Essstörungen – Is(s)t mein Kind gesund?

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Essstörungen – Is(s)t mein Kind gesund?

Lisa ist 12, sie liebt Tiere und insbesondere ihre Kaninchen. Mit dem Reitunterricht hat sie vor kurzem aufgehört, weil sie sich von den anderen Mädchen in der Gruppe ausgeschlossen und nicht verstanden gefühlt hat. Ein paarmal sind Witze über "das arme Pferd" gefallen oder Bemerkungen darüber, dass sie doch "den Pferden zuliebe" auf die Süßigkeit nach dem Training verzichten sollte. Auch in der Schule haben die Mitschüler schon Bemerkungen über ihre Figur gemacht. Nach Möglichkeit versucht Lisa, den Sportunterricht zu vermeiden. Sie schämt sich, wenn sie sich umziehen muss. In der Pause nascht sie gerne – aber nur heimlich, damit die anderen keine blöden Bemerkungen machen. Ein paarmal hat sie schon versucht abzunehmen. Sie macht sich Pläne und versucht dann, nur noch eine Mahlzeit pro Tag zu sich zu nehmen. Oft hat sie Heißhunger und isst dann große Mengen.

Luis ist 17, er hat viele Freunde in der Klasse, mit denen er gerne etwas unternimmt oder die Nächte durch am PC sitzt. Die meisten sind sehr sportlich und viel muskulöser als er. Seit kurzem geht er mit den anderen ins Fitnessstudio. Er möchte unbedingt Muskeln aufbauen und hat sich einen strengen Trainings- und Ernährungsplan aufgestellt. Immer wieder gibt es Ärger mit seiner Mutter, weil er versucht, sich hauptsächlich eiweißreich zu ernähren und Kohlenhydrate zu meiden.

Merle ist 18, sie besucht das Gymnasium und ist eine sehr gute Schülerin, und sie bekommt viel Anerkennung für ihre guten Noten. Es ist ihr sehr wichtig, gut auszusehen, und sie ist stolz darauf, in den letzten Monaten so gut abgenommen zu haben. Bei den letzten Ambulanzbesuchen hat sich allerdings gezeigt, dass ihr Langzeitblutzuckerwert drastisch angestiegen ist. Ihre Eltern haben sich darüber ziemlich aufgeregt. Die Insulinpumpe möchte sie nicht mehr tragen und sich um ihre Diabetesbehandlung komplett alleine kümmern. An Familienmalzeiten nimmt sie nicht mehr teil – es gibt eh‘ immer nur Streit mit ihrer Mutter über ihre Essgewohnheiten.

Was können Eltern tun?

"Normal" oder schon problematisch?

Als Eltern machen wir uns oft Sorgen um unsere Kinder und fragen uns, ob ein bestimmtes Verhalten "noch normal" ist. Der Übergang von normalen schlechten Stimmungen oder ungünstigen Verhaltensweisen zu psychischen Störungen ist in der Regel fließend. Jedes Kind ist mal traurig oder ängstlich, ohne gleich eine Depression oder eine Angststörung zu haben. Und viele Kinder essen phasenweise mehr oder weniger oder nur ganz bestimmte Lebensmittel, ohne an einer Essstörung zu leiden.

Deshalb ist es gar nicht so einfach, zu erkennen, wann professionelle Unterstützung notwendig und sinnvoll ist. Essstörungen entwickeln sich mit der Zeit, und häufig tritt vorab ungünstiges oder gestörtes Essverhalten über eine längere Zeit und in starkem Ausmaß auf. Daraus kann sich dann eine behandlungsbedürftige Essstörung entwickeln. Es gibt ypische Anzeichen, die auf eine Essstörung bei Jugendlichen hindeuten können. Das heißt aber nicht, dass Teenager automatisch krank sind, wenn gelegentlich ein oder mehrere dieser Anzeichen zu beobachten sind. Eine klinische Diagnose können nur Fachleute stellen!

Achten Sie auf Veränderungen

Eltern sollten jedoch aufmerksam für bestimmte Hinweise sein, wie deutliche Veränderungen im Essverhalten: Wenn ihr Kind bespielsweise häufig bestimmte Nahrungsmittel meidet, Mahlzeiten auslässt, abwechselnd große Mengen und sehr wenig isst oder sich selbst sehr strenge Regeln aufstellt. Auch eine deutliche, unerklärliche Gewichtsabnahme in relativ kurzer Zeit oder eine Verschlechterung der Stoffwechseleinstellung können Hinweise auf essgestörtes Verhalten sein. Viele Jugendliche mit einer Essstörung sind sehr unzufrieden mit ihrem Gewicht und ihrer Figur. Sie beschäftigen sich gedanklich sehr viel mit Strategien zur Gewichtsabnahme. Oft ziehen sich die Betroffenen mit der Zeit von Freunden zurück und vermeiden zuvor beliebte Hobbies und Aktivitäten, sind gereizt und stimmungslabil. Die häufigsten Essstörungen sind die Magersucht (Gewichtsverlust, extrem niedriges Gewicht), die Bulimie (Essattacken gefolgt von Gegenmaßnahmen wie z. B. Erbrechen) und die Binge-Eating-Störung (Essattacken ohne Gegenmaßnahmen).

Essen ist für uns alle wichtig, doch bei Typ-1-Diabetes hat die Nahrungsaufnahme einen besonderen Stellenwert – jede Mahlzeit und jeder Snack müssen berechnet und der Körper entsprechend mit Insulin versorgt werden, um eine optimale Stoffwechseleinstellung zu gewährleisten. Sind Jugendliche mit Diabetes deshalb stärker gefährdet, eine Essstörung zu entwickeln? Einige Studien sprechen dafür, in anderen Untersuchungen finden sich keine erhöhten Raten im Vergleich mit stoffwechselgesunden Jugendlichen. Allerdings scheint es einen bedeutsamen Anteil an Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes zu geben, der ungünstige Strategien zur Gewichtsreduktion einsetzt oder essgestörtes Verhalten zeigt. Bei Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes kann dies auch die Unterdosierung oder das Weglassen von Insulin sein, mit dem Ziel abzunehmen. Dieses sogenannte "Insulin-Purging" ist eine gewichtsreduzierende Maßnahme, die ausschließlich Menschen mit Typ-1-Diabetes zur Verfügung steht und zu einer unzureichenden Qualität der Stoffwechseleinstellung führt. Wenn Eltern den Verdacht haben, dass ihr Kind eine Essstörung entwickelt, kann das starke Ängste auslösen. Es ist hilfreich, wenn es ihnen dennoch gelingt, ruhig zu bleiben. Ein offenes Gespräch mit dem betroffenen Kind sollte zu einem günstigen Zeitpunkt stattfinden, also nicht im Streit oder in Eile. Damit das Gespräch konstruktiv verläuft, sollten Eltern Vorwürfe vermeiden und stattdessen eigene Beobachtungen, Gedanken und Gefühle beschreiben ("Ich mache mir Sorgen, weil…"). Es ist auch wichtig, dass Eltern selber ein gutes Vorbild sind und sich regelmäßig und gesund ernähren und keine übertriebenen Ideen bezüglich Figur und Gewicht vertreten. Frühzeitig professionelle Hilfe aufzusuchen, erhöht die Chancen für eine erfolgreiche Behandlung.

Das Positive im Blick behalten

In belastenden Situationen kommen positive Augenblicke häufig zu kurz. Um dem entgegenzuwirken, können Eltern bewusst schöne Zeiten und Aktivitäten mit der Familie einplanen – unabhängig von den gerade bestehenden Schwierigkeiten und Sorgen. Beschäftigen Sie sich mit Dingen, die Ihrem Kind Spaß machen. Bestätigung und das Gefühl von Geborgensein geben Kindern Halt und Stabilität.

Ob Lisa, Luis oder Merle eine Essstörung haben oder nicht, kann nur durch eine ausführliche psychologische Diagnostik herausgefunden werden. Sicher ist, dass auch milde Formen gestörten Essverhaltens bei Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes zu einer unzureichenden Stoffwechseleinstellung führen können. Deshalb ist es wichtig, dass sich betroffene Familien rechtzeitig professionelle Hilfe holen.

Hilfen für Eltern und Jugendliche

Autorin:

Dr. Heike Saßmann
Medizinische Hochschule Hannover
Medizinische Psychologie

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