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Nach den seit 2010 geltenden Vorschriften gilt: Menschen mit Diabetes, die eine
In diesen Fällen kann dann ein Schwerbehindertenausweis ausgestellt werden.
Es wurde nun teilweise vehement behauptet, dass somit der mit einer Insulintherapie einhergehende Therapieaufwand ausreichend sei, um eine Schwerbehinderteneigenschaft zu begründen. Auch wurde immer wieder suggeriert, dass die tatsächliche Stoffwechseleinstellung keine Rolle mehr spiele. Und es dürfe ja schließlich nicht sein, dass die Betroffenen quasi dafür belohnt würden, wenn sie mit ihrem Diabetes nachlässig umgehen und die ärztlichen Anweisungen nicht befolgen.
Umgekehrt haben auch Versorgungsämter die Vorschrift oft dahingehend eng interpretiert, dass tatsächlich jeden Tag mindestens vier unterschiedliche Injektionen erforderlich seien und dabei immer die Dosis angepasst werden müsse. Lagen diese Voraussetzungen nicht vor bzw. entdeckten die Ämter in den Aufzeichnungen entsprechende Lücken, dann wurden Anträge nicht selten abgelehnt.
Das Bundessozialgericht hat nun klargestellt, dass es nicht allein auf den Therapieaufwand ankommen kann, vielmehr muss "die betreffende Person durch Auswirkungen des Diabetes mellitus auch insgesamt gesehen erheblich in der Lebensführung beeinträchtigt sein". Dies komme durch "die Verwendung des Wortes ‚und‘ deutlich zum Ausdruck". Es sei auch "nicht ersichtlich, dass der Verordnungsgeber davon ausgegangen ist, dass bei einem entsprechenden Therapieaufwand immer eine gravierende Beeinträchtigung der Lebensführung vorliegt."
Solche "erheblichen Einschnitte" könnten auf Besonderheiten der Therapie beruhen, etwa "wenn ein Erkrankter aufgrund persönlicher Defizite für eine Injektion erheblich mehr Zeit benötigt als ein anderer, im Umgang mit den Injektionsutensilien versierter Mensch". Auch ein unzulänglicher Therapieerfolg, also eine schlechte Stoffwechseleinstellung, könne sich als solcher Einschnitt in der Lebensführung auswirken.
Allein das Messen und Spritzen reicht also nicht – vielmehr muss man insgesamt gesehen auch krankheitsbedingt erheblich in der Lebensführung beeinträchtigt sein. Für Juristen, die die Rechtsprechung des Gerichts kennen, ist das allerdings nicht überraschend; ich hatte das so bereits unmittelbar nach Inkrafttreten der einschlägigen Vorschriften prognostiziert
Allerdings lässt das Gericht weiterhin einigermaßen unklar, wie zwischen einem "Einschnitt", einem "wesentlichen Einschnitt" und einem "erheblichen Einschnitt", der sich "gravierend auf die Lebensführung auswirkt", zu unterscheiden ist – diese schwammigen Rechtsbegriffe liegen der Feststellung des Behinderungsgrads aber zugrunde.
Das im Urteil genannte Beispiel, dass jemand "für eine Injektion erheblich mehr Zeit benötigt als ein anderer", scheint allerdings eher theoretisch und dürfte in der Praxis kaum relevant sein. Ich empfehle daher, beim Antrag möglichst umfassend und ausführlich zu schildern, wie bzw. inwieweit man durch den Diabetes in seiner Lebensführung beeinträchtigt wird.
Ansonsten sagt das Gericht aber immerhin ganz ausdrücklich, dass "die Zahl von vier Insulininjektionen am Tag nicht als absoluter Grenzwert" anzusehen ist. Es sei also nicht – wie manche Ämter es verlangen – erforderlich, dass "ausnahmslos an allen Tagen eine Anzahl von vier Insulininjektionen durchgeführt werden muss". Schließlich bedeute auch "selbständige" Variation der Insulindosis nicht, dass man dafür die Dosis "ständig" anpassen müsse.
Entscheidend sei die Abhängigkeit der jeweiligen Dosierung vom
Und das Gericht erteilt eine weitere Ohrfeige: "Schließlich geht die von der Klägerin in diesem Zusammenhang vertretene Ansicht fehl, sie dürfe wegen ihres konsequenten Therapieverhaltens und ihrer vernünftigen Lebensführung in Bezug auf ihre Erkrankung bei der Festsetzung des GdB nicht ‚schlechter‘ behandelt werden als ein behinderter Mensch, der bei gleicher Krankheitslage wegen einer nicht so konsequent durchgeführten Therapie eine schlechtere Stoffwechsellage aufweise und dem deswegen ein höherer GdB als ihr zuerkannt werde."
Weiter heißt es: "Die Klägerin übersieht, dass die Beurteilung des GdB im Schwerbehindertenrecht ausschließlich final, also orientiert an dem tatsächlich bestehenden Zustand des behinderten Menschen zu erfolgen hat, ohne dass es auf die Verursachung der dauerhaften Gesundheitsstörung ankommt." Das mutet auf den ersten Blick seltsam an, denn scheinbar wird damit derjenige quasi "belohnt", der seinen Diabetes absichtlich nicht im Griff hat.
Aber von der Systematik des Gesetzes ist es klar: Es kommt auf den tatsächlichen Ist-Zustand an. Aus welchem Grund es zur Beeinträchtigung kam, spielt grundsätzlich keine Rolle – auch für Diabetiker gilt insoweit nichts anderes als für jemanden, der zum Beispiel aufgrund eines selbstverschuldeten Unfalles querschnittsgelähmt ist.
Im Ergebnis ändert das Urteil nichts daran: Auch weiterhin ist die Feststellung einer Schwerbehinderung aufgrund des Diabetes in vielen Fällen möglich. Allerdings müssen die mit der Krankheit einhergehenden, erheblichen Beeinträchtigungen nachgewiesen werden.
Auch im Antragsverfahren muss auf diese Voraussetzungen eingegangen werden – wer sich dort nur auf den hohen Aufwand seiner Insulin- bzw. Insulinpumpentherapie stützt, wird wahrscheinlich damit keinen Erfolg haben. Sie sollten daher belegen (können), dass Sie erhebliche Einschränkungen erfahren, die sich "gravierend" auf Ihre Lebensführung auswirken.
Ich empfehle, dass Sie dazu möglichst umfassend schildern, wie und inwieweit Sie durch den Diabetes beeinträchtigt werden bzw. was Sie dadurch nicht (mehr) machen können.
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