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Der Vertriebsstopp von Insulin degludec (Tresiba) Ende September (wir berichteten mehrfach) hat hohe Wellen geschlagen – bei Patienten, die das neue Basalinsulin spritzen und denen jetzt eine Umstellung auf ein anderes Insulin droht; aber auch bei den behandelnden Ärzten.
Die Nachricht sei für ihn “ein ziemlicher Schock” gewesen, kommentiert der Diabetologe Dr. Martin Lederle aus Ahaus, Nordrhein-Westfalen, die Situation. Denn der Hersteller Novo Nordisk habe “in den Monaten zuvor immer wieder versichert, Insulin degludec in Deutschland dauerhaft zur Verfügung stellen zu wollen. Auf diese Aussage habe nicht nur ich mich verlassen”, erklärt er.
Die “Gelackmeierten” dieser “drastischen Entscheidung” seien die Patienten, die in den letzten Monaten von Insulin degludec profitierten. “Und auch wir Behandler, die uns auf die Aussagen des Unternehmens verlassen haben”, so Lederle.
“Was sollen diese Patienten jetzt machen? Umstellung auf eine Insulinpumpentherapie? Rückumstellung auf ein Verzögerungsinsulin, mit dem sie in der Vergangenheit schlechter zurechtgekommen sind? Wechsel auf das jetzt in Deutschland verfügbare Insulin glargin U 300 (Toujeo) mit all seinen Unwägbarkeiten?” Dies sei derzeit eine erhebliche Belastung für die tägliche Arbeit in seiner Diabetespraxis: Die betroffenen Patienten fühlten sich “verschaukelt”. Und er als Arzt könne ihnen “nicht richtig weiterhelfen”, so der Diabetologe.
Er berichtet von 2 Beispielen aus seiner Praxis: Frau Ü., 46, hat seit ihrem 19. Lebensjahr Typ-1-Diabetes und nutzt einen Pen. Bis Juli 2014 spritzte sie Insulin detemir morgens und abends. In diesen Jahren traten immer wieder schwere Unterzuckerungen auf. Eine Insulinpumpentherapie lehnt sie ab. Seit Frau Ü. Insulin degludec verwendet, seien keine schweren Hypoglykämien mehr aufgetreten, berichtet Lederle. “Ihr eindeutiges Statement im August 2015: Tresiba ist für sie das beste Verzögerungsinsulin, das sie bisher im Gebrauch hatte. Der Blutglukoseverlauf ist viel stabiler im Vergleich zu den anderen Verzögerungsinsulinen und das Hypoglykämierisiko ist viel geringer.”
Die Typ-1-Diabetikerin: “Als meine heute 16-jährige Tochter jetzt gehört hat, dass Tresiba Ende September in Deutschland nicht mehr erhältlich sein soll, sagte sie spontan zu mir: ‚Mama, geht es dann wieder los mit den schweren Unterzuckerungen?‘” Frau Ü. und ihre Familienangehörigen denken “mit großer Sorge” daran, was möglicherweise wieder auf sie zukommen werde.
Eine weitere Typ-1-Diabetikerin, die seit 26 Jahren Diabetes hat und immer wieder unter schweren Unterzuckerungen mit Bewusstlosigkeit litt, wandte sich hilfesuchend mit einem Brief an Dr. Martin Lederle, in dem sie schrieb: “Für mich wäre es eine Katastrophe, wenn ich wieder auf ein anderes Basalinsulin zurückgreifen müsste. Tresiba war für mich und meine Familie das Beste.”
Noch hat der Diabetologe die 164 Patienten seiner Schwerpunktpraxis, die Insulin degludec spritzen – 89 Prozent von ihnen haben Typ-1-Diabetes – nicht auf andere Insuline umgestellt. Er wartet die aktuelle Entwicklung ab: “Ich bin der Ansicht, dass die Verantwortlichen des Unternehmens Novo Nordisk eine moralische Verpflichtung gegenüber den Patienten haben, die bisher von Tresiba profitieren: Sie müssen einen Weg eröffnen, dass diese Patienten auch nach dem 30. September 2015 in Deutschland mit diesem Insulin versorgt werden können. Sie dürfen diese Patienten nicht hängen lassen.”
Sein Vorschlag: Der Hersteller stellt über den 30. September 2015 den Patienten, die in den letzten Monaten von Tresiba profitiert haben und die in einer ambulanten Diabeteseinrichtung in kontinuierlicher Mitbetreuung sind, dieses Insulin im Rahmen einer “Versorgungsstudie” weiter zur Verfügung. Für diese Studie werden von den beteiligten Diabeteseinrichtungen geeignete, patientenrelevante Daten erhoben. “Das wäre Versorgungsforschung im besten Sinne des Wortes”, so Lederle. “Ich denke, ungewöhnliche Ereignisse erfordern ungewöhnliche Lösungswege.”
Der Deutsche Diabetiker Bund fordert in einer aktuellen Presse-Info (Ausgabe 9/2015) die verhandelnden Vertragsseiten dazu auf, auch nach der Preisfestsetzung jetzt alle Anstrengungen für entsprechende Verträge zu unternehmen, um einen Vertrieb in Deutschland zu sichern. Szenekenner behaupten, dass sich der Hersteller derzeit in Verhandlungen mit den Kassen befinde. Der DDB weist zudem auf die Möglichkeit hin, Insulin degludec über internationale Apotheken zu importieren.
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von Angela Monecke
Redaktion Diabetes-Journal
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Erschienen in: Diabetes-Journal, 2015; 64 (10) Seite 50-51
5 Minuten
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