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Nervige Unter- und Überzuckerungssituationen während Klausuren, Acht-Uhr-Seminare mit Anwesenheitspflicht nach einer Nacht mit drei Kühlschrankbesuchen oder tagelanges Suchen nach Konzentration, die dank hoher Werte nicht auffindbar ist – ich könnte diese Liste noch lange weiterführen und bin mir sicher, dass viele von euch solche Situationen kennen.
Aufgrund solcher Beeinträchtigungen, die für Menschen mit Diabetes Alltag bedeuten können, gibt es an Unis die Möglichkeit eines Nachteilsausgleiches. Lea berichtete bereits vor zwei Jahren über die Formalien. Als ich im Sommer 2016 in mein Studium startete, war ich es aus der Schule gewöhnt, bei Klausuren zusätzliche Pausenzeiten zum Blutzuckermessen und zum Essen zu bekommen. Die Informationen, die ich auf der Homepage meiner Uni zu dem Thema fand, stärkten mich in der Annahme, dass es auch an Universitäten solche Möglichkeiten gibt.
Auf der Homepage der Uni heißt es: „in Anspruch nehmen können den Nachteilsausgleich alle Studierenden mit Behinderung bzw. chronischer Erkrankung“. Die Worte des Mannes, der mich daraufhin beraten sollte, ließen mich das Projekt Nachteilsausgleich jedoch erstmal auf Eis legen: „Diabetes? Bald kommt hier jeder zweite mit einer Lebensmittelunverträglichkeit an.“
Zu Beginn des Jahres entschied ich mich, in Absprache mit meiner Therapeutin, einen neuen Versuch zu wagen. Mittlerweile hatte ich mehr als eine Handvoll Prüfungssituationen erlebt, in denen mir mein Blutzucker in verschiedenen Ausmaßen einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte.
Da ich im Zwei-Fach-Bachelor studiere, geht der Antrag bei meiner Uni an zwei Fakultäten, die jeweils individuell entscheiden. Die Formulierung des Antrags fiel mir schwerer, als ich dachte, und zog sich wochenlang hin. Normalerweise laufe ich durch die Welt und versuche dauerhaft zu vermitteln: „Hey, Leute, ich komme klar. Ich bin stark. Das ist alles kein Problem für mich.“ Wie formuliert man dann das Gegenteil? Dass Diabetes im Alltag doch eine Rolle spielt? Ich befinde mich seit Jahren auf einer Reise, zu akzeptieren, dass ich nicht immer 180 Prozent geben muss, dass es okay ist, Schwächen zu zeigen, vor allem mir selbst. Ein großer Fortschritt auf dieser Reise schien dieser Antrag – quasi wie den Jakobsweg lange in Flipflops bestritten zu haben und dann auf einmal geeigneteres Schuhwerk zu bekommen, den Rahmenbedingungen angemessen, um damit schneller voranzukommen.
Mit dem endlich fertigen Antrag im Gepäck, einer Stellungnahme meines Diabetologen und guter Musik auf den Ohren machte ich mich auf den Weg zum Prüfungsamt der Fakultät No. 1. „Natürlich haben Sie ein Anrecht auf Nachteilsausgleich! Tut mir schrecklich leid, dass Sie erst jetzt zu uns kommen und schlechte Erfahrungen machen mussten. Ich mache den Ausgleich fertig. Morgen ist er abholbereit. Wenn es noch Probleme gibt, kommen Sie immer wieder gerne zu mir.“
Die zuständige Frau, die hinter einer großen Süßigkeitenschüssel saß, ließ mich das Büro mit einem beflügelnden Gefühl verlassen. Am nächsten Tag konnte ich das Schreiben, welches mir ein Drittel mehr Bearbeitungszeit sowohl für Klausuren als auch für Hausarbeiten versicherte, abholen. Sogar einen Extra-Raum sollte ich für Prüfungssituationen bekommen. „Dann können Sie in Ruhe Ihren Blutzucker messen und gegebenenfalls essen, ohne dass es für Sie oder andere Prüflinge zu einer unangenehmen Situation kommen könnte.“
Rechtlich arbeiten beide Ämter nach den gleichen Richtlinien, es konnte also bei Fakultät No. 2 nicht mehr allzu viel schieflaufen. Jedoch war bereits die Begrüßung nur halb so herzlich. Eine Süßigkeitenschale konnte ich auch nicht finden. Der Mann in dem verdunkelten Büro entgegnete mein Anliegen stirnrunzelnd mit den Worten: „Diabetes? Das hat meine Mutter auch, sie scheint nicht so davon beeinflusst.“ Mein wütender Blick ließ ihn die Kurve kriegen.
Zwei Wochen später durfte ich die Antwort aus dem Briefkasten holen. Einzig mein Antrag auf Befreiung von der Anwesenheitspflicht wurde bewilligt, allerdings können dafür Ersatzleistungen anfallen. Der Antrag auf Verlängerung von Bearbeitungsfristen könne jedoch nicht bewilligt werden, „da nicht vorauszusehen ist, ob es […] in jeder zukünftigen Prüfungssituation zu einer krankheitsbedingten Beeinträchtigung kommt.“
Es ist nicht vorauszusehen? Soll ich meine Unterzuckerungen von nun an planen? Das Urteil des Prüfungsamts lässt mich wütend und frustriert zurück. Wieso kann es auf den gleichen Antrag zwei so unterschiedliche Reaktionen geben? Allein die Tatsache, dass eine außenstehende Person das Recht hat, darüber zu urteilen, wie sehr mich meine Krankheit beeinflusst, scheint mir falsch. Jetzt gilt es, weiterzumachen, noch beim Lesen des Schreibens habe ich die Gleichstellungsbeauftragte kontaktiert.
Wie ist es bei euch? Habt ihr euch die Arbeit für einen Antrag auf Nachteilsausgleich gemacht? Ähnliche Erfahrungen gesammelt? Es bleibt spannend! Hier gibt es den zweiten Teil meiner Geschichte: Nachteilsausgleich – und jetzt?
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