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Diabetes mellitus Typ 1 begleitet mich nun schon seit fast 20 Jahren. Manchmal frage ich mich, wie mein Leben wohl verlaufen wäre, wenn ich es nicht hätte. Ich weiß es nicht, denn ich kann es mir nicht vorstellen. Wahrscheinlich wäre es so ohne spritzen, essen, rechnen und all das, was Diabetiker sonst so jeden Tag machen, deutlich einfacher geworden. Auch heute würde ich den Diabetes natürlich gerne abgeben. Doch so sehr er mich auch manchmal nervt, er ist mit der Zeit zu einem Teil von mir geworden, den ich in meinem Leben akzeptiere. Ich nehme mich an, wie ich bin, und wenn dazu kaputte Beta-Zellen gehören, dann ist das so.
Ob Leistungssportler, Menschen, die es aus der Armut geschafft haben oder Menschen, die eine Weltreise mit nur wenig Geld im Gepäck machten – es scheint, als würden herausfordernde, ja sogar extreme Situationen, den Menschen stärker werden lassen, ihn lernen und wachsen lassen. Aber eben nur, wenn der Mensch seine Situation als Herausforderung angenommen hat und sie nicht als Berg ansieht, den er niemals besteigen kann.
Natürlich gerate ich als Mensch mit Typ-1-Diabetes auch ab und an mal an meine Grenzen. Doch im Großen und Ganzen habe ich dann das Gefühl, mein Diabetes will mich ärgern, will mich kitzeln, will mich herausfordern. Manchmal auf ziemlich üble Weise, manchmal nur ganz sachte. Also dachte und denke ich mir dann dabei: „Na warte, dir zeig ich’s!“. Das war und ist meine Motivation. Ich versuche zudem den Spieß ein bisschen umzudrehen und versuche an meine Grenzen zu gehen. Dabei sage ich mir gewissermaßen zu meinem Diabetes: „Mal sehen, was du dazu sagst, und wie weit wir zusammen gehen können.“ Zusammen gehen – das ist meine Devise, denn wenn ich den Diabetes ignorieren würde, meine Therapie nicht bestmöglich ausführen würde, dann käme ich nicht weit und mein Diabetes würde mich gewissermaßen nur auslachen.
Wer seine Herausforderung annimmt, der wächst mit ihr – das habe ich zumindest in meinem Leben festgestellt. Und so lehrte mich der Diabetes so einige Lebensweisheiten. Diabetes ist nach wie vor eine Erkrankung für mich, die ich gerne los werden möchte und wirklich niemandem wünsche. Dennoch kann ich rückblickend sagen, dass ich dankbar für die Erfahrungen bin, die ich in meinem Leben auch wegen des Diabetes gemacht habe. Ohne ihn würde ich mich selbst und meinen Körper nicht so gut kennen, wie ich das heute tue.
Im Folgenden möchte ich deshalb meine #DiaChance vorstellen: 5 Dinge, die mir der Diabetes geschenkt hat.
1. Das bin ich.
270 mg/dl? – Warum denn das, frage ich mich. Wenn mein Messgerät mir so einen Wert anzeigt, checke ich alle möglichen Ursachen ab: Katheter kaputt? Insulin kaputt? Essen falsch geschätzt? Wenn das alles nicht der Fall ist, dann gehe ich tiefer in die Ursachenforschung. Schließlich beeinflussen Hormone ebenso den Blutzucker und damit auch teilweise die Emotionen. Bin ich also gerade aufgeregt? Fühle ich mich wegen irgendetwas unwohl? Mache ich mir Sorgen? Bin ich angespannt? Mein Diabetes zeigt mir, welche Auswirkungen meine Gefühle auf meinen Körper haben und wann ich mehr in mich hineinhören muss, um beispielsweise Anspannungen zu entspannen. So lernte ich mich besser kennen und stellte fest, wann mir etwas nicht guttut, in welchen Situationen ich mir Sorgen mache und was mich stresst. Zum Beispiel mag mein Körper keinen Zeitdruck, doch manchmal mache ich mir den sogar unbewusst selbst. Das bin eben ich, auch mit meinen Schwächen.
2. So lebe ich gut.
Durch die Erkenntnis, wer ich bin und was mir guttut, versuche ich auch meinen Lebensstil so einzurichten und zu führen, dass er mir und damit auch meinem Blutzucker guttut. Zum Beispiel achte ich auf gesunde Ernährung, bewege mich regelmäßig und versuche Zeitdruck zu vermeiden oder mich zumindest regelmäßig zu entspannen.
3. Aufgeben ist keine Option.
Der nächste Katheterwechsel steht an und ich finde einfach keine passende Stelle – deswegen aufgeben? Niemals. Wie auch? Wer mit Diabetes mellitus Typ 1 lange leben will, kommt daran oder am Insulin spritzen nicht vorbei. Also weitermachen. Mit der Zeit beobachtete ich, dass ich das durch den Diabetes gelernte Durchhaltevermögen auch auf andere Lebensbereiche übertrug. Noch mehr lernen, keine Lust mehr? Egal, weiter machen, denn die Klausur steht an. Noch zwei Runden laufen obwohl ich nach zwei Stunden Training doch schon so viel gelaufen bin? Auch wenn die Muskeln etwas zittern, mir geht es noch gut, also weitermachen. So leicht gebe ich nicht auf.
4. Grenzerfahrungen sorgen für Motivation.
Ob starker Unterzucker oder gar die berühmt berüchtigte Ketoazidose – Diabetes kann einen in Situationen mit so starken Symptomen bringen, die einen an die Grenzen des Seins bringen. Trotz sehr guter Blutzucker-Einstellung bin ich an solche Grenzen geraten und seither weiß ich, was wirklich wichtig ist im Leben: Nämlich die Hauptsache, dass wir überhaupt leben dürfen und können. Genau daraus schöpfe ich meine Lebensfreude und daraus wiederum resultiert meine Motivation. Denn das Leben ist voller Möglichkeiten, von denen ich so einige genau ergründen und entdecken möchte.
5. Ich bin nicht allein.
Das Gefühl, einem fremden Menschen ganz nah zu sein, das erfuhr ich beim Austausch über Diabetes. Ich lernte viele Menschen kennen und teilweise fühlten wir uns sofort verbunden. Denn das Gefühl von Unter- oder Überzucker teilten wir. Für diese intensive Erfahrung und den Austausch bin ich dankbar. An dieser Stelle möchte ich auch der Blood Sugar Lounge und damit dem Kirchheim-Verlag danken. Ihr habt uns eine Plattform geschaffen, über die wir verantwortungsvoll und eindrücklich über unsere Erfahrungen schreiben und diskutieren können. Und das in einer umfassenden und intensiven Art und Weise, die das Gefühl „Ich bin nicht allein und fühle mich plötzlich fremden Menschen so verbunden“ deutlich verstärkt. Dafür sage ich von Herzen Danke.
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