Alle Blicke sind auf mich gerichtet

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Alle Blicke sind auf mich gerichtet

Der neueste Teil der Diabetes-Kurzgeschichtenserie Melli und ich: Nina bemerkt, dass sie im Café wegen einer Insulininjektion in den Fokus anderer Gäste rückt: “Ich will nicht angestarrt werden. Ich will einfach nur meinen Kuchen essen.”

Autorin Lena Schuster ist Psychologin. Seit 2014 hat sie Typ-1-Diabetes. Ihr Bruder hat seit der Kindheit ebenfalls Typ-1-Diabetes, deshalb ist ihr auch der Einfluss der Stoffwechselerkrankung auf die Familie gut bekannt.

Im Diabetes-Journal bringt sie ihre persönlichen Erfahrungen und Eindrücke in der Kurzgeschichtenreihe „Der kleine Melli und ich“ ein.

Kontakt über nuber@kirchheim-verlag.de

Mit einem Lächeln auf den Lippen schließe ich die Augen und genieße die sanften Sommerstrahlen. Die ganze Woche über hat es geregnet, doch heute ist ein wunderschöner warmer Sommertag. Und so haben Melli und ich beschlossen, eine Fahrradtour zu machen und uns in ein Café zu setzen.

Wir haben Glück, denn wir bekommen den letzten Tisch. Die Stadt ist heute unfassbar voll; ringsherum schlendern Paare an Schaufenstern vorbei, Kinder toben durch die Gassen, vereinzelt huscht eine Katze oder ein Hund vorbei. Überall schaut man in strahlende Gesichter, es herrscht eine ausgelassene Stimmung. Das Leben kann doch so schön sein!

Na, was gönnen wir uns heute?

Schließlich wende ich mich lächelnd Melli zu und frage: “Na, was gönnen wir uns denn heute? Einen Eisbecher? Oder doch lieber einen Erdbeerkuchen mit Sahne?” Er schaut mich begeistert an und antwortet: “Erdbeerkuchen mit Sahne.” Wir bestellen zwei davon, dazu eine Kanne Kaffee.

Es dauert eine Weile, bis die Kellnerin unser Essen bringt. Als es endlich da ist, will ich mich sofort auf den Kuchen stürzen: Er sieht so unglaublich lecker aus! Doch gerade, als ich den ersten Bissen genüsslich verschlingen will, bremst Melli mich aus. “Nina, du musst dich doch vorher spritzen. Sonst hast du später wieder so schlechte Werte.”

Die Diabetes-Kurzgeschichtenreihe „Der kleine Melli und ich“ – der Hintergrund


Melli ist ein kleiner Junge, der mit Nina, einer erwachsenen Frau, zusammenlebt. Die beiden Protagonisten der Diabetes-Kurzgeschichtenreihe geraten im Alltag immer wieder in Konflikt: beim Essen, beim Sport etc.

Autorin Lena Schuster: „Für mich ist der Diabetes vergleichbar mit dem kleinen Melli, den man oft zu gerne ignorieren möchte, doch das geht leider nicht. Denn ignoriert man den Diabetes, ist er wie ein schreiendes Kind, das einen nicht zur Ruhe kommen lässt. Kümmert man sich jedoch um den Diabetes, so macht einen das stark – und man erkennt, dass man bereit ist, auch andere Probleme des Lebens zu bewältigen.“

Ein bisschen verärgert lege ich das Stück Kuchen wieder auf den Teller. Nie hat man mal eine Sekunde Ruhe! Immer wird man gestört. Doch ärgern bringt nichts, schließlich hat Melli recht. Und so greife ich zu meiner Tasche und suche nach meinem Pen. Ich hole ihn heraus, wechsle noch kurz die Kanüle, ziehe mein T-Shirt hoch und spritze mir die entsprechende Menge Insulin.

Als ich fertig bin, schaue ich auf und bemerke, dass mich eine Gruppe Touristen, die am Nebentisch sitzt, anstarrt. Ich blicke in entgeisterte, verwunderte Gesichter. Es macht mich nervös. Warum sehen mich alle an? Was ist los? Unsicher beuge ich mich zu Melli. “Sag mal, habe ich irgendetwas im Gesicht? Oder warum beobachten mich alle?” Schüchtern blicke ich wieder zum Nebentisch. Es sind immer noch alle Blicke auf mich gerichtet. Ich werde unruhig.

“Sie tun Ihrem Körper nichts Gutes!”

Ich will nicht angestarrt werden. Ich will doch einfach nur meinen Kuchen genießen. Plötzlich beugt sich eine Frau der Gruppe zu mir und sagt: “Wissen Sie, Sie tun Ihrem Körper mit dem Kuchen nichts Gutes. Ich weiß, wovon ich spreche. Eine Kollegin hat auch Diabetes und sie isst nichts Süßes. Das finde ich auch vernünftig.”

Kaum hat sie es ausgesprochen, platzt mir der Kragen! Das kann doch wohl nicht wahr sein! Was bildet sie sich eigentlich ein? Mir einfach reinzureden? Dabei kennt sie mich doch gar nicht. Und wirklich Ahnung hat sie auch nicht! Wie kann sie es wagen, mich vor so vielen Leuten zu belehren? Wut steigt in mir hoch. Ich bin empört: “Sie wissen doch gar nicht, wovon Sie da sprechen. Sie haben doch gar keine Ahnung. Kümmern Sie sich doch um Ihre eigenen Probleme.”

Grantig drehe ich mich zu Melli und bemerke: “Komm, wir gehen. Das müssen wir uns doch nicht gefallen lassen! So eine Frechheit.”


Kommentar der Autorin:

Der Diabetes bringt uns manchmal in schwierige Situationen. Nina möchte mit Melli einfach nur den sonnigen Tag in einem Café genießen, doch plötzlich bekommt sie die Aufmerksamkeit des Nebentisches – und das nur, weil sie sich spritzt. Das ist sehr unangenehm für Nina, und sie wird immer nervöser. Als schließlich eine Frau Nina Ratschläge geben will, rastet sie aus und möchte nur noch flüchten.

Von anderen bewertet zu werden, ohne dass sie Kenntnisse über einen selbst und über die Krankheit haben, ist lästig. Viele geben einem das Gefühl, dass sie es besser wissen. Am Ende ist jedoch wichtig, wie ich mit dem Diabetes umgehe – und nicht, wie andere wollen, dass ich damit umgehe. Entscheidend ist, wie es mir mit der Krankheit geht, und nicht, wie andere Menschen darüber denken. Von Bedeutung für mich ist: Wie sehe ich mich? Was erwarte ich von mir? Und was möchte ich bei dem und mit dem Diabetes erreichen?


von Lena Schuster
Redaktion Diabetes-Journal, Kirchheim-Verlag,
Wilhelm-Theodor-Römheld-Straße 14, 55130 Mainz,
Tel.: (0 61 31) 9 60 70 0, Fax: (0 61 31) 9 60 70 90,
E-Mail: redaktion@diabetes-journal.de

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2018; 67 (8) Seite 36-37

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