5 Minuten
Christina (24) ist Studentin und freute sich sehr auf ihr Auslandssemester in Neapel. Die italienische Sprache lernte sie schon seit Längerem. Als sich zu Jahresbeginn ihre Mutter schon Sorgen wegen „Corona“ machte, winkte Christina noch ab. In Italien angekommen, merkte sie dann recht schnell, dass man mit einer chronischen Erkrankung wie Diabetes die Dinge doch oft anders sieht als andere Menschen.
Ein Auslandssemester in Italien – Sonne, Strand und Meer, Pizza, Pasta und Gelato, Dolce Vita und Lebenslust pur. Das erwartete ich, als ich mich auf den Weg nach Neapel machte, der Stadt unweit des Vesuvs und der Amalfi-Küste.
Natürlich wollte ich auch das Universitätsleben kennenlernen und meine Sprachkenntnisse verbessern – ich freute mich auf den Studierendenalltag: Vorlesungen, im Innenhof des Fakultätsgebäudes lernen, abends Freunde auf der Piazza treffen. – Stattdessen durfte ich einen Monat nur die eigenen vier Wände sehen. Die Corona-Pandemie machte mein lang geplantes und lang ersehntes Auslandssemester zunichte.
Anfang des Jahres machte sich meine Mutter schon etwas Sorgen wegen der Ausbreitung des Virus, aber ich sagte: „Ach Mama, in Italien ist doch nichts.“ Welche Ironie, wenn man daran denkt, dass Italien zum Epizentrum Europas wurde …! Es folgten viel Planung und Organisation, vor allem bezüglich des Diabetes – Insulin, Hilfsmittel, Sensoren und das, was man sonst so alles als Diabetiker für sechs Monate benötigt, füllten schnell den Koffer. Dann endlich stieg ich aufgeregt ins Flugzeug.
Koffer schnell voll: Diabetesvorrat für 6 Monate!
Meine ersten Wochen in Neapel waren auch wirklich schön. Ich machte einen Sprachkurs am Sprachenzentrum, direkt an der Promenade, und lernte dort viele andere Studenten aus den verschiedensten Ländern kennen. Ich erkundete die Stadt und suchte mir ein Zimmer – lediglich für die erste Woche hatte ich ein Bed and Breakfast gebucht. In Italien ist das aber gang und gäbe für Erasmus-Studierende. In den ersten Tagen besichtigte ich mehrere Wohnungen und fand schnell ein Zimmer.
Ausblick von der Promenade am Sprachenzentrum.
Ende Februar kam es dann allerdings schon zu den ersten Schließtagen von Schulen und Universitäten. Während das Virus im Norden unaufhaltsam wütete, war im Süden noch nicht viel angekommen von der bedrückenden Stimmung. Als sich der Lockdown auf das gesamte Land ausweitete und ganz Italien zur Sperrzone erklärt wurde, sah es dann anders aus – dennoch nahmen es viele nicht ernst: Sie sahen vor allem die ersten Schließtage eher als Urlaub und mehr Freizeit an. Ich hingegen nahm die Situation ernst und machte mir wegen des Diabetes Sorgen – wie bei vielen geistert bei mir das Wort „Risikogruppe“ im Kopf herum.
Jeden Tag surfte ich im Netz und suchte immer wieder nach neuen Informationen. In meinem Umfeld war ich eine der wenigen, die sich zurückhielten, nicht mehr so oft hinausgingen und auf Ausflüge verzichteten. Eines Abends wurde ich wie folgt angesprochen: „Du bist aber nicht diejenige, die nicht mehr rausgeht, weil sie Angst vor Corona hat, oder?“ Da wurde mir mal wieder klar, wie anders man mit einer chronischen Krankheit über viele Dinge denkt.
Enge Gassen – typisch Neapel.
Ab Anfang März war dann auch alleiniges Spazieren und Joggen verboten: Eine offizielle Ausgangssperre trat in Kraft. Ich hatte ein hübsches Zimmer in einer WG, in das aber kaum Licht kam (wie in der gesamten Wohnung). Als ich mich für das Zimmer entschied, dachte ich mir: „Nicht so schlimm, das Leben in Italien spielt sich ja sowieso draußen ab.“ Doch es kam ganz anders, schade: Die meisten meiner neuen Bekanntschaften kehrten schnell in ihr Heimatland zurück, als Grenzen geschlossen und immer mehr Flüge gestrichen wurden.
Ich aber wollte die Hoffnung nicht aufgeben und wartete einige Wochen ab, bis ich mich dann doch – als eine der Letzten – schweren Herzens zur Rückkehr nach Deutschland entschied. Ich buchte einen Flug für Ende März und nutzte die verbliebene Zeit für Online-Vorlesungen und Selfcare-Momente.
Wenige Tage vor meiner geplanten Abreise wurde jedoch mein Flug storniert – der nächste verfügbare Flug, auf den ich hätte umbuchen können: erst im Mai. Da war ich letztendlich doch etwas verzweifelt, und die innere Ruhe war weg: Ohne zu wissen, wann ich wieder normal rausgehen kann, ob die Universität irgendwann im Semester wieder aufmacht, ob ich in nächster Zeit überhaupt noch nach Hause komme, war es nicht einfach.
Nach Telefonaten mit der Botschaft, dem Auswärtigen Amt und aufgelösten Gesprächen mit meiner Familie fand ich schließlich einen Weg, nach Hause zu gelangen: Ich startete in Neapel und flog nach Rom, wo ich die Nacht am Flughafen verbrachte (in Gesellschaft meiner besten Freundin über Skype, die solidarisch die ganze Nacht mit mir wach blieb).
Am nächsten Morgen flog ich dann von Rom nach Frankfurt. Von dort holte mich meine Schwester mit dem Auto ab, und wir fuhren weitere drei bis vier Stunden bis in unsere Heimat. Es war ein sehr, sehr langer Rückweg, aber ich war erleichtert, als ich schlussendlich auf der Terrasse zwischen meiner Mutter und meiner Schwester saß – natürlich mit Sicherheitsabstand.
Mit geringer Gefahr der Ansteckung nach Hause: Nichts los war an den Flughäfen.
Dass ich in Italien so lange ausharrte, bereue ich nicht: erstens, weil ich weiß, dass ich nicht direkt aufgegeben und mein Bestes versucht habe, zweitens, weil am Flughafen so gut wie nichts los war, somit die Ansteckungsgefahr gering blieb. Im Flugzeug bekam ich vom Flugbegleiter eine Mund-Nasen-Maske, da niemand ohne fliegen durfte. In Italien wurde streng auf Sicherheitsmaßnahmen geachtet. Es gab Fluggäste, die in kompletten Schutzanzügen durch die Gates schritten – ich fühlte mich wie in einem postapokalyptischen Film.
Meinen Diabetes hatte ich relativ gut im Griff. Während des ersten Monats war ich viel unterwegs und hatte sehr viel Bewegung, da es allein zum Sprachenzentrum über drei Kilometer waren und ich diese meist lief. So konnte ich mir ohne schlechtes Gewissen neapolitanische Pizza gönnen, wobei diese mir trotzdem den ein oder anderen hohen Glukosewert bescherte.
Ich versuchte, locker mit meiner Erkrankung umzugehen, und redete offen darüber. Für mich persönlich war das ein großer Fortschritt, da ich bei neuen Bekanntschaften schon immer Probleme diesbezüglich hatte.
Auch schöne Momente konnte Christina trotz Pandemie und Lockdown genießen.
In der Zeit des Drinnenbleibens war es natürlich wieder eine große Umstellung, da die Bewegung wegfiel und der Tagesablauf erneut ein ganz anderer war. Aber auch das war kein großes Problem, denn durch Sportvideos und angepasste Insulinabgaben konnte ich eine einigermaßen stabile Kurve halten. Der seelische Stress der letzten Tage hingegen zeigte sich deutlich. Zuhause angekommen beruhigte sich mein Gemüt, und die Glukosewerte pendelten sich ein. Die zwei Wochen freiwillige, häusliche Quarantäne in Deutschland habe ich gesund überstanden.
Wenn mich die Melancholie überkommt wegen meines verlorenen Auslandssemesters, dann rufe ich mir in Erinnerung, dass 2020 nur eines wirklich wichtig ist: gesund zu bleiben und seine Mitmenschen zu schützen.
von Christina Unrau
E-Mail: christina.unrau@outlook.de
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2020; 69 (8) Seite 47-49
5 Minuten
Geschichten, Gemeinschaft, Gesundheit: Der Diabetes-Anker ist das neue Angebot für alle Menschen mit Diabetes – live, gedruckt und digital. Der Diabetes-Anker und die Community sind immer da, wo du sie brauchst. Für alle Höhen und Tiefen.
Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.
Beliebte Themen
Ernährung
Aus der Community
Push-Benachrichtigungen