindustrie, auch Labormitarbeiter, Studienkoordinatoren und Mitglieder des Patientenbeirats aus ganz Europa im Tagungszentrum Schæffergården bei Kopenhagen – und zogen Bilanz der ersten 3 Projektjahre des Forschungsprojekts „INNODIA“: Es wird über 7 Jahre mit 36 Mio. € von der Europäischen Gemeinschaft unterstützt.
INNODIA soll ein Netzwerk von Studienzentren entwickeln und entscheidende Erkenntnisse bringen, wie Typ-1-Diabetes entsteht bzw. wie er sich in den verschiedenen europäischen Regionen in verschiedenen Altersklassen (von Kindern bis Senioren) entwickelt.
Fortschritte in Projekten wie INNODIA sind dringend nötig: Etwa 300.000 Menschen mit Typ-1-Diabetes leben in Deutschland. Bei Erwachsenen steht der Typ-2-Diabetes mit 7 Mio. Betroffenen im Vordergrund – hingegen ist der Typ-1-Diabetes die häufigste Stoffwechselerkrankung im Kindes- und Jugendalter in Deutschland. In verschiedenen Studien der letzten Jahre zeigte sich ein deutlicher Anstieg der Häufigkeit auf der ganzen Welt, besonders jüngere Kinder sind zunehmend betroffen. Eine Verdopplung der neuen Erkrankungsfälle bei Kindern unter 5 Jahren wird bis 2026 erwartet.
Nach aktuellen Schätzungen leben in Deutschland ca. 18.500 Kinder und Jugendliche im Alter von 0 bis 14 Jahren mit Typ-1-Diabetes; in der Altersgruppe von 0 bis 19 Jahren sind etwa 32.500 Kinder und Jugendliche betroffen. In Deutschland gibt es kein Register für Diabetes-Erkrankungen, also kann die Zahl nur anhand lokaler Register geschätzt werden. Trotz der Häufigkeit des Typ-1-Diabetes ist das Wissen in der Bevölkerung darüber gering.
Warum gerade ich?, fragen sich die Menschen, nachdem die lebensverändernde Diagnose gestellt wurde. Und genau diese Frage lässt sich heute immer noch nicht gut beantworten. Sicher ist nur eines: „Schuld“ daran hat weder der Betroffene noch die Familie. Bis heute gibt es keine Heilung des Typ-1-Diabetes, nicht durch eine Verhaltensmaßnahme, eine Transplantation oder eine medikamentöse Behandlung. Die Zerstörung der insulinproduzierenden Betazellen in der Bauchspeicheldrüse mit der Folge eines Insulinmangels ist nicht reparabel.
Die auslösenden Faktoren für die Zellzerstörung sind nicht bekannt. Wir wissen aber, dass Erbanlagen (Gene), Umweltfaktoren (in Finnland gibt es am meisten Menschen mit Typ-1-Diabetes, in Japan ganz wenige) und das Immunsystem entscheidende Rollen spielen.
Verschiedene Zellen des Immunsystems spielen hier zusammen: B-Lymphozyten produzieren Eiweißstoffe, „Antikörper“, die gegen die Eiweißmoleküle der Langerhans-Inseln der Bauchspeicheldrüse gerichtet sind, in denen die Betazellen liegen. Diese Inselautoantikörper kann man meist schon Jahre bis Monate vor dem Ausbruch der Erkrankung im Blut nachweisen, es wird aber davon ausgegangen, dass diese Antikörper die Betazellen nicht direkt zerstören.
Die INNODIA-Forscher sind sich einig, dass für die Zerstörung der Betazellen andere Immunzellen des Körpers verantwortlich sind und zwar T-Lymphozyten und Makrophagen („Fresszellen“) oder dendritische Zellen. Die komplizierten Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Zellen des Immunsystems im Zusammenhang mit der Betazellzerstörung sind nicht komplett aufgeklärt – aber während der Tagung wurde dargelegt, dass Botenstoffe von aktivierten Immunzellen, die Zytokine, die Betazellen direkt schädigen können.
Selbst wenn der Typ-1-Diabetes schon diagnostiziert wurde, schreitet die Zerstörung der Betazellen voran. Interessant ist, dass nach Beginn der Insulintherapie bei vielen Patienten eine Erholungs- oder Remissionsphase einsetzt, die für eine vorübergehende Erholung der Betazellen spricht und während der nur wenig Insulin von außen gebraucht wird – und trotzdem die Blutzuckerwerte gut eingestellt ist. Ist diese Phase, die Wochen bis Monate und in Einzelfällen länger dauern kann, vorüber, muss das Insulin angepasst und in der Dosis erhöht werden.
Wie genau entsteht der Typ-1-Diabetes? Wie genau schreiten die Veränderungen in der Bauchspeicheldrüse voran? Gesucht werden Menschen, bei denen Typ-1-Diabetes gerade festgestellt wurde (1 bis 45 Jahre) sowie nicht betroffene Angehörige im selben Alter!
Hier geht es direkt zu http://detailliertenInformationenüberdieINNODIA-Studie
Europaweit haben sich über 1.000 Teilnehmer zur ausschließlichen Beobachtung des natürlichen Verlaufs der Typ-1-Diabetes-Erkrankung bereit erklärt. Gesucht werden weiterhin Menschen, bei denen der Diabetes gerade festgestellt wurde zwischen 1 und 45 Jahren. Diese werden bis zu 2 Jahre im Rahmen der Studie beobachtet, es sind 5 Untersuchungstermine geplant. Gesucht werden auch bislang nicht betroffene Verwandte ersten Grades von an Typ-1-Diabetes erkrankten Menschen zwischen 1 und 45 Jahren.
Insbesondere in Deutschland konnten noch wenige Patienten und Familien von Betroffenen zur Teilnahme an dem Projekt gewonnen werden – in anderen Ländern wie Slowenien oder Großbritannien ist die Bereitschaft dazu viel größer. Die gute Nachricht: Anfang 2019 werden die ersten Interventionsstudien in dem neuen klinischen Forschungsnetz durchgeführt, das aus Deutschland koordiniert wird.
Forscher aus Belgien und Großbritannien erstellten ein neues Studienprotokoll, welches in noch kürzerer Zeit verlässliche Ergebnisse erwarten lässt zu medikamentösen Behandlungsverfahren – zum Stopp der Autoimmunkrankheit Typ-1-Diabetes. Ähnlich wie bei der Behandlung von Krebs sollen dabei verschiedene Medikamente kombiniert werden.
Am Ende der Tagung fasste Jay Skyler, Diabetesforscher aus Florida und Leiter des unabhängigen Aufsichtsgremium der Studie, zusammen: „INNODIA hat in den ersten 3 Jahren bewiesen, dass eine Bündelung der Bemühungen durch einen Zusammenschluss aus 26 Einrichtungen sowohl der Grundlagenforschung, aber auch der klinischen Medizin und der Pharmaindustrie funktioniert.“
Mit den im Netzwerk geplanten Studien müssen jetzt die neuen medikamentösen Ansätze, die in der Pharmaindustrie gegenwärtig in der Entwicklung sind, ohne Verzögerung auf Effektivität geprüft werden. Bis zum nächsten Treffen im Herbst 2019 haben sich die INNODIA-Forscher viel vorgenommen.
von Prof. Dr. med. Thomas Danne
Chefarzt Kinderkrankenhaus auf der Bult,
Janusz-Korczak-Allee 12, 30173 Hannover,
E-Mail: danne@hka.de
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2019; 68 (1) Seite 18-19
5 Minuten
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