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Das Echt essen-Gasthaus im November: Thomas Thielmanns Wirtshaus zum Schweinsbräu in Glonn bei München verkörpert die Echt essen-Prinzipien in perfekter Weise.
Im Schweinsbräu ist mir die Idee zu Echt essen gekommen. Denn dieses Gasthaus mit prächtigem Blick auf die Alpen zwischen München und Rosenheim verkörpert die Echt-Prinzipien in perfekter Weise: Ein Großteil der Produkte stammt vom eigenen Hof, es werden Hühner, Enten, Gänse, Schafe, Rinder und Säue gehalten, es wird Gemüse angebaut, es wird Bier gebraut.
Das Wirtshaus ist wirklich noch ein Wirtshaus mit massiven, blank geputzten Holztischen – wobei der ganze Raum trotzdem licht und luftig daherkommt, wo moderne Kunst das traditionelle Ambiente auf das Trefflichste unterstützt. Und wo vor allem mit Thomas Thielemann ein Koch in der vom Gastraum einsehbaren offenen Küche am Herd steht, der die frischen Produkte schnörkellos und geschmacksstark zubereitet. Übrigens sind es ausschließlich ökologische Produkte, was die überragende Qualität erklärt.
Teil eines stattlichen Anwesens mit alten Herrenhäusern und Stallungen ist das Schweinsbräu. Das ganze Ensemble wurde 1986 von Karl Ludwig Schweisfurth übernommen und in die „Hermannsdorfer Landwerkstätten“ umgebaut. Darin verwirklichte der ehemalige Eigentümer der Hertha-Wurst seinen Lebenstraum: Ein ganzheitliches ökologisches Ensemble aufzubauen, wo möglichst viele Stufen der Erzeugung und Verarbeitung unter einem Dach vereinigt sind.
So gibt es auch eine handwerkliche Warmfleisch-Metzgerei, eine Natursauerteig-Bäckerei und eine Rohmilch-Käserei. Lebens-Mittel als Mittel zum Leben herstellen ist das Motto und das Ziel von Karl Schweisfurth. Es ist ihm gelungen, und der frühere Industrie-Metzger lebt seinen Traum, ist lebendiger Teil des Hermannsdorf-Organismus. Voller Enthusiasmus redet er über seine freilaufenden Schweine, schwärmt von deren idealer Fettzusammensetzung, spricht von Omega-3-Säuren, spricht von „natürlicher Medizin“.
Aber es ist da noch etwas anderes: Im Gespräch kommt auch ein tiefer Respekt vor dem Tier zum Ausdruck. Wer das alles erlebt, merkt, was bäuerliche Kultur wieder einmal sein könnte.
Der große Stolz von Karl Ludwig Schweisfurth sind die WWW-Schweine und neuerdings auch Gockel. WWW steht für Weide, Wühlen – und was die Tiere sonst noch im Boden suchen. Das ganze Jahr über draußen sind diese Tiere, fressen die frischen Gräser und Kräuter – und erzeugen ein festes, ungeheuer geschmacksstarkes Fleisch, das nur einen Nachteil hat: Es steht viel zu selten auf der Karte, weil es eine enorme Nachfrage dafür gibt.
Wer entsprechend sitzt, kann Thomas Thielemann bei der Arbeit zuschauen. Der Gast erlebt einen Koch, der klar und präzise arbeitet, seine Brigade freundlich aber energisch führt, dem nichts entgeht, der das Essen auch mal persönlich an den Tisch bringt, im Gastraum präsent ist. Einen ganz eigenen Stil hat der gebürtige Franke entwickelt, der sich ganz auf das Produkt konzentriert, der die hervorragenden Erzeugnisse des Hofes kongenial zur Entfaltung kommen lässt.
„Ich bin Purist“, sagt er von sich, der vier Prinzipien hochhält: Gute Produkte; frische Kräuter; gute Fette; gutes Salz, wobei er am liebsten Fleur de Sel nimmt und meist auch erst zum Schluß salzt. Wer ins Schweinsbräu geht, muss keine molekularen Schäume, keine kunstvollen Bastelarbeiten der sogenannten Spitzenküche auf dem Teller fürchten. Im Schweinsbräu gibt es echte Produkte, gradlinig gekocht, dazu ein frisches eigenes Bier, einen guten Fruchtsaft oder einen Wein aus der bewusst übersichtlichen, vernünftig kalkulierten Weinkarte.
Was ein Auftakt! Ein butterzartes Stück lauwarmer Saibling in einem unendlich intensiven Fonds. Dazu ein Stück vom selbstgebackenen Brot mit der herrlichen Butter – purer Luxus kann ganz einfach sein.
Eine kräftige, gottseidank heiße Brühe, die noch Kraft gewinnt, durch das fein geschnittene Gemüse, den Schnittlauch, die beide ihr Aroma und ihre Mineralien in dieser Form besonders leicht abgeben. Dazu ein locker-fluffiger Leberknödel, der nichts zu tun hat mit den kanonenkugelgleichen Gebilden der so hoch gelobten Münchner Traditionsküchen.
„Salat muss sein“, sagt Thomas Thielemann. Recht hat er! Denn er liefert fitte Vitamine pur – allerdings nur, wenn er frisch angemacht wird, sofort serviert wird. Das ist aufwendig, weshalb ausgerechnet dieses wichtige Gericht in vielen Restaurants nicht mehr vorkommt oder als lächerlicher Beilagensalat verhunzt wird.
Im Schweinsbräu mengen sich dagegen frische Blattsalate, Tomaten, Radieschen, der Radicchio sendet sanfte Bittertöne (verdauungsfördernd!), geröstete Sonnenblumenkerne verströmen einen Nußgeschmack, und der fruchtig-frische Essig wirkt als Resorptionsverzögerer, lässt also die Kohlenhydrate nicht so schnell ins Blut, was „Zuckerspitzen“ vorbeugt.
So kann Brokkoli auch schmecken: Als langstieliges, wildes Gemüse aus Italien, das Thomas Thielemann sanft dünstet und in einem intensiven Butter-Gemüsefond serviert. Ja, Butter! Das ist ein Geschmacksträger, und in der kleinen Menge schadet er überhaupt nichts. Die kluge Küche für Diabetiker und Freunde der schlanken Linie ist keine Küche der Askese, sondern des Geschmacks.
Ich hatte Glück! Bei meinem Besuch stand der WWW-Gockel auf der Speisekarte. Thomas Thielemann serviert Keule und Brust mit rescher Haut, was den herrlichen Geschmack noch verstärkt. Dazu gelben Rüben, die noch nach Rüben schmecken sowie ein Reiberdatschi, in dessen Innerem rohe Kartoffeln mit ihrem Vitamin C schlummern. Zusammengehalten wird das Ganze von den konzentrierten Aromen der einreduzierten Sauce. Ein Gericht, das allein den Besuch lohnt!
„Das war heute ja fast ein Null-Kilometer-Menü“, meinte Thomas Thielemann hinterher lachend. Tatsächlich, Fleisch, Gemüse (bis auf den Brokkoli), praktisch alles stammte vom Hof – sowie das früher in vielen Landgasthöfen üblich war. Im Winter wird dieser Prozentsatz natürlich geringer und Fische schwimmen auch keine auf dem Gut. Aber es ist schon beachtlich, wie viel „Eigenes“ möglich ist.
Das alles schmeckt aber nicht nur sehr gut, es ist auch unendlich vital. So bleiben durch das Warmschlachten auf dem Hof die Eiweiße besser erhalten und die Vitamine der Salate, Gemüse „verduften“ in der erntefrisch verarbeiteten Ware optimal nicht so schnell.
Ein gastfreundliches Haus ist das Schweinsbräu, das besonders am Sonntag Mittag ein ganz spezielles Flair bietet, wenn Familien mit ihren herumtollenden Kindern in dem vollbesetzten Wirtshaus sitzen (unbedingt vorbestellen!), wenn im Sommer draußen auf der Terrasse eingedeckt ist, im Winter die Fußbodenheizung den Raum gemütlich erwärmt.
Und trotz der hohen Qualität ist das Schweinsbräu bezahlbar: Das vorgestellte Menü kostet um die 55 Euro. Dafür lohnt sich die etwas umständliche Reise nach Glonn, die besonders findige auch mit S-Bahn und Bus von München aus schaffen.
Fazit: In Hermannsdorf arbeitet eines der stärksten Kraftwerke der künftigen deutschen Küche – nach dem Motto: Gestern wird morgen – und der Morgen heißt Schweinsbräu
von Hans Lauber
E-Mail: aktiv@lauber-methode.de
, Internet: www.lauber-methode.de
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