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„Stell dir vor, er wäre dein Mitbewohner“, sagte meine Diabetesberaterin.
So ein Blödsinn. Mitbewohner? Dass ich nicht lache. Nannte man so jemanden, der sich heimtückisch in dein Zuhause schlich und es sich ohne jede Rücksicht gemütlich machte?
Ich war alleine hier drin vollkommen zufrieden gewesen. Sollte er sich doch wieder verziehen. Ich war zuerst hier. Die Regel verstand selbst mein kleiner Bruder.
Aber er ging nicht. Nie mehr.
„Na gut!“, brüllte ich ins Leere hinein und fühlte mich dabei unglaublich albern. „Du wolltest mich? Ich bin hier. Also, komm raus. Komm endlich, endlich raus.“ Niemand antwortete. Ich drehte mich auf dem Absatz herum und war schon dabei, wieder herauszustolzieren. Wusste ich es doch. So eine dämliche Idee. Aber da – eine kleine Bewegung, fast schon unscheinbar. Ich verharrte, sah genauer hin.
„Hallo“, stammelte ich verwirrt.
Ein schwaches Winken kam zurück. Ich wagte mich näher heran. „Geht es dir gut?“, fragte ich vorsichtig.
„Hatte schon bessere Tage“, antwortete er und blickte zur bröckelnden Wandfassade. „Bessere Monate trifft es wohl eher“, schob er daraufhin noch hinterher.
Unmittelbar klopfte nun auch noch das schlechte Gewissen an der Tür. Ich ignorierte es gekonnt. „Es sähe hier besser aus, wenn du nicht da wärst“, versuchte ich mich zu verteidigen.
Überrascht bemerkte ich, wie er betrübt das Gesicht abwendete. „Warum?“, flüsterte er.
„Warum was?“
„Warum magst du mich nicht?“
Fassungslosigkeit überflutete den Flur.
„Weil… weil du so verdammt anstrengend bist. Du machst alles nur schwieriger und komplizierter und du… passt einfach nicht.“ Mit jedem meiner Worte schien er ein wenig mehr in sich zu versinken. Doch ich konnte nicht aufhören, es sprudelte und brodelte und strömte aus jeder Ecke hinein.
„Kannst du nicht einfach gehen? Bitte?“, flehte ich letztendlich. War das wirklich zu viel verlangt?
„Ich kann nicht“, gab er mir nur die Antwort, die ich sowieso schon wusste.
Frustriert wandte ich ihm den Rücken zu. Er kam langsam näher, ich spürte, wie er mir eine Hand auf die Schulter legte.
„Es tut mir leid.“
Ich lachte lautlos auf.
„Aber“, fuhr er fort, „auch wenn du mich nicht magst, wir sind hier. Guck dich um – wenn du mich ignorierst, machst du uns beide kaputt.“
„Das weiß ich doch“, entgegnete ich, „und ich wünschte, es wäre anders. Ich wünschte, das Chaos wäre leichter. Vielleicht würdest du mich dann nicht mehr so wütend machen.“
Stille erfüllte die Momente zwischen uns. Dich zu hassen war immer einfach gewesen. Es tat nicht weh, zumindest meistens, und die Konsequenz schien so weit entfernt. Dich zu akzeptieren hingegen – das bedeutete nervöse Blicke auf das Messgerät, sorgenvolle Nächte, zu verzichten.
Es bedeutete Verantwortung. Den, in den ewigen Urlaub abgerauschten, Insulinzellen die Meinung geigen und selbst anpacken. Angst, es nicht zu schaffen, über alte Muster zu stolpern und sich in ihnen zu verstricken. Aber was wäre die Alternative? Jetzt schon aufgeben und solange beleidigt in der Ecke heulen, bis alles zusammenbricht? Ich hatte doch die Wahl.
Denn vor allem bedeutete es Zukunft.
Ich konnte mir ein kurzes Seufzen nicht verkneifen, als ich mich zu dir umdrehte.
„Mach dich bereit, wir müssen renovieren.“
Auch Annika hat beschlossen, sich ihrem Diabetes mit Worten zu nähern. Daraus entstand „Eine Liebeserklärung an dich, lieber Diabetes!“
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