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Immer wieder kommt es vor, dass Menschen mit Diabetes von Ärztin oder Arzt ein “ärztliches Fahrverbot” erhalten und aufgefordert werden, ein entsprechendes Hinweisformular zu unterschreiben. Nun sind Ärztin oder Arzt jedoch keine Fahrerlaubnisbehörde, die Führerscheine erteilen oder entziehen können. Daher stellt sich die Frage, ob sie wirklich das Autofahren verbieten dürfen bzw. ob man sich wirklich an ein solches “ärztliches Fahrverbot” halten muss. Hier erfahren Sie mehr.
Gemäß § 2 Absatz 4 Straßenverkehrsgesetz (StVG) ist nur derjenige zum Führen eines Kraftfahrzeugs geeignet, wer die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt. Das bedeutet: Jeder Fahrer muss sein Auto, sein Motorrad, den Bus oder Lkw jederzeit beherrschen und darf keine Ausfallerscheinungen zeigen. Konkretisiert wird dies durch § 2 Absatz 1 Satz 1 Fahrerlaubnisverordnung (FeV): “Wer sich infolge körperlicher oder geistiger Beeinträchtigungen nicht sicher im Verkehr bewegen kann, darf am Verkehr nur teilnehmen, wenn Vorsorge getroffen ist, dass er andere nicht gefährdet.”
Das Ganze ist auch strafrechtlich sanktioniert (§ 315c Absatz 1 Strafgesetzbuch (StGB)):”Wer im Straßenverkehr ein Fahrzeug führt, obwohl er […] infolge geistiger oder körperlicher Mängel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen […] und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.” Auch wer insoweit lediglich fahrlässig handelt, wird gemäß § 315c Absatz 2 StGB “mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft”.
Dies bedeutet: Wer weiß oder bemerkt, dass er aufgrund gesundheitlicher Störungen nicht (mehr) sicher Auto fahren kann, darf am Straßenverkehr nicht (weiter) teilnehmen. Man muss dann schnellstmöglichst anhalten bzw. darf gar nicht erst losfahren. Dies gilt grundsätzlich und hat mit dem Diabetes erst einmal nichts zu tun.
Wenn der Arzt erkennt, dass aufgrund des Gesundheits-Zustands bzw. der Nebenwirkungen von Medikamenten eine sichere Teilnahme am Straßenverkehr nicht mehr vertretbar ist, muss er ein “ärztliches Fahrverbot” aussprechen. Er muss den Patienten deutlich darüber aufklären, dass dieser aus gesundheitlichen Gründen bis auf Weiteres nicht am Straßenverkehr teilnehmen darf, und vom Führen eines Autos dringend abraten. Dies gilt vor allem bei einem Umstellen der Therapie, in schwierigen Einstellungs-Situationen oder bei gestörter Wahrnehmung von Unterzuckerungen.
Zu einem ärztlichen Fahrverbot kommt es häufig auch im Rahmen von Notfall-Einweisungen: Wer aufgrund einer Unterzuckerung notfallmäßig stationär aufgenommen wird, wird bei der Entlassung in der Regel so lange ein ärztliches Fahrverbot erhalten, bis die Ursache der Unterzuckerung geklärt und hinreichend sichergestellt ist, dass sich ein solcher Vorfall nicht wiederholt. Dabei spielt es keine Rolle, wann und wo die Notfallsituation aufgetreten ist.
Selbstverständlich ist der Arzt aber keine Behörde und kann den Führerschein daher auch nicht wegnehmen. Aber durch die Aufklärung und das ärztliche Fahrverbot weiß der Patient, dass er nicht mehr fahrtauglich ist – und dann darf er auch nicht mehr fahren.
Einer solchen dringenden Empfehlung des Arztes muss unbedingt Folge geleistet werden. Denn wer entgegen dem ärztlichen Rat weiter Auto fährt, riskiert eine Strafbarkeit wegen Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315c StGB – auch dann, wenn nichts passiert.
Der Bundesgerichtshof hat zu entfernt ähnlicher Problematik – im Fall eines Patienten mit Epilepsie – festgestellt, dass dort allein schon die krankheitsbedingte Fahruntauglichkeit eine solche im Sinne des § 315c StGB “konkrete” Gefahr darstelle (Bundesgerichtshof (BGH), 17.11.1994 – 4 StR 441/94). Natürlich ist Epilepsie nicht unmittelbar mit Diabetes vergleichbar. Andererseits muss man berücksichtigen: Ein ärztliches Fahrverbot kommt bei Diabetes grundsätzlich nur in Betracht, wenn krankheitsbedingt eine sehr hohe Gefahrenlage besteht. Wenn ein solches Fahrverbot vom Arzt ausgesprochen werden muss, dürfte die Gefahr einer plötzlichen schweren Unterzuckerung durchaus mit der eines epileptischen Anfalls vergleichbar sein – und von der Rechtsprechung daher wohl auch entsprechend bewertet werden.
Wer also die konkreten Warnungen des Arztes in den Wind schlägt und sich in vollem Bewusstsein ans Steuer setzt, dass es womöglich zu einer unbeherrschbaren, schweren Unterzuckerung kommen kann, für den dürfte wohl das Gleiche gelten wie im Fall des Patienten mit Epilepsie. Auch bei ihm besteht dann nämlich die nicht unerhebliche Gefahr, dass er “jederzeit unvorhersehbar in einen bewußtseinsveränderten Zustand geraten kann, in dem er die Situationsübersicht verliert”.
Wenn dann auch noch etwas passiert, dann drohen nicht nur (Rück-)Forderungen der Versicherungen, sondern auch empfindliche Geldstrafen. Kommt es zu schweren Folgen, d. h. werden Menschen verletzt oder gar getötet, steht schnell eine Freiheitsstrafe im Raum. Und den Führerschein wird man möglicherweise auf längere Zeit nicht mehr erhalten.
Fahren darf man erst wieder, wenn wieder eine hinreichende Fahreignung vorliegt. Dies können Laien aber nicht beurteilen. Wenn der Arzt das Fahrverbot nicht aufheben will, braucht man eine mindestens gleich qualifizierte und begründete ärztliche Gegenmeinung, um wieder Auto fahren zu dürfen. Hierzu empfiehlt sich eine freiwillige Begutachtung durch einen Diabetologen mit verkehrsmedizinischer Zusatzqualifikation. Die Chancen stehen gut, dass die Fahreignung dort zumindest mit Einschränkungen oder Auflagen bejaht werden kann.
Manchmal wird eingewendet, dass die Strafbarkeit nur theoretisch sei, da das Fahrverbot in der Regel nur dem Patienten selbst bekannt gemacht wurde und der Arzt der Schweigepflicht unterliegt. Dies ist zwar zutreffend, aber zu kurz gedacht: In der Tat muss der Arzt die Schweigepflicht beachten und darf niemanden über das Fahrverbot informieren. Problematisch wird es aber, wenn es zu einem Unfall kommt. In einem etwaigen Strafverfahren muss der Patient dann entscheiden, ob er in die Einsichtnahme der Behandlungs-Unterlagen bzw. die Vernehmung seines Arztes einwilligt. Natürlich würde ein Strafverteidiger in solchem Fall dringend abraten, den Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden – denn dieser müsste dann auch zum Fahrverbot aussagen. Da die Aussagen des behandelnden Arztes in der Regel entlastend sind, wäre es aber auffällig, wenn dieser nicht vernommen werden darf. Man muss daher realistisch sein: Staatsanwaltschaft und Gericht werden dann wohl davon ausgehen, dass der Patient hier etwas verbergen will. Es ist unwahrscheinlich, dass ein solches Verfahren glimpflich ausgeht.
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2023; 72 (10) Seite 52-53
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