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Das Echt Essen-Gasthaus im September: Höchst raffiniert wird im La Vie in Osnabrück gekocht. Ein Großteil des Gemüses kommt aus dem faszinierenden Küchengarten des nahen Schloss Ippenburg.
Thomas Bühner ist einer der fünf besten Köche Deutschlands. Der 51-jährige Münsterländer verwandelt Kochen in Magie, zaubert filigrane Aromenwerke. Einige Male habe ich in seinem Drei-Sterne-Restaurant La Vie in Osnabrück gegessen – und zwei Mal hatten wir sogar eine gemeinsame Veranstaltung:
Einmal beim berühmten Rheingau Gourmet-Festival, wo wir ein Schlemmen wie ein Diabetiker inszenierten (siehe auch NACHGEREICHT am Schluss). Beim zweiten Mal im Restaurant beim Salon de la vie zusammen mit dem renommierten Düsseldorfer Diabetologen Prof. Dr. med. Stefan Martin.
Es ist kein Zufall, dass ich gerade zu Thomas Bühner einen so engen Kontakt gesucht habe, denn er ist einer der wenigen Hochköche, die ein Sensorium für die von mir so geschätzte Melange aus Gesundheit und Genuss haben. Im Gegensatz zu Frankreich, wo viele der großen Köche ganz selbstverständlich in Hochschulen Seminare, Vorlesungen zu Kulinaristik und Wohlergehen halten, „fremdeln“ viele Köche bei uns mit dem Thema, jedenfalls wenn es darum geht, sich damit auch öffentlich zu profilieren.
Das hängt stark damit zusammen, dass bei uns Genuss gerne mit hemmungslosem Schwelgen gleichgesetzt wird – und Gesundheit mit leibfeindlicher lutherischer Askese. Ein Vorurteil, gegen das ich seit über zehn Jahren anschreibe und ankoche.
Gespannt war ich diesmal auf den großen Küchengarten, aus dem Thomas Bühner in der Saison einen Großteil seines Gemüses selbst erntet. Rund eine halbe Stunde dauert die Fahrt vom La Vie zum Schloss Ippenburg – eine Zeit, die wie im Flug vergeht, ist der Spitzenkoch doch, wie viele seiner Kollegen, rallye-schnell unterwegs. Fasziniert durchwanderte ich den mit über 4.000 Quadratmeter wohl größten deutschen Küchengarten. Jedenfalls ist es der schönste, den ich bislang gesehen habe.
Nicht militärisch streng, sondern bunt gemischt, wachsen über 500 Sorten Gemüse, Kräuter, essbare Blüten – und alles biologisch angebaut. Besonders begeistert ist Thomas Bühner von den über 20 Kartoffelsorten, darunter die violette Vitelotte, eine französische Trüffelkartoffel.
Nach Herzenslust bedienen kann sich der Topp-Koch, der mindestens einmal in der Woche mit Mitarbeitern in den Garten fährt, aus diesem grünen Paradies bei Schloss Ippenburg. Seit über 600 Jahren ist das Schloss im Besitz der Familie von dem Bussche-Ippenburg.
Freifrau Viktoria von dem Bussche hat diesen Prachtgarten angelegt und vor zwei Jahren bewusst den Kontakt zu Thomas Bühner gesucht, mit den Worten: „Sie schickt der Himmel“. Denn sie wollte, dass ihre wohlschmeckenden Gartenfrüchte, darunter viele alte Sorten, den Weg auf die Teller eines ausgewiesenen Spitzenrestaurants finden.
Die Frische-Allianz funktioniert und der Zugang zu seltenen Genüssen inspiriert den Koch zu neuen Gerichten. So schwärmt er „vom feinen Aroma der Rucola-Blüten“, lobt den Geschmack der Fenchel-Wurzeln, Produkte, die es gottseidank bei keinem Händler gibt. So eröffnet der Garten neue kulinarische Perspektiven, was die Küche des 3-Sterne-Hauses stark verändert: „Meine Gänge sind grüner geworden“, so Bühner.
Öffentlich zugänglich ist der Gemüsegarten nur zu besonderen Anlässen, nämlich zu den Garten-Festivals. Das nächste ist am 14. und 15. September 2013. Ein Besuch lohnt sich unbedingt, auch wegen dem Rosarium, wo mehr als 1.300 Rosen in über 300 Sorten wachsen sowie den vielen von Künstlern angelegten Schaugärten.
Das La Vie ist ein elegantes Restaurant in einem klassizistischen Gebäude in der Altstadt von Osnabrück, wo der Service charmant und souverän von Gastgeberin Thayarni Kanagaratnam dirigiert wird. Gegessen habe ich das Menü Le grand Chef mit seinen über zehn Gängen.
Keine Angst, die stelle ich Ihnen jetzt nicht alle vor. Ich habe sechs ausgesucht, wo sich das Besondere der Küche von Thomas Bühner zeigen lässt, der unter anderem Stationen bei den Kochlegenden Jörg Müller und Harald Wohlfahrt absolvierte.
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Sechs kleine Aperos leiten den Abend ein, etwa Erbsen, eine Miniatur aus Erbsencrème, frischer Kiwi, frischer Minze, Veilchen, Erbsenkresse und gefrorener Caipirinha-Meringe – ein intensiver Traum, der selbst hartgesottene Fleischesser ins Vegetarische verführen könnte.
Als Lust machender Teller Buntes präsentiert sich das Amuse gueule – eine Assemblage feinst zubereiteter Delikatessen. Da locken Variationen vom Pulpo als Tarte, als Süppchen. Da gibt es ein liebevoll gefülltes Wachtelei, alles schmeckt differenziert, schmeckt süffig – und macht Lust, jedes einzelne Element einmal als separaten Gang zu erleben.
Weil ich mit einem Profi-Esser unterwegs war, erfuhr ich auch durch eine spezielle Liste, aus welchen komplexen Teilen so ein Gericht aufgebaut ist. Gezählt habe ich über 20 Elemente, etwa Sepiamayonnaise-Süßwein, Spitzkohlcrème und Zitronenpuder. Muss das alles sein? fragen manche. Die Frage ist ungefähr so müßig, wie einen Künstler zu fragen, ob er sein Bild nicht mit weniger Farben malen könne. Mein Vorschlag: Das Filigranwerk genießend dekonstruieren!
Als Gegrillter Aal mit Auster wird dieser Gang schlicht annonciert – ergänzt um den Zusatz Fenchel & Eis, Ananas und geräucherte Molke. Auch das wieder eine hinreißende Komposition aus Elementen wie Ananas gegart – Ochsenschwanzreduktion, Marinierte Fenchel- und Kerbelstiele (der Garten grüßt!) und Abgefahrenes wie Ananas-Zwiebel-Sauce sowie Molke-Räucherbutter-Zylinder.
Das hört sich komplex an, aber es schmeckt als sensorisches Gesamtkunstwerk. Am Nachhaltigsten in Erinnerung geblieben ist mir aber die sensationelle Qualität des Aals, oft eher fett-triefend, hier von einer schmelzenden Süffigkeit. Ich frage, woher der Aal kommt? „Der eine aus Frankreich, der andere aus Spanien“, sagt Bühner. An sich denke ich, bei uns gibt es ja auch Aale, aber leider halt keine so großartigen.
Allein wegen dieser wunderbaren, mit Sardine gefüllten Rotbarbe lohnt sich die Fahrt nach Osnabrück. Hier wird ein großartiges Produkt auf schonende Weise durch modernste, die wertvollen Omega-3-Fette bewahrende Garmethode veredelt – kongenial begleitet von Zuckerschoten und Artischockencrème und Artischocken. Wobei die einen Artischocken 48 Stunden im Olivenöl mariniert sind – und die anderen sous vide, also bei Niedertemperatur, gegart sind.
Auch ist die Sardinengräte nicht einfach eine Gräte, sondern gebacken – und lässt sich gut essen. Ja, wir können mehr Produkte essen, als wir glauben! Ein Gericht, das alle Voraussetzungen einer gesunden Vitalküche erfüllt – und gleichzeitig hinreißend schmeckt. Würde es auf Rezept verschrieben, könnten die Kassen viel Geld für Medikamente sparen!
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Täubchen, wie zart und doch kräftig kannst du schmecken! Wie viele seiner Kollegen gart Thomas Bühner die Brust sous-vide, also im vakuumierten Beutel bei niedriger Temperatur im Wasserbad. Dazu variiert er den Kohlrabi als Nudeln, als Schaum, als im eigenen Saft gegarte Ringe – und der Kohlrabi wird auch noch roh gehobelt.
Eine Taubenkeulenpraline in Sherrygelee und zu Erde veredelte Pilze harmonieren prächtig mit dem intensiven Geschmack des Gemüses. Scheinbar schlichtes heimisches Gemüse als großartige Delikatesse.
Nicht so meine Sache ist das dazu gereichte Gemüsemüsli mit Haferreis, viel Frittiertem, etwa Pastinake. Mit viel Getrocknetem, gar Gefriergetrocknetem, etwa Mais. Das hat so was von Kindergeburtstag, ist geschmacklich keine Bereicherung – und die Nährwerte dürften sich ebenfalls fast vollständig verflüchtigt haben. Aber es muss ja nicht alles jedem schmecken.
Gelänge der bürgerlichen Gasthausküche solch ein Rehrücken, bräuchte sie sich um ihre Gäste keine Sorgen mehr machen. Perfekt auf dem Punkt, intensiv im Geschmack, trotzdem butterzart. Sicher, dieses Reh ist in exotischen Gewürzen gegart. Aber das müsste im Alltag gar nicht sein. Einiges wäre schon gewonnen, wenn all die Adler, Hirschen, Lamm sich ein wenig von der kochtechnischen Raffinesse der Spitzenküche inspirieren ließen, etwa durch die Kochtechniken, welche die Produkte schonen.
Und ganz viel wäre gewonnen, wenn sich endlich einmal die Krankenhaus- und Kantinenköche davon inspirieren ließen.
Auch dieses Gericht erfüllt alle Voraussetzungen einer Diabetes-Küche. Vor allem ist Wildfleisch Bio pur – und die darin schlummernde Aminosäure Taurin wirkt auch noch als Fettverbrenner. Wobei nur wildes Wild, das geschossen wird, die volle Ladung Taurin enthält.
Ausgezeichnet dazu die Gemüsebeilage, die ich hier einfach in der Liste der Bühner’schen Zutaten vorstelle:
Einen spielerischen Akzent setzt eines der drei Desserts: Die Petersilienwurzel ist ein aus Isomalt geblasenes hauchzartes Gebilde – gefüllt mit Eis aus der „richtigen“ Petersilienwurzel. Das Ganze schwimmt auf einer Crème von Sojamilch und schwarzem Knoblauch – begleitet von einem frittiertem Petersilienwurzelchip (Abb. 7). Erfreulich: Die Süße hält sich in Grenzen.
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Begeistert hat mich dieses Menü – aber auch nachdenklich gemacht, vor allem auch nachdem ich hinterher in der Liste gesehen habe, welch immenser Aufwand hinter den einzelnen Gerichten steht. Denn viele der Gerichte bestehen in Wirklichkeit aus mehreren Gerichten, etwa der Gegrillte Aal mit seinen Komponenten aus Molke, Ananas, Fenchel – und alles höchst raffiniert zubereitet. Ein ungeheurer Aufwand, der sich bei einem schnellen Essen gar nicht differenziert schmecken und würdigen lässt.
Den Vorschlag eines kulinarischen Seminars habe ich deshalb Thomas Bühner gemacht: Dabei werden die wichtigen Komponenten besonders komplexer Gerichte einzeln in Schälchen gefüllt und jedes für sich probiert – und es wird die Herstellung einzeln erläutert. So lässt sich der Aufbau des Gerichtes differenziert erschmecken. Erst in einer zweiten Runde wird dann das Gericht komplett gegessen. Ich bin überzeugt davon, dass sich dann noch einmal ein völlig anderes Esserlebnis einstellt.
Außerdem – und darauf hat Thomas Bühner hingewiesen – „ließen sich dabei die ernährungsphysiologischen Aspekte besser herausarbeiten“. Nach meiner Meinung könnte eine solche Zirkeldegustation helfen, diese unendlich elaborierte Küche besser zu verstehen und zu würdigen.
Das gilt nicht nur für Thomas Bühner, sondern auch für andere Ausnahmeköche, wie etwa Joachim Wissler vom Vendome, Nils Henkel vom Schlosshotel Lerbach, Eric Menchon vom Le Moissonnier in Köln mit dem großartigen Gastgeber Vincent Moissonnier. So könnte sich aus diesen kulinarischen Seminaren eine bewusstere Esskultur entwickeln.
Moderieren würde ich eine solche Zirkeldegustation gerne. Vielleicht klappt es mal im nächsten Jahr. So etwas muss übrigens gar nicht steif über die Bühne gehen, dafür sorgt schon der Grund-Humor der Bühner’schen Küche, die zum Abschluss des Menüs eine lustige Ente mit Pfirsich serviert.
Runde 200 Euro kostet das Menü Le grand chef. Das ist viel Geld – und trotzdem reicht es nicht, um ein solches Restaurant nachhaltig profitabel zu führen. Mit allen Aperos, Desserts habe ich an dem Abend rund 20 Gänge gezählt, auch wenn manche nur aus einem Happen bestanden – aber was für einem aufwendigen! Weit über ein Dutzend Köche beschäftigt eine solche Küche. Deshalb haben Restaurants dieser Klasse oft einen starken Mäzen im Hintergrund.
Das ist schade, denn in solchen Küchen wird vorgedacht, wird erprobt, was unser Essen von morgen jenseits von Genfood und vorgefertigter Industrieküche ausmachen kann – gerade auch unter dem Aspekt der Gesundheit.
Wie das konkret geht, zeigte mir Thomas Bühner, als ich ihn fragte, wie er Kräuter und Gemüse extrahiert. Schnurstracks marschierte er in die Küche, die anderen Gäste waren schon gegangen – und wuchtete ein Gerät namens Green Star auf den Tisch, baute es auseinander: „Die Walzen hier drehen sich langsam und verhindern so, dass beim Auspressen hohe, die Vitalstoffe gefährdende Temperaturen entstehen“. Danke, Thomas Bühner, so etwas suche ich schon lange – und bestelle mir den rund 500 Euro kostenden Entsafter.
Gerne wird sich über die Preise der Spitzengastronomie ereifert. Nur, mir fällt auf, dass sich kaum einer aufregt, wenn immer mehr Autos locker über 50.000, ja über 100.000 Euro kosten. Wobei die Fahrer dieser Gefährte meist besonders am Essen sparen.
Auch ist bei uns die Spitzengastronomie vergleichsweise preiswert – im Land der Feinschmecker, also Frankreich, kosten solche Menüs oft ein Vielfaches, weshalb gerade in der badischen Grenzregion die Topp-Gastronomie einen wahren Ansturm von Gästen aus dem Nachbarland erlebt. Mein Vorschlag: Lieber beim Stern auf dem Auto sparen – und dafür in die kulinarischen Sterne investieren!
Eine Küche, die rein kulinarisch genossen, schwebend leicht ein Seelenlächeln herbeizaubert. Eine Küche, die zusätzlich auch analytisch genossen, fantastische Dimensionen des Gesundgenusses eröffnet – und eine enorme Bereicherung der nutzbaren Produktpalette möglich macht. „Ich kenne kein Produkt, das nicht schmeckt, wenn es gut zubereitet wird“, sagt Bühner.
Darauf werde ich nächstes Jahr zurückkommen und ihm ausgefallene Produkte bringen, die Diabetes-gesund sind. Entwickeln ließe sich daraus eine vom Diät-Dunst befreite Nouvelle Cuisine Diabéte.
Über meine restlos ausverkaufte Veranstaltung Schlemmen wie ein Diabetiker beim Rheingau Gourmet Festival mit Thomas Bühner gab es einen großen Artikel in Küche. Das Magazin für Profi-Köche führte auch ein Interview, wo Bühner sagte:
“Ich finde es hochgradig spannend, welche Gesundheitseffekte sich mit den richtigen Nahrungsmitteln erreichen lassen. Der Clou ist, dass ein Diabetiker Menü gar nicht als Diabetiker Menü auffällt, denn es schmeckt allen Genießern. Gekocht wird dabei mit in der Spitzengastronomie völlig üblichen Produkten. Nur werden die natürlichen Zuckersenker wie beispielsweise Lachs und Makrele, Kaktusfeigen, Sprossen, Zimt und Essig ganz bewusst eingesetzt und gezielt mit anderen gesundheitsfördernden Produkten kombiniert.
Hans Lauber gibt uns Köchen mit ‚Schlemmen wie ein Diabetiker‘ ein Buch an die Hand, indem wir das Wissen finden, wie die einzelnen Produkte auf die Gesundheit wirken und wie man sie am besten kombiniert, damit sie ihre Wirkung voll entfalten”.
von Hans Lauber
E-Mail: aktiv@lauber-methode.de
, Internet: www.lauber-methode.de
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