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Das Echt essen-Gasthaus im Mai: Volker Luckenbach züchtet vom Aussterben bedrohte Schweine und kocht mit dem Fleisch einzigartige Gerichte. Eine kulinarische Entdeckung!
Schon die einstündige Reise in den Westerwald entführt in eine faszinierende Welt: Los geht es im trubeligen Kölner Hauptbahnhof mit dem flotten Rhein-Sieg-Express nach Hennef und seinem stattlichen 100-jährigen Kneipp Kurhaus, an der Fachwerkstadt Blankenberg vorbei durchs waldige Siegtal nach Au an der Sieg.
Da wartet die schmucke Westerwaldbahn – und nach kurzer Fahrt über die mächtige Siegtalbrücke grüßt die Station Hohe Grete. Von dort sind es noch fünf Fußminuten zum Fachwerkgasthaus bon goût – ein Name, der in der Westerwälder Weite zuerst vielleicht irritiert, aber ganz gut zum polyglotten Hausherrn passt.
Volker Luckenbach ist ein Macher: Ein zupackender Anfang 50-jähriger mit klarem Blick, festem Händedruck, rebellisch langen Haaren, einem Rennmotorrad. Geboren im Westerwald hielt er es aber nicht allzu lange hier aus. Vor dem Bund floh er nach Berlin, ließ es krachen, nicht nur in Kreuzberg waren zu der Zeit die Nächte lang – ich weiß, wovon ich spreche.
Erst wollte er Musiker werden, spielte so gut Trompete, dass er von einer Karriere bei den Bamberger Symphonikern träumte, sogar am Theater Wiesbaden arbeitete. Doch seine eigentliche Leidenschaft war das Kochen, früh richtete er private Feiern, Hochzeiten aus, verdiente gutes Geld damit. Später wurde er sogar Profi-Caterer, der komplette Events mit über tausend Personen ausrichtet.
Heute hier, morgen dort, war aber immer sein Motto. Oft auf Reisen, viel in Asien, in Afrika. Lange tingelte er als Gaukler über Mittelaltermärkte. Mit seiner damaligen Frau hatte er auch einmal eine Töpferei. Aber als diese Beziehung zerbrach, warf es sogar diesen bärenstarken Mann aus der Bahn, er brauchte einige Zeit, bis er sich wieder gefangen hatte.
Immerhin gab es als festen Bezugspunkt noch seinen Bauernhof in Pracht, den er als „Loch“ 1987 gekauft hatte, Stück für Stück zu einem Wohnhaus und einem schmucken Gasthaus ausbaute, das er 2004 öffnete – und schon bald wieder schloss, weil er wieder einmal etwas anderes machte, nämlich im nahen Westerwald zwei Jahre ein Hotel zu führen, um sich dann endlich ab 2009 wieder auf sein bon goût zu konzentrieren.
Warum ich das ausführlich schildere? Weil es zeigt, hier ist einer, der hat schon alles erlebt, den kann so schnell nichts mehr umhauen. Nur so einer kann etwas schier Tollkühnes wagen: Eine eigene, bäuerliche Schweinezucht aufbauen.
In den Genen steckt dem Volker Luckenbach das Bäuerliche. Väterlicherseits wurde immer Landwirtschaft betrieben, wobei das im rauen Westerwald ein mühsames Geschäft ist, hier pfeift der Wind schon mal kälter. Bereits um 2003 hatte er einmal mit einer alten Schweinerasse experimentiert, den inzwischen etablierten Schwäbisch-Hällischen.
Aber so richtig aktiv wurde er erst ab 2011, als er anfing, die extrem vom Aussterben bedrohte Rasse <i>Bunte Bentheimer</i> zu züchten, die ein besonders wohl schmeckendes Fleisch liefert. Inzwischen gibt es in Pracht einen kleinen Musterbetrieb mit einem eigenen Eber und knapp 30 Schweinen, die das ganze Jahr nach Draußen auf die Weide können.
Waltraud Fazio heißt die Frau und Lebensgefährtin, ohne die das kleine Wunder von Pracht wohl nicht möglich wäre. Eine Leidenschaft geht von ihr aus, wenn sie raus zum Füttern geht, die Schweine Trixi, Hilda, Snoopy, Bella ruft, schwärmt, „ich liebe diese Tiere“, zu jedem eine Geschichte erzählt.
Was mich fasziniert: Wie sauber die Schweine sind, es stinkt nicht, weder draußen auf der Weide, noch in den Ställen. Quicklebendig rennen die Tiere herum, werden als Wesen respektiert, fühlen sich offenkundig sauwohl. „Wer Fleisch essen will, muss Respekt vor den Tieren haben“, sagt Karl Ludwig Schweisfurth, der die legendären Herrmannsdorfer Landwerkstätten mit ihrer großen Schweinezucht gegründet hat.
Wenn Volker Luckenbach etwas macht, macht er es richtig: Nicht nur, dass er sich auf das Abenteuer Schweinezucht einlässt, er hat seine Zucht und das ganze Restaurant auch noch Öko-zertifizieren lassen. „Bio“? Da schütteln die Westerwälder nur verständnislos mit dem Kopf.
Trotz Bio: Auch die Leute aus der Umgebung haben das Gasthaus ins Herz geschlossen. Feiern hier ihre Familienfeste, freuen sich auf die große Terrasse, sind begeistert von den liebevoll dekorierten Wirtsräumen, wo Waltraud Fazio, in deren Adern Gastronomieblut fließt, souverän-herzlich den Service leitet.
Eine große Karte gibt es, die alle Bedürfnisse vom schlichten Flammenkuchen bis zu Jakobsmuscheln abdecken will – und wohl auch muss. Mich hat allerdings nur eins interessiert, das Schwein, und so bestelle ich drei Gänge rund um die Bunten Bentheimer.
Ein sensationelles Apfelgriebenschmalz zum Auftakt, ein Traumstart. Gewürzt mit Majoran, Äpfeln, Zwiebeln und den Grieben, also den festen Teilen des ausgelassenen Specks, schmeckt es zum Niederknien. Einen Freund, der als Jugendlicher auf einem Bauernhof war, lasse ich es am nächsten Tag probieren. Er strahlt übers ganze Gesicht, sagt zungenschnalzend: „Genau wie früher, wo ist das, lass uns hin fahren“.
Passend die selbst gebackenen Roggen- und Weizenbrötchen aus eigens angesetztem Sauerteig, der zwei Tage „gehen“ konnte.
Als ersten Gang gibt es Schweinerücken, umwickelt mit Lardo, dem großartigen „weißen“, eigenen Speck – der hier allerdings leicht zu trocken gerät. Der Clou sind Papayakerne, die dem Gericht eine pfeffrige Note geben, eine Referenz an die Asienliebe des Kochs. Hervorragend dazu der geschlämmte Spinat mit Parmesan.
Ein guter Anfang, aber nun kommen die beiden Highlights des Menüs:
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Ein Klassiker der rheinischen Küche: Himmel und Äd. Der Name leitet sich ab von den Zutaten Apfel (dem Himmel) und Erdapfel gleich Kartoffel (der Erde). Gerät dieses Gericht in Kölschen Brauhäusern häufiger auch schon mal zu Hölle und verbrannter Erde, ist es hier ein Traum.
Ein „Fuß“ aus Kartoffelpuffer, dann Kartoffelstampf, darüber die schlotzige eigene Blutwurst, dann Apfel, wieder Stampf, wieder großartige, leicht angeröstete Blutwurst. So muss Tradition sein, den Kern bewahrend, aber modern mit großartigen Zutaten neu interpretiert.
Umkränzt von einer Portweinsauce, deren Basis der Jus von den aufgekochten Knochen bildet. Ungeheuer intensiv, ungeheuer dicht. Gottseidank brachte mir der Koch noch ein Schälchen, so konnte ich dieses Saucenwunder auch zu dem Kotelett genießen.
So muss ein Kotelett sein: Voller Fleischgeschmack, ohne zu „säueln“. Saftig, fest und trotzdem butterzart zu essen. Ein Gedicht das Fett, das hier schön eingeschnitten wurde, sodass sich die anbratbare Oberfläche noch vergrößert. Schmelzend schmeckt das, ganz unvergleichlich.
Kräftig angebraten das Fleisch mit leichten Grillspuren. Wobei durch das eigene Fett kaum Bratfett gebraucht wird – ganz im Gegensatz zu den mageren Stücken, welche die Meisten kaufen. Die brauchen dann ordentlich Bratfett, damit wenigstens ein Hauch von Geschmack zustande kommt. Gut die feinen Bratkartoffeln mit geröstetem eigenen Speck – so kommt es, dass in der Küche von Volker Luckenbach alle Teile des Tieres verwendet werden, wie es früher in der bäuerlichen Küche üblich war.
Eine Reise wert ist dieses Gericht, das auch jeden Cent der 24,50 Euro wert ist, was es kostet.
Fett macht fett, lautet ein gängiges Vorurteil. Das stimmt so pauschal nicht. Natürlich brauchen wir keine industriell gehärteten Fette, gar gefährliche Transfette, wie sie im Fast Food vorkommen können. Aber Fette sind eine unerlässliche Grundsubstanz des Körpers für die Energieerzeugung, als Schutz vor Temperaturschwankungen. Und wer nicht zu viel davon isst, wird auch nicht dick, denn die wahren Dickmacher sind schnelle Kohlenhydrate, die das Masthormon Insulin locken.
Vor allem brauchen wir hochwertige Fette, wie sie in guten Pflanzenölen, in hochwertigem Fleisch vorkommen, etwa die Omega-3-Fette: „Je älter wir werden, desto wichtiger sind die ungesättigten Omega-3-Fettsäuren, denn sie erhalten die Körperstrukturen gesund, in denen der Fettanteil überwiegt. Dazu zählen das Hirn, die Nerven, die Gefäße und auch die Zellmembranen“, sagt in meinem Ernährungsbuch Schönkost der Münchner Apotheker und Mediziner Dr. med. Siegfried Schlett.
Genau solche fitten Fette schlummern in den prächtigen Säuen aus Pracht. Denn sie haben Auslauf, können Muskeln aufbauen, das Fleisch ist besser durchblutet, Fettäderchern durchziehen die Stücke, machen alles saftig und schmackhaft, denn Fett ist auch ein Geschmacksträger. Das Gras, die Wildkräuter, welche die Tiere fressen, strotzen vor Vitaminen, Mineralien, aber auch vor wertvollen Herz-schützenden Fetten, was sich dann im Fleisch wiederfindet.
Ungeheure Geldsummen fließen in die Diabetes-Forschung – leider meistens nur zur Erforschung neuer Medikamente. Sinnvoll wäre es, einmal das Fleisch eines Züchters wie Volker Luckenbach auf seine ernährungsphysiologische Wirkung zu untersuchen. Ich bin überzeugt, dass die Forscher staunen würden, welche fast medizinische Komponente diese Naturapotheke hat. Aber vielleicht geschieht diese Untersuchung besser nicht. Sonst gibt es die guten Koteletts künftig nur noch auf Rezept.
Rotwein muss es sein zu kräftigem Fleisch! Wirklich? Ich bestellte einen 2011er Riesling vom Ahr-Spitzenwinzer Meyer-Näkel – er kann mit seiner würzigen Mineralität problemlos mit allen Gerichten mithalten. Kein Problem ist auch der gastfreundliche Preis von 28 Euro für die Flasche.
Ein Bewahrer und Erneuerer der bäuerlichen Tradition ist Volker Luckenbach. Denn es ist enorm wichtig, dass wir die alten Rassen erhalten. Einige hundert gab es früher in Europa, nur noch wenige sind übrig. Das vermindert dramatisch die genetische Vielfalt, macht die Tiere anfälliger für Krankheiten. Die Bunten Bentheimer waren bis auf wenige Tiere ausgestorben.
Mühsam wird nun wieder ein vitaler Bestand von speziellen Züchtervereinen, bei denen Luckenbach Mitglied ist, herangezüchtet. Das ist mühsam, das bedingt Rückschläge – und das wird von den herkömmlichen, industriell dominierten Agrarstrukturen nicht wirklich gerne gesehen.
Jeder, der so etwas macht, weiß wie genau die Kontrolleure da hinschauen. Die gleichen Kontrolleure, die bei der industriellen Produktion ganz gerne wegsehen. Deshalb schadet es nicht, dass Volker Luckenbach sich ein robustes, rebellisches Naturell zugelegt hat.
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Doppelt so viel Futter vom besten Biogetreide brauchen seine ökologisch gehaltenen Schweine, weil sie so putzmunter sind, statt eingepfercht in den Großmastställen auf ihr Abschlachten zu warten. Auch leben sie rund zwei Monate länger, was alles Geld kostet.
Aber die Bentheimer, die gar nicht aus der Region stammen, haben sich prächtig an das raue Westerwälder Klima gewöhnt, sind pumperlg’sund, müssen nicht prophylaktisch mit Antibiotika vollgepumpt werden, wie es sonst oft geschieht.
Raffiniert auch das Konzept, das mit einem nahen Schlachtbetrieb entwickelt wurde, um den stressenden Tiertransport maximal zu minimieren. Das muss Sie im Detail nicht interessieren. Aber auf dem Teller haben Sie ein Produkt, was nicht voller ungesunder Angsthormone ist, sondern ein Fleisch, das tatsächlich noch ein Stück Lebenskraft ist.
Schwein gehabt! heißt eine Initiative der Pracht-Leute: Dabei kann ein frisch geworfenes Ferkel ausgesucht und erworben werden, das von den Züchtern dann im Familienverbund aufgezogen wird. Nach rund fünf Monaten stimmt der Besitzer mit Volker Luckenbach ab, wann das Schwein geschlachtet wird, wie es portioniert wird, welche Würste daraus gemacht werden.
Rund 75 Kilo Fleisch und Wurst ergibt das, was insgesamt einschließlich des Wurstens rund 850 Euro kostet, also runde elf Euro das Kilo – und das für ein absolutes Qualitätsprodukt. Ich finde, eine tierisch gute Idee, schließlich lässt sich die Menge auch gut unter mehreren Partien aufteilen.
Das ist Ihnen zu viel Schwein auf einmal? Dann lohnt sich der Einkauf von Würsten und Fleisch entweder direkt in Pracht oder über den Versand. Unbedingt, den weißen Speck, den Lardo, probieren. Er hält jeden Vergleich mit den hochgerühmten Italienern aus.
Mein Rat: Volker Luckenbach liebt die große Bühne. Schon wenn er am Nebentisch einer Familie ein Konfirmationsessen verkauft, ist er in Hochform, freut sich tierisch, wenn gleichzeitig noch ein großes Event „reinkommt“. Die Events, das Catering wird er weiter brauchen, auch um wirtschaftlich zu überleben.
Aber es wird ein Balanceakt bleiben, gleichzeitig guter Caterer und guter Gasthausbetreiber zu sein. Vielleicht konzentriert er einen Teil seiner Aktivitäten im neuen Zelt auf der Terrasse, das bis in den späten Herbst bespielbar ist.
Fürs bon goût rate ich, sich stark aufs Heimische zu konzentrieren. Also das Bunte Bentheimer in den Mittelpunkt stellen; Produkte umliegender Anbieter führen, etwa vom Archehof Windeck, der das Bentheimer Landschaf züchtet oder mit dem großartigen Metzger Bernd Hochhard in Bergerhof arbeiten, der hervorragendes Rindfleisch herstellt. Dass Volker Luckenbach dabei ab und an seiner asiatischen Kochlust frönt, kann das Essvergnügen nur steigern!
Fazit: Wenn Fleisch, dann hier. Falls es dem umtriebigen Volker Luckenbach und seiner klugen Gefährtin Waltraud Fazio gelingt, über einige Jahre sowohl die Schweinezucht wie das bon goût konsequent zu führen, kann hier eine wegweisende Gastronomie entstehen.
Talstraße 8, 57589 Pracht, 02682 – 967180, Donnerstag bis Samstag ab 17 Uhr, sonntags ab 11 Uhr 30 geöffnet. www.bongout.de
Uwe Steiniger gebührt Dank! Der Koch aus dem nahen Windeck, mit dem ich seit Jahren bei der Kirchheim-diabetestour auftrete, hat mir dieses kulinarische Kleinod gezeigt. Unser nächster Auftritt bei der diabetestour: 28. September 2014 in Stuttgart!
von Hans Lauber
E-Mail: aktiv@lauber-methode.de
, Internet: www.lauber-methode.de
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