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Diabetes mellitus ist als Erkrankung zunächst einmal unsichtbar. Sie selbst sollten für sich klären, ob Sie Unterstützung, ob Sie Verständnis haben möchten – oder ob andere lieber nichts wissen sollen von Ihrem Diabetes. Im Artikel geht es um Vor- und Nachteile.
Wer darf im Freundes- und Bekanntenkreis wissen, dass ich Diabetes habe? Diese Frage kann nicht einheitlich beantwortet werden. Einfacher ist sicherlich zu beschreiben, welche Befürchtungen Betroffene haben, wenn andere vom Diabetes erfahren.
Nehmen wir das Beispiel einer Geburtstagseinladung mit Kaffee und Kuchen: Bei unsensiblen Gästen könnte es vorkommen, dass das zweite Stück Kuchen kommentiert wird. Nicht selten führen solche Bemerkungen zu einer schlechten Stimmung, weil sich der Betroffene gezwungen fühlt, sich zu rechtfertigen. Entweder muss er erklären, dass dieses Essverhalten mit seiner Therapie vereinbar ist – oder er muss zugeben, dass ihm seine Stoffwechselsituation egal ist und er durch das zweite Stück Kuchen hohe Blutzuckerwerte in Kauf nimmt. Ein unerwünschtes Gesprächsthema, oder? Die Möglichkeit, dass sich jemand wo auch immer in die eigenen Verhaltensweisen einmischt, ist für viele Diabetesbetroffene sicher ein schwerwiegender Grund, sich nicht zu öffnen.
Anders liegt der Fall im engeren Familienkreis: Hier gibt es keine Entscheidungsfreiheit für oder gegen Outing des Diabetes. Eher sollte man über die Regeln sprechen: Wer darf sich einmischen? Eine Möglichkeit, diese Regeln zu kommunizieren, ist ein neues Schulungskonzept für Angehörige: „DiaLife“. Hier stehen Angehörige im Mittelpunkt, um Umgangsweisen mit Diabetes, ob Typ-1- oder Typ-2-Diabetes, besser zu verstehen, z. B. das Thema Unterzuckerungen.
Unterzuckerungen (Hypoglykämien) können bei Menschen mit Typ-1- und Typ-2-Diabetes auftreten. Schwere Unterzuckerungen erfordern oft die Infusion von Glukose oder die Injektion von Glukagon (ein Hormon, das den Blutzuckerspiegel erhöht). Das Risiko für schwere Hypoglykämien, bei denen man auf Fremdhilfe angewiesen ist – und sei es nur das Reichen von Traubenzucker oder einem süßen Getränk –, ist bei Menschen mit Typ-1-Diabetes höher als bei Menschen mit Typ-2-Diabetes. Dies gilt vor allem, wenn Unterzuckerungen nicht mehr frühzeitig gespürt werden, also eine Hypoglykämie-Wahrnehmungsstörung vorliegt: Diese Gruppe sollte nicht darüber nachdenken, den Diabetes zu verheimlichen, da sonst im Notfall nicht richtig reagiert werden kann.
Unterzuckerungen können in der Regel anhand ihrer typischen Symptome wahrgenommen werden: Schwitzen, Zittern, Herzklopfen, Hunger- und Angstgefühle. Das erkennt jeder Außenstehende nur, wenn diese Anzeichen richtig zugeordnet werden können. Unterhalb eines Blutzuckers von ca. 50 mg/dl (2,8 mmol/l) treten Symptome auf wie Benommenheit, Konzentrationsschwäche, Verlangsamung des Denkens, leichte Fehler bei Routinetätigkeiten, motorische Unsicherheiten, Sprach- und Sehstörungen, Koordinationsstörungen, unnormales Verhalten, Verwirrtheit.
Niemand empfindet es als angenehm, wenn im Alltag jemand Fremdes diese Symptome mitbekommt. Schwere Unterzuckerungen gehen außerdem häufig mit dem zunehmendem Verkennen der Realität einher, mit Kontrollverlust, Aggressivität, Bewusstseinseinschränkungen. Als unspezifische Zeichen sind Übelkeit und Kopfschmerzen zu nennen. Bei einem Blutzucker unter ca. 30 mg/dl (1,7 mmol/l) drohen sogar Krämpfe und Bewusstseinsverlust.
Das Verhindern von Hypoglykämien als ein Ziel der Diabetestherapie wurde in allen verfügbaren Leitlinien der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) beschrieben, was auch individuelle Therapieziele begründet. Ein erhöhtes Unfallrisiko durch die Beeinträchtigung kognitiver Funktionen aufgrund einer Hypoglykämie sollte in jedem Fall vermieden werden. Die Aufklärungspflicht hat in diesem Fall das diabetologische Behandlerteam. Hinweise auf eine erhöhte Unfallhäufigkeit im Straßenverkehr von Menschen mit Diabetes gibt es nicht, wie Versicherungsdaten zeigen und auch in der Leitlinie „Diabetes und Straßenverkehr“ beschrieben wird.
Eine intensive Glukosekontrolle ist erforderlich, um Sicherheit bei Tätigkeiten im Beruf zu haben. Dabei ist auch an Arbeitsbereiche zu denken, die bislang insulinbehandelten Menschen mit Diabetes verschlossen sind. Juristisch heißt das, einen erweiterten Hilfsmittelbedarf als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben anzuerkennen.
Der kontinuierliche Fortschritt von technischen Assistenzsystemen ermöglicht Menschen mit Diabetes, neue Tätigkeitsbereiche sicherer auszuüben – ohne die Sorge glykämischer Entgleisungen. Systeme zum kontinuierlichen Glukosemonitoring (CGM) können zum Beispiel Beschäftigten dabei helfen, auch im Alter länger und gesünder zu arbeiten. Diese fähigkeitsverstärkende Funktion trifft auch für den kognitiven Bereich zu. Die ständige Verfügbarkeit der Informationen über den Glukoseverlauf kann zur Entscheidungsunterstützung beitragen. So können mittels intelligenter Assistenzsysteme Entscheidungsspielräume ausgebaut und eine gutes Gelingen der Arbeit gesichert werden.
Aktuelle Glukosewerte, die durch neue Diabetestechnologien ständig verfügbar sind, bedeuten für Familienangehörige eine wiedergewonnene höhere Sicherheit. Sie können wie die Betroffenen ebenfalls ruhiger durch den Tag und die Nacht kommen. Ein Störfaktor dieser technischen Systeme bezüglich Outing könnte kurzärmelige Kleidung sein: Das technische Equipment ist sichtbar. Auch bei technischen Untersuchungen wie CT und MRT outen sich Betroffene, da diese Systeme für diese Untersuchung entfernt werden müssen.
In der Praxis existiert ein Phänomen, das „Insulinvermeidungszwang“ genannt wird: Das bedeutet, dass Betroffene Benachteiligungen oder finanzielle Einbußen vermeiden möchten, wenn Insulinbedürftigkeit vorliegt. Ein insulinbehandelter Pilot oder ein Seefahrer wird voraussichtlich vieles oder alles daran setzen, dass seine Erkrankung nicht bekannt wird. Denn dann müsste er womöglich mit einem Verbot der bisherigen Tätigkeit rechnen.
Es könnte versucht werden, eine eigentlich erforderliche Insulintherapie zu umgehen durch die Einnahme vieler verschiedener blutzuckersenkender Tabletten bei Typ-2-Diabetes – verbunden mit dem Risiko einer Potenzierung der Nebenwirkungen. Katastrophal wäre auch eine heimliche Insulininjektion. Beides ist hochgradig gefährlich im Sinne einer Selbst-und Fremdgefährdung. Diabetes-Experte Dr. Kurt Rinnert beschrieb 2010, dass der Sinn des Ausschlusses insulinbehandelter Menschen mit Diabetes aus risikoreichen Berufen sich dabei ins Gegenteil verkehrt, da die Gefährdungen für Mensch und Maschine beträchtlich steigen werden. Outing ist ohne Frage in diesem Fall die bessere Lösung.
Menschen mit Diabetes können nahezu alle Berufe und Tätigkeiten ausüben, zu denen sie nach Neigung, Begabung, praktischen Fähigkeiten und Ausbildung geeignet sind, solange keine anderen Folge- oder Begleiterkrankungen vorliegen, die dieses unmöglich machen. Lediglich sind einige wenige Tätigkeiten für Menschen mit Diabetes nicht oder weniger gut geeignet. Es wäre unter Umständen sinnvoll, viel öfter eine gemeinsame Beratung eines Arbeitsmediziners und eines Diabetologen anzustreben.
In dem Moment, wenn sich Betroffene mit Diabetes outen, muss man sich im Klaren sein, dass das Konsequenzen haben kann. Ein eindeutiger Vorteil ist es, dass bei Bedarf Hilfe geleistet werden kann, wenn die Umgebung eingeweiht ist. Zudem ist die Frage zu stellen, ob man durch Outing eine gewisse Schonung oder Verständnis für Arbeitsbereiche erwartet oder nicht? Innerhalb der Familie sind klare Worte und Vereinbarungen sicherlich ein guter Weg.
Das eigene Gefühl für die gewünschte Unterstützung bei dieser chronischen Erkrankung sollte jeder für sich beantworten, vereinbaren und leben. Dieser Artikel soll dazu beitragen, Überlegungen für eine Entscheidungsfindung zu treffen.
Autorin:
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Erschienen in: Diabetes-Journal, 2020; 69 (7) Seite 26-29
5 Minuten
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