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Während der Jahrestagung der Deutschen Diabetes Gesellschaft im Mai in Berlin zog sich ein Thema durch viele Veranstaltungen: wie rasch der technologische Wandel auch die Diabetologie verändert. In diesem Zug kommt auch die Frage auf, ob der HbA1c-Wert nicht durch eine weitere Angabe, nämlich die “Zeit im Zielbereich” (Time in range) ergänzt werden sollte.
Immer mehr Menschen mit Diabetes in Deutschland benutzen schon heute unblutige Methoden, um ihre Gewebsglukose zu bestimmen.
Man fragt sich also schon, ob in fünf Jahren noch viele Menschen den Blutzucker messen werden oder ob dies genauso wie die früher weit verbreitete Urinzuckermessung bald der Vergangenheit angehört. In vielen Sprechstunden nimmt die Analyse der mit FGM- oder CGM-System gemessenen kontinuierlichen Glukoseverläufe daher einen großen Raum ein. Das hat auch Auswirkungen bei der Bewertung von Behandlungszielen.
Ein niedriger HbA1c-Wert als Ausdruck des Langzeit-Blutzuckers ist zur Zeit das allgemein anerkannte Behandlungsziel. Schließlich ist dies der Laborwert, der am besten das Risiko für mögliche Folgeerkrankungen abschätzen lässt.
Allerdings ist die Aussagekraft des HbA1c hinsichtlich der täglichen Blutzuckerschwankungen und des Risikos für Unterzuckerungen sehr begrenzt. Viele Kinder und Jugendlichen fühlen sich durch solche Schwankungen beeinträchtigt. Wissenschaftliche Studien zeigen einen Zusammenhang zwischen Schwankungen und schlechter Konzentrationsfähigkeit und Stimmung. Diese Schwankungen lassen sich im Gegensatz zum HbA1c-Wert mit der kontinuierlichen Messung (“Flash”, CGM) jedoch sehr gut erfassen.
Da natürlich auch Menschen ohne Diabetes Glukoseschwankungen haben, lassen diese sich auch mit der besten Insulinbehandlung nicht ganz vermeiden. Eine internationale Gruppe von Fachleuten hat daher einen Vorschlag zur Auswertung entworfen: Zur Beurteilung kontinuierlicher Glukosedaten wird die Zeit im Zielbereich (englisch “Time in range”, TIR) herangezogen. Die Experten haben zur besseren Vergleichbarkeit von einem Sprechstundentermin zum nächsten und bei der Auswertung von Studienergebnissen die prozentuale Zeit TIR, die im Verlauf der 24 Stunden zwischen 70 und 180 mg/dl (3,9 bis 10 mmol/l) liegt, als Bewertungsgröße für kontinuierliche Daten definiert.
Weil bisher wegen der Neuartigkeit dieser Technologien Langzeitdaten zu den Zeiten im Zielbereich noch nicht vorliegen, muss aber einschränkend festgestellt werden, dass es noch keine aussagekräftigen Studiendaten gibt, wie sich das Erreichen von mehr oder weniger Zeit im Zielbereich im Verhältnis zum Risiko für Folgeerkrankungen verhält.
Stellt sich die Frage, was denn nun eine “gute” Zeit im Zielbereich ist. Hundert Prozent TIR 70-180 mg/dl bzw. TIR 3,9-10 mmol/l werden auch die wenigsten Menschen ohne Diabetes haben. Die Zeit im Zielbereich TIR sollte immer auch im Verhältnis zur Zeit im niedrigen Bereich (prozentuale TIR unter 70 mg/dl bzw. unter 3,9 mmol/l) gesehen werden. Genauso wie beim HbA1c-Wert sollte dies immer individuell in der Diabetessprechstunde festgelegt werden.
Als eine erste Empfehlung haben die Fachleute vorgeschlagen, dass für Erwachsene mit Typ-1- bzw. Typ-2-Diabetes eine TIR von mindestes 70 Prozent angestrebt werden soll, während auf Grund der altersbedingt wesentlich ausgeprägteren Glukoseschwankungen bei Kindern und Jugendlichen eine TIR von mindestens 50 Prozent als Ziel definiert wurde. In den Diskussionen auf den Fachtagungen ist man sich einig, dass die Erfassung dieser Komfortzone der täglichen Glukosewerte hilft, Entscheidungen hinsichtlich notwendiger Änderungen in der Diabetesbehandlung zu treffen.
Studien zeigen, dass eine Reduktion von Glukoseschwankungen das Risiko für Unterzuckerungen senkt und mit einer größeren Behandlungszufriedenheit verbunden ist. Es bleibt abzuwarten, wie dieser neue Bewertungsparameter Eingang in die tägliche Routine bekommt.
In Amerika geht man schon einen Schritt weiter und bezieht solche Daten auch bei der Zulassung neuer Behandlungen in die Bewertung ein. Während der amerikanischen Zulassungsstudie mit der Sensor-unterstützten Hybrid Closed Loop”-Pumpe (Medtronic Minimed 670G, in Europa nicht erhältlich, siehe u. a. DEJ 3/2016) erreichten die 120 erwachsenen und jugendlichen Patienten in der Vergleichsphase ohne automatische Anpassung der Basalarate durchschnittlich eine TIR von 67 Prozent gegenüber 72 (nachts über 75) Prozent im “Automode”.
Für viele Experten, aber auch Patientenvertreter, bietet TIR wichtige patientenrelevante Zusatzinformationen als Grundlage für Therapieentscheidungen, die im HbA1c nicht oder nur unzureichend abgebildet sind.
Kurz vor der Jahrestagung der Amerikanischen Diabetes Gesellschaft Ende Juni hat daher eine Initiativgruppe aus Patienten, Ärzten und Wissenschaftlern (Beyond A1c Writing Group) in der Fachzeitschrift Diabetes Care ein Positionspapier verfasst, in dem auch die Zulassungsbehörden und die anderen Entscheider im Gesundheitswesen aufgefordert wurden, bei der Bewertung neuer Therapieverfahren über den HbA1c-Wert und schwere Unterzuckerungen als ausschließliche Parameter für den Erfolg der Behandlung hinauszuschauen.
Gefordert wird jetzt, vermehrt auch kontinuierliche Messdaten der Gewebsglukose zur Beurteilung einer neuen Behandlungsmethode zuzulassen. Bleibt zu hoffen, dass diese Diskussion auch in Deutschland und Europa aufgenommen wird.
von Prof. Dr. Thomas Danne
Diabetes-Eltern-Journal-Chefredakteur, Kinderdiabetologe,
Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin “Auf der Bult”, Hannover,
E-Mail: danne@hka.de
Erschienen in: Diabetes-Eltern-Journal, 2018; 11 (2) Seite 5-6
5 Minuten
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