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Der Diabetes bringt auch in rechtlicher Hinsicht viele Fragen mit sich. Ein wichtiges Thema ist vor allem der Schwerbehindertenausweis: Dieser bringt u. a. Steuervergünstigungen, einen verbesserten Kündigungsschutz und vor allem die Möglichkeit, früher in Rente zu gehen. Eine Zusammenfassung der Rechtslage von Anwalt Oliver Ebert.
Inzwischen ist es nicht mehr so einfach, aufgrund des Diabetes als schwerbehindert anerkannt zu werden. Warum ist das so? Und was müssen Sie beim Antrag beachten?
Gemäß § 2 SGB IX liegt eine Behinderung vor, wenn jemand aufgrund seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen (körperlich, seelisch, geistig) dauerhaft gehindert ist, gleichberechtigt am Alltagsleben teilzuhaben. Eine solche Beeinträchtigung liegt nach dem Gesetz vor, „wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht“.
Dies bedeutet, dass nicht jede Beeinträchtigung zu einer Behinderung im gesetzlichen Sinne führt, auch wenn man Einschränkungen oder Aufwand hat. Ein Beispiel sind Brillenträger: Sie haben eine verminderte Sehleistung und können ohne Brille oftmals nicht mehr (richtig) am sozialen Leben teilhaben. Mithilfe der Brille kann die Sehbeeinträchtigung aber wieder ausgeglichen, d. h. kompensiert werden, sodass trotz der Sehbehinderung ein normales Leben möglich ist.
Zudem ist eine verminderte Sehleistung auch nichts Untypisches, sehr viele Menschen aller Altersgruppen sind davon betroffen. Aus diesen Gründen gilt man mit Brille nicht als behindert, obwohl das Tragen einer Brille durchaus zu einigen Einschränkungen führen kann – beispielsweise bei der Berufswahl, im Sport oder im Einzelfall womöglich auch bei der Partnersuche.
Um amtlich als behindert anerkannt zu werden, können Sie einen Antrag auf „Feststellung einer Behinderung“ beim zuständigen Versorgungsamt stellen. Im Antrag sollten alle relevanten Krankheiten und Gesundheitsstörungen ausführlich beschrieben werden.
Eine Broschüre in leicht verständlicher Sprache gibt es von der Deutschen Diabetes-Hilfe – zum Download unter www.ddh-m.de oder als gedrucktes Heft in der Geschäftsstelle.
Die Behörde prüft dann die angegebenen Beeinträchtigungen, stuft jede auf einer Skala von 0 bis 100 ein und bestimmt so den Grad der Behinderung („GdB“). Sollte es mehrere relevante Gesundheitsbeeinträchtigungen geben, werden die jeweiligen GdB allerdings nicht addiert, sondern es wird eine Gesamtbewertung vorgenommen.
Ein Beispiel: Jemand leidet an Schwerhörigkeit, Bluthochdruck und zudem Bandscheibenproblemen. Die Behörde setzt hierfür vielleicht jeweils einen Einzel-GdB von 10, 20 und 30 fest. Im Rahmen der Gesamtbewertung würde dann trotzdem wohl nur ein Gesamt-GdB von 30 festgestellt werden.
Allerdings bringt die Feststellung eines GdB nicht automatisch den Schwerbehindertenstatus: Eine Schwerbehinderung liegt erst dann vor, wenn ein GdB von mindestens 50 festgestellt ist. Liegt der GdB bei mindestens 50, erhält man einen entsprechenden Ausweis, mit dem man die mit dem Schwerbehindertenstatus einhergehenden Nachteilsausgleiche beanspruchen kann. Aussagen von Menschen wie „Ich bin 40 Prozent schwerbehindert“, die etwa bei Diabetikertagen zu hören oder auch im Internet öfter zu finden sind, können daher nicht stimmen.
Die Höhe des GdB wird von den Behörden auf Grundlage der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) ermittelt, die für zahlreiche Krankheitsbilder entsprechende Vorgaben gibt. Welche Regeln für Diabetes gelten, können Sie im folgenden Kasten nachlesen. Statt des Begriffs „GdB“ wird hier vom „GdS“, dem Grad der Schädigungsfolgen gesprochen.
Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie eine Hypoglykämie auslösen kann und die durch Einschnitte in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden durch den Therapieaufwand eine signifikante Teilhabebeeinträchtigung. Der GdS beträgt 20.
Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie eine Hypoglykämie auslösen kann, die mindestens einmal täglich eine dokumentierte Überprüfung des Blutzuckers selbst durchführen müssen und durch weitere Einschnitte in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden je nach Ausmaß des Therapieaufwands und der Güte der Stoffwechseleinstellung eine stärkere Teilhabebeeinträchtigung. Der GdS beträgt 30 bis 40.
Die an Diabetes erkrankten Menschen, die eine Insulintherapie mit täglich mindestens vier Insulininjektionen durchführen, wobei die Insulindosis in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung selbständig variiert werden muss, und durch erhebliche Einschnitte gravierend in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden auf Grund dieses Therapieaufwands eine ausgeprägte Teilhabebeeinträchtigung. Die Blutzuckerselbstmessungen und Insulindosen (beziehungsweise Insulingaben über die Insulinpumpe) müssen dokumentiert sein. Der GdS beträgt 50.
Außergewöhnlich schwer regulierbare Stoffwechsellagen können jeweils höhere GdS-Werte bedingen.
Menschen mit Diabetes, die eine „Insulintherapie mit täglich mindestens vier Insulininjektionen durchführen, wobei die Insulindosis in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung selbständig variiert werden muss, und durch erhebliche Einschnitte gravierend in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden auf Grund dieses Therapieaufwands eine ausgeprägte Teilhabebeeinträchtigung.“ Das bedeutet, dass eine Schwerbehinderung vorliegt.
Damit der Diabetes zu einer Anerkennung als „schwerbehindert“ führt, müssen hiernach also folgende Voraussetzungen vorliegen:
Eine Diabetes-Erkrankung mit Insulintherapie allein reicht zwischenzeitlich nur noch selten aus, um diese Voraussetzungen zu erfüllen. Selbst ein hoher Therapieaufwand – also sehr häufiges Messen und Spritzen – stellt nach aktueller Rechtslage noch keine gravierende Beeinträchtigung der Lebensführung dar. Vielmehr muss die Krankheit noch andere Umstände mit sich bringen, durch die man erheblich in der Lebensführung und der Teilhabe am Alltagsleben beeinträchtigt wird.
Eine Schwerbehinderung allein aufgrund des Diabetes wird daher meist nur noch anerkannt, wenn es – zusätzlich zum Therapieaufwand – zu ganz massiven Beeinträchtigungen im Alltagsleben kommt. Dank neuer Technologien und Insuline kann man aber glücklicherweise auch mit Diabetes so gut wie alles im Alltag machen: Gut eingestellte Patienten haben daher nur noch wenige Chancen, allein aufgrund des Diabetes einen höheren GdB als 40 zu erhalten.
Mehrere Gerichte haben klargestellt, dass der bloße Therapieaufwand für Messen und Spritzen nicht ausreicht, um als schwerbehindert anerkannt zu werden. Man muss zusätzlich nachweisen, dass man zudem noch „durch erhebliche Einschnitte gravierend in seiner Lebensführung“ beeinträchtigt wird. Dafür reicht es nach Auffassung der Rechtsprechung nicht aus, wenn es aufgrund der Krankheit bei Planung des Tagesablaufs, Gestaltung der Freizeit, Zubereitung der Mahlzeiten und der Mobilität zu Einschränkungen oder Belastungen kommt.
Selbst wenn diese Aktivitäten „mit einem erhöhten planerischen Aufwand verbunden“ bzw. nur „unter erschwerten Bedingungen (weitere Blutzuckermessungen; beim Schwimmen erneutes Anlegen der Pumpe), letztlich aber nicht ausgeschlossen“ seien (LSG Sachsen-Anhalt, AZ L 7 SB 23/13, Urteil vom 27.08.2014), lässt dies meist noch keinen Rückschluss auf gravierende Teilhabeeinschränkungen zu.
Generell achten die Gerichte auch darauf, dass der Vergleichsmaßstab zu anderen Krankheitsbildern eingehalten wird. Ein GdB von 40, der bei insulinpflichtigem Diabetes so fast immer erreicht wird, ist nämlich schon recht hoch – der Verlust eines Auges führt im Vergleich dagegen ebenfalls nur zu einem GdB von 40.
Eine Schwerbehinderung aufgrund des Diabetes läge beispielsweise nur vor, wenn „die zu berücksichtigende Gesamtauswirkung der verschiedenen Funktionsstörungen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft so schwer wie etwa die vollständige Versteifung großer Abschnitte der Wirbelsäule, der Verlust eines Beins im Unterschenkel oder eine Aphasie (Sprachstörung) mit deutlicher Kommunikationsstörung beeinträchtigen“ (LSG Sachsen-Anhalt, AZ L 7 SB 23/13, Urteil vom 27.08.2014).
Keine zusätzlich benachteiligenden Umstände lägen bei den erforderlichen Blutzuckermessungen und beim Spritzen (separater Raum bzw. Toilette) vor, denn diese seien „der Krankheit immanent und können nicht als gesondert zu berücksichtigende Teilhabeeinschränkungen bewertet werden“.
Hat man neben der Diabetes-Erkrankung allerdings noch andere erhebliche Gesundheitsbeeinträchtigungen, stehen die Chancen auf den Schwerbehindertenausweis besser. Relevant sein können hier insbesondere Störungen des Bewegungsapparats, Bandscheibenvorfälle, Allergien oder Folgeerkrankungen (z. B. Neuropathie, Retinopathie, Nephropathie). Diese Erkrankungen werden jeweils gesondert bewertet und mit einem GdB eingestuft. Bei der Gesamtbewertung kann es im Ergebnis dann doch zur Feststellung einer Schwerbehinderung kommen.
Im Antrag auf Feststellung einer Behinderung sollte man ausführlich auf alle genannten Voraussetzungen eingehen – wer sich dort nur auf den hohen Aufwand seiner Insulin- bzw. Insulinpumpentherapie stützt, wird wahrscheinlich keinen Erfolg haben. Sie sollten daher nachvollziehbar beschreiben und begründen, inwiefern Sie aufgrund des Diabetes erhebliche Einschränkungen erleiden, die sich „gravierend“ auf Ihre Lebensführung auswirken. Schildern Sie hierzu möglichst umfassend, wie Ihr reguläres Alltagsleben durch den Diabetes beeinträchtigt wird. Denken Sie auch daran, alle zusätzlich noch relevanten Beeinträchtigungen zu schildern.
Bei stark schwankenden Blutzuckerwerten oder häufigen Unterzuckerungen könnte aus medizinischer Sicht möglicherweise eine „instabile Stoffwechsellage“ vorliegen. Wenn diese mit einem ärztlichen Attest nachvollziehbar und plausibel begründet werden kann, könnte dies zu einer Höherstufung führen.
Wichtig: Vergessen Sie nicht, neben dem Diabetes auch sämtliche anderen Krankheiten bzw. Gesundheitsbeeinträchtigungen aufzuführen, die sich auf Ihren Alltag auswirken.
In der nächsten Ausgabe des Diabetes-Journals erfahren Sie, welche rechtlichen Vorteile mit der Feststellung einer Behinderung/dem Schwerbehindertenstatus verbunden sind.
Autor:
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Erschienen in: Diabetes-Journal, 2021; 70 (4) Seite XX
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