Warum die Psyche bei Diabetes eine wichtige Rolle spielt

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Warum die Psyche bei Diabetes eine wichtige Rolle spielt

Probleme mit der Stoffwechsel-Einstellung lösen bei Menschen mit Diabetes häufig Stress aus. Die mentale Anspannung führt ihrerseits dann wieder zu Schwierigkeiten beim Management der Blutzuckerwerte – es entwickelt sich ein Teufelskreis, der sich in der Regel nur durchbrechen lässt, wenn in der medizinischen Behandlung auch die psychische Verfassung der Betroffenen berücksichtigt wird. Worauf dabei zu achten ist, erläutert der Fachpsychologe Adrian Grimshaw.

Beim Umgang mit Diabetes im Alltag spielt auch die psychische Verfassung der Betroffenen eine Rolle. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass Depressionen meist zu einer schlechteren Stoffwechsel-Einstellung führen. Probleme mit den Blutzuckerwerten können auf der anderen Seite ebenfalls negative Folgen für die Psyche haben – die Wechselwirkungen zwischen körperlichen und mentalen Symptomen beschäftigen deshalb auch das medizinische Fachpersonal. Anlässlich der Herbsttagung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) in Wiesbaden gab Fachpsychologe Adrian Grimshaw vom Herz- und Diabeteszentrum Nordrhein-Westfalen (HDZ) in Bad Oeynhausen einen Einblick in Ursachen und Behandlung von psychischen Erkrankungen bei Diabetes.

Statistische Erhebungen zeigen laut Grimshaw, dass psychische Probleme und Diabetes häufig gemeinsam auftreten. Menschen mit Diabetes haben – je nach Studie – ein um 30 bis 60 Prozent erhöhtes Risiko, eine Depression zu entwickeln. Etwa 40 Prozent aller Menschen mit einer Depression erkranken im Lauf ihres Lebens zusätzlich an Typ-2-Diabetes. Auch das ist ein erhöhter Wert. Gleichwohl ist nicht jedes Stress-Empfinden im Zusammenhang mit der Diabetesbehandlung krankhaft, macht der Fachpsychologe deutlich. Dass zu hohe oder zu niedrige Werte bei Menschen mit Diabetes auch mal Ärger oder Frust auslösen, sei ganz normal, so Grimshaw.

Abwägungen sind Teil des Alltags mit Typ-1-Diabetes

Bei Typ-1-Diabetes sind es meist jüngere Menschen, die den Umgang mit der Erkrankung als übermäßig stressig erleben. “Die Spontanität geht in vielen Bereichen verloren”, erklärt der Fachpsychologe. Das bedeutet vor allem für Jugendliche einen Verlust an Lebensqualität. “Sie müssen sich selbst als chronisch krank akzeptieren, ohne sich minderwertig zu fühlen.” Ratschläge oder Belehrungen der Eltern werden in diesem Alter oft nicht gern angenommen, was die Stoffwechsellage zusätzlich verschlechtern kann. Junge Menschen mit Diabetes müssen außerdem lernen, wie ihr Körper auf Streit und Konflikte reagiert.

Später kommen dann berufliche Abwägungen hinzu. Mitunter sehen sich Menschen mit Typ-1-Diabetes unter Druck, einen Kompromiss aus guter Stoffwechsel-Einstellung und Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz finden zu müssen. Vor bestimmten beruflichen Terminen werden hohe Blutzuckerwerte dann bewusst in Kauf genommen, um vor anderen nicht essen oder messen zu müssen, hat Grimshaw beobachtet. “Solche Fragen stellen sich für Menschen ohne Diabetes nicht.”

Auch bei Typ-2-Diabetes ist eine Depression häufiger Begleiter

Auch die Diagnose Typ-2-Diabetes kann Depressionen auslösen oder verstärken. Bei dieser Erkrankung sind meist Umstellungen des Lebensstils erforderlich, die von manchen Betroffenen als Einschränkung empfunden werden. Einige entwickeln Schuldgefühle, dass sie durch zu wenig Bewegung oder auch durch ungesunde Ernährung zum Auftreten der Erkrankung beigetragen haben. In der Therapie kann es zu Frust-Erlebnissen kommen, wenn zum Beispiel das Abnehmen nicht gelingt oder die Werte trotz erhöhter Disziplin nicht besser werden. Außerdem spielt Angst eine Rolle beim Auftreten von Depressionen – einige fürchten sich vor Folgeerkrankungen, andere vor den Nebenwirkungen von Medikamenten oder vor einer Insulintherapie.

Nicht zuletzt kann das soziale Umfeld von Menschen mit Diabetes das Stress-Empfinden der Betroffenen unabsichtlich verstärken. Um Vorwürfe oder Belehrungen zu vermeiden, verheimlichen viele Menschen mit Typ-2-Diabetes ihre Erkrankung im Freundes- oder Kollegenkreis. “Das ist sehr schwierig und kann zum Stress beitragen”, erläutert Grimshaw. In der Familie und im unmittelbaren Umfeld eines Menschen mit Diabetes gilt es, ein gesundes Maß an Unterstützung zu finden. Übertriebene Fürsorge kann ähnlich belastend sein wie das komplette Ignorieren der Erkrankung.

Praxen fällt bedeutende Aufgabe zu

Damit psychische Probleme infolge einer Diabetes-Erkrankung erkannt und behandelt werden können, kommt es auch auf die Hausärzte und Schwerpunktpraxen an. Menschen mit Diabetes sollten einmal pro Jahr einen standardisierten Fragebogen von ihrer Arztpraxis erhalten, um auf eine mögliche Depression gescreent zu werden. Da einige Symptome auch durch hohe Blutzuckerwerte ausgelöst werden können, ist es manchmal nicht einfach, eine psychische Ursache zu erkennen. Bei einer Überzuckerung (Hyperglykämie) fühlen sich Betroffene häufig ebenfalls müde, unmotiviert und ausgebrannt, erläutert Grimshaw. Was die Hauptursache der Beschwerden ist, lässt sich mitunter erst im Gespräch klären.

Wichtig sei es in jedem Fall, dass sich in der Praxis Zeit für die Patienten genommen wird. Nicht selten kommen Betroffene mit mehr Fragen vom Arzttermin zurück, als sie mit dorthin genommen haben, sagt der Fachpsychologe. Wenn sich die Diabetologin oder der Diabetologe hingegen Zeit genommen und auch zugehört habe, erhöhe das in der Regel die Motivation des Patienten zum Mitmachen. Grimshaw empfiehlt überdies, mit den Betroffenen Therapie-Optionen zu besprechen und sie über die Art der Behandlung mitentscheiden zu lassen. Wenn trotz ausführlicher Beratung und Behandlung keine Besserung eintritt, sollte das Überweisen in eine Klinik erwogen werden, so sein Appell.


von Thorsten Ferdinand

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2023; 72 (2) Seite 10-11

 

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