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Das Echt essen-Gasthaus im Februar: Ein großartiges Gemüsemenü serviert Spitzenkoch Nils Henkel im „Gourmetrestaurant Lerbach“ in Bergisch-Gladbach. Plus „Unvergorenes“: Säfte, Tees, traumhaften Essig. Faszinierend!
Essen und Wein, das schmeckt fein – eine Glaubenslehre der großen Küche, der ich auch gerne huldige. Nur, was ist, wenn ich wie derzeit keinen Alkohol trinke? Was ist mit denen, die aus religiösen Gründen, weil sie in freudiger Erwartung sind, weil sie Auto fahren, weil sie einen klaren Kopf behalten wollen, dem Vergorenen entsagen? Sie finden in der Top-Gastronomie Wasser, Säfte, irgendwelche Tees – und häufig ein Kopfschütteln.
Wunderbar, dass nun endlich einer der großen Köche mit seinen engagierten Sommeliers dem „Unvergorenen“ den großen Auftritt gewährt. Gespannt wie selten war ich deshalb, wie dem Chef des „Gourmetrestaurants Lerbach“ das Experiment gelingt. Gespannt auch deshalb, weil sich Zwei-Sterne-Koch Nils Henkel wie kaum ein Zweiter einer engagierten Gemüseküche verschrieben hat. Also bestellte ich das achtgängige „Menü Pures Gemüse“ plus „Unvergoren“.
Beherzter Auftakt: Trilogie von der Zwiebel
Eine gelungene Einstimmung auf das Menü: Rechts rote Zwiebeln in einem angenehm milden Püree, in der Mitte gefüllte Schalotten mit Zwiebelkrokant – und links eine kleine Offenbarung: Perlzwiebel, du verhunzter Partysnack, was aus dir alles werden kann: Sanft gegart, in einer Apfel-Thymian-Vinaigrette angerichtet, wird daraus plötzlich ein kulinarisches Freudenfeuer.
Prickelnder „Pommes pur“ dazu vom Glockenapfel, abgefüllt von „Duttenhofer“ aus dem Schwarzwald. Fein brizzelnd zu den Zwiebeln, könnte trockener sein, aber wer die lebensfrohe Martina Meuth, die Partnerin von Bernd Duttenhofer, kennt, weiß dass ein wenig Süße bei ihr einfach dazugehört.
Schwarzwurzel: Wo Echtes auf Kunstvolles trifft
Ganz unschuldig liegen sie nebeneinander, die zwei Stangen des Wintergemüses. Nur, die etwas dickere, vordere, wurde kleingehackt, verfeinert – und kunstvoll wieder in Stangenform gebracht. Die „echte“ hintendran schmeckt bitterer, ein guter Kontrast. Bestreut sind beide Stangen mit Bröseln aus dehydrierter Schale (perfekte Resteverwertung, würde die schwäbische Hausfrau sagen), Herbsttrompeten, ein wenig Kaffee. Eine wunderbare Melange.
Erde zu Erde, könnte das Motto dieses Gerichtes sein: Erdige Wintertrüffel adeln erdige Schwarzwurzeln, dazu Trüffelcreme in rohem Winterspargel gefasst – abgerundet alles durch „Kaffee“, das sind die runden braunen Kugeln, quasi ein Espresso-Konzentrat. Ach ja, Kopfsalat gibt es auch, auf meinem Foto nicht zu sehen, als kleine aromatische Kleckse. Zum ersten Mal hat vor über 30 Jahren Hubert Freund in der legendären Freiburger „Eichhalde“ den Salat so „zelebriert“. Damals maulte der Essensführer „GaultMillau“: „Ein Extrem, das wir als Fopperei ansehen“. Manchmal dauert es halt was länger, bis Neues begriffen wird. Ein herrliches Gericht, da lässt es sich verschmerzen, dass der viel zu süße Birnensaft so gar nicht dazu passen will.
Geräucherter Topinambur: Eine Reise wert!
Wer meine „Kochshows“ kennt, kennt Topinambur, die Inulin-haltige Knolle, die das dick machende Insulin zügelt. Auch wir zaubern mit dem Sonnenblumengewächs. Nur, vor dieser Kreation verneige ich mich. Da stimmt alles, das lohnt die Reise ins Märchen-Schloss bei Köln: Da gibt es angeräucherte, nach Speck riechende Scheiben; da verführen krispelige Chips; da schmecken die kleinen Topi-Streifen plötzlich wie sanfter Rettich; da gibt es einen nicht süßen Topi-Sirup, der zum Reinschlürfen einlädt; da winken feine Mangoblätter – und intensive kleine Würfel aus Tramineressig. Eine kulinarische Entdeckungsreise in die Welt eines verkannten Gemüses.
Fast zu schade ist das Wort Essig für die unvergorene Begleitung. Das findet auch der große Wiener Essigmacher Erwin Gegenbauer, der seine Meisterkreation deshalb „Noble Sour PX Essig“ tauft. Im Likörglas serviert, eröffnet dieses Konzentrat dem großartigen Gang weitere Dimensionen. Ich bin überzeugt, dieses Gericht mit seiner Begleitung wird ein Klassiker der kommenden Gemüsehochküche. Witzigerweise passt nun plötzlich auch der Birnensaft.
Chinesischer Rettich: Der dezente Duft des Meeres
Das Auge isst mit! Ist das nicht ein prächtiger Anblick, die Variationen von Rettichen auf diesem herrlichen Geschirr? Da verleihen die Passe-Pierre-Algen dem roten chinesischen Rettich einen zarten Meeresduft. Da steuern die runden Rettiche, das Radieschen dezente Schärfe bei – und alles schwimmt in der gelben Misosauce, einer fermentierten Getreidepaste, umbrandet von der Reisvinaigrette. Und was wie Chips aussieht, ist würzig-knackiger Knollenziest.
„Spicy Ginger“, ein Getränk der Berliner Barszene, balanciert das Gericht. Perfekt wäre es, wäre es noch herber, aber da bin ich als Süß-Skeptiker vielleicht nicht allein seligmachender Maßstab.
Was Puntarelle sind, wusste ich auch nicht: Aber es lohnt, sich den Namen dieses kräftig-bitteren Chicorée-Verwandten zu merken.
Puntarelle: Fleischesträume werden Schäume
Nils Henkel füllt die Stangen mit einer die Bitternis zähmenden Champignonsauce, fügt Weizengraupen mit klein geschnittenen Champignons hinzu, lässt alles in einer Sauce schwimmen, die dem kräftigen Mimolette-Käse huldigt. Darüber hobelt er zart duftende Albatrüffel, krönt mit schmelziger Mimolette-Hippe – und plötzlich lässt dieser Gemüsetraum all die Fleischesträume wie Schäume erscheinen.
„Pfeffertraube“ heißt witzig die unvergorene Begleitung. Das ist der Saft der Grünen Veltliner Traube, von Nils Henkel mit weißem Kamerun-Pfeffer so dezent angeschärft, dass das Gericht sinnvoll ergänzt wird.
links: Gegenbauer: Gsundes für Genießer | rechts: Preiselbeersaft: Kraft der Fichte
Erwin Gegenbauer, der Wiener Essigkönig, hat mich vor Jahren schon eingeladen, um mir in Wien seine Schätze zu zeigen, die in großen Fässern ruhen. Höchste Zeit, dieser Einladung nachzukommen, nachdem ich gesehen habe, wie wunderbar seine Kreation dem Topinambur neue Facetten erschließt. Grantelnd würde der Wiener noch anfügen: „Gsund is es a“.
Preiselbeersaft ist ja fast schon eine gelinde Untertreibung für diese wunderbare Eigenkreation aus Lerbach zu den Waldpilzen. Da hätte ich mir am liebsten noch einmal nachschenken lassen. Aber so muss es sein, dass „Unvergoren“ nicht nur geduldeter Begleiter wird, sondern ein eigenständiges Begehren auslöst. Ich warte auf den Tag, wo diese Kreationen separat verkauft werden.
links: Rosenkohl: Schatztruhe des frischen Käses | rechts: Weißer Tee: Handgearbeitet aus Taiwan
Gut ist: Fast alles ist Saison, etwa der Rosenkohl, ein feiner deutscher Kohl. Nils Henkel füllt die zarten Röschen subtil mit Frischkäse, würzt leicht mit Meerrettich, schneidet Scheiben von der gelben Bete dazu, unterstreicht das nussige Aroma noch mit Haselnüssen – und schon entsteht ein beschwingt-elegantes Gericht, das durch den dazu gereichten Weißen Tee aus Taiwan noch an Tiefe gewinnt.
Waldpilze: Kerbel, was willst du mehr!
Wieder einmal hat Nils Henkel ein Gemüse in seiner ganzen Bandbreite klug durchdekliniert: Hier die selten genutzte Knolle vom Kerbel, eingelegt als kleines Türmchen vorne. Kerbelig fein das Püree – und natürlich sind die Grünkleckse kleine Aromabomben vom Kerbelkraut. Die sautierten Waldpilze, etwa Saitlinge, Maronen, Austernpilze, sind nicht einmal Edelpilze, trotzdem wohlschmeckend. Damit es nicht langweilig wird, hat der Koch die Preiselbeeren nicht nur beigelegt, sondern zu einer leicht säuerlichen Haut verarbeitet, die im Hintergrund weitere Pilze beschirmt. Umflossen werden diese Pilze vom Wunderwerk von einer Sauce, die zeigt, dass tiefgründige Aromen auch ohne Fleisch „gehen“: Es ist ein Sud aus Pumpernickel, Pilzen und Gemüsebouillon, der so gut ist, dass ich das ganze Schälchen leer geschlabbert habe.
Zu viel des Guten? Schließlich gibt es auch noch die gegrillten Zwiebeln. Nicht wirklich, da ist ja noch ein weiteres Highlight, der mit Fichtennadel und Wacholder veredelte Preiselbeersaft, eine richtig starke Kreation. Vor allem aber homogenisieren dieser Saft, plus der Pumpernickelsud das Gericht zu einem hinreißenden kleinen Gemüsekunstwerk.
Es wäre spannend diese Kreation, aber auch den Topinambur, den Rettich mit dem Abstand von einigen Tagen noch einmal zu probieren, wahrscheinlich würden sich wieder ganz neue Bezüge ergeben. Vielleicht gäbe es aber auch Hinweise, wo kleine kulinarische „Abrüstungen“ sinnvoll wären.
Leicht nussig schmeckt der Kuhrohmilchkäse Vacherin Mont d´Or, der in einer Rinde aus Fichtenholz reift.
Vacherin: Veredelt durch Maronen und Hagebuttenmark
Nils Henkel greift dieses Aroma auf und verstärkt es durch rohe Maronenscheiben. Süffig süßlich gegenbalanciert wird das Ganze durch das Hagebuttenmark. Ich habe alle drei Komponenten gleichzeitig gegessen, es schmeckt wunderbar – und der Hagebutteneistee auf der Basis von Zweigeltsaft, angereichert mit Kardamom und Orangenblüten, passt dazu. Auch dies ein eigens hergestellter unvergorener Begleiter.
links: Verschrieben dem Unvergorenen: Peter Müller | rechts: Verfechter des puren Gemüses: Nils Henkel
Thomas Sommer gehört zum Team von Nils Henkel. Der Chefsommelier und Leiter des Restaurants ist derzeit Deutschlands bester „Weinmann“. Im März kämpft er in Japan um den Titel „Sommelier-Weltmeister“, eine Trophäe, die vor Jahren schon einmal ein Deutscher errungen hatte: Markus Del Monego aus meiner badischen Heimat. „Vor der Praxis habe ich keine Angst, nur die Theorie ist verdammt hart“, sagt der gebürtige Dresdner. Alles Gute!
Peter Müller, Deutschlands bester Jungsommelier, kümmert sich schwerpunktmäßig um das Thema „Unvergoren“. Mein Eindruck ist, dass ihm diese anspruchsvolle Aufgabe Spaß macht, und ich bin gespannt, welche Früchte die gemeinsame Arbeit noch zeitigt. Begeistert war ich von Désirée Steinheuer, Tochter aus der berühmten Gastronomenfamilie Steinheuer von der Ahr (siehe „Echt Essen“ vom September 2012) Sie ist eine geborene Gastgeberin mit einer angenehmen Mischung aus Zurückhaltung und Aufmerksamkeit. Insgesamt schafft dieses Team eine lockere Atmosphäre, die so gar nichts zu tun hat, mit der Steifigkeit, die angeblichen „Gourmettempeln“ immer nachgesagt wird. Wer hier einkehrt, fühlt sich schlicht wohl!
Nils Henkel ist ein Top-Koch, der die Fallhöhen des Gewerbes kennt, der sich auch durch Rückschläge nicht von seinem Weg hat abbringen lassen, und der inzwischen gerade beim Gemüse seinen ganz eigenen Stil gefunden hat. Offensichtlich behagt dem gertenschlanken früheren Marathonläufer die Gemüseküche auch persönlich, erzählt er doch gerne von der indischen Ayurveda-Küche, die das Essensangebot auf den jeweiligen Menschentyp ausrichtet. Für mich eine der klügsten Küchen der Welt – und es wäre doch einmal reizvoll, wenn ein Spitzenkoch wie Nils Henkel zusammen mit Ärzten das indische Modell auf unseren Menschentypus, unser Klima, unsere Pflanzen übertragen würde – und danach Top-Rezepte kreieren würde. Ich wäre sofort Gast!
Eingelegte Feigen: Fenchel auf Flughöhe
Konsequenz zeichnet die Lerbach-Küche aus: Auch das Dessert ist „Pures Gemüse“. Eingelegte Feigen plus noch einmal eine kleine Gemüsedeklination: Fenchel als Eis, Fenchel als zart frittierte Scheibe, als Rispe, die dem Ganzen einen „fliegenden“ Charakter verleiht. Ein wenig Sangriasud umschmeichelt Fenchel und Feigen. Sicher, das alles ist leicht zu süß, aber die Süße wird ganz gut wieder eingefangen durch „Whiskey Cream“, wie der intensive Schwarze Tee heißt, der das Dessert, der das Menü souverän ins Finale führt.
Eine kulinarische Alternative für die „Generation SchniPoSa“
Fazit: Eine begeisternde Gemüseküche! Eine Küche, die ich gerne denen kredenzen würde, die mitleidig lächeln, wenn ich vom „Grünzeug“ schwärme. Das „Menü Pures Gemüse“ kann mehr bewirken als alle Appelle, weniger Fleisch zu essen. Es wäre spannend zu sehen, wie die junge „Generation SchniPoSa“ auf dieses kulinarische Angebot reagiert. Nils Henkel zeigt, dass das Weglassen von Fleisch kein Verzicht, sondern kulinarischer Gewinn ist. Gewinn auch an Gesundheit (mein Blutzucker lag knapp zwei Stunden später bei unter 130 mg/dl), ein Gewinn an Ökologie, schließlich wird hier heimisches Gemüse verarbeitet, ohne Regenwälder zu roden, wie es für die massenhafte Fleischproduktion üblich ist.
Das hat seinen Preis – und der ist hoch: 155 Euro (plus 43 Euro für “Unvergoren”) kostet das Menü, dafür gibt es fast das „Degustationsmenü“ mit all den auch von mir geschätzten Köstlichkeiten wie Wolfsbarsch, Seesaibling und „Hase aus dem Münsterland“. Ich bin ja kein Fleischverächter, esse es selten, aber dann das Beste. Nur, der Arbeitsaufwand für diese Gemüseküche ist immens hoch. Aber es müssen ja auch nicht so viele Gänge sein. Denn diese Küche ist sättigend! Sicher auch durch die Säfte zu Beginn, da ist noch einmal Nacharbeiten angesagt, damit auch das Unvergorene das Niveau der Küche erreicht, wobei die Grundtendenz stimmt, gerade auch die Eigenkreationen einen guten kulinarischen Weg weisen. Nur das Süße muss weiter zurückgedämmt werden. Aber das passt ja in eine Zeit, wo selbst ein Süßkonzern wie Coca Cola in Werbespots warnt, Cola zu trinken.
Bis Ende Februar gibt es das beschriebene Menü noch, dann wird gewechselt, wandert der Topinambur ins Dessert. Vielleicht kommen auch einmal die Tester vom Guide Michelin, um speziell das Gemüsemenü zu probieren – und vielleicht mit den höchsten Weihen zu versehen. Auch damit noch mehr Gourmets den Mut fassen, „gemüsig“ zu tafeln. Ein kleiner Mutmacher: Die Sommeliers verstehen sich auch auf das Trefflichste, aus den großen Kellern des Schlosses köstliche Weine speziell zum Gemüse zu servieren.
von Hans Lauber
E-Mail: aktiv@lauber-methode.de
, Internet: www.lauber-methode.de
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