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Menschen mit Diabetes müssen häufig zum Facharzt – nicht nur regelmäßige Kontrollen beim Augenarzt oder beim Fußspezialisten gehören zum Diabetes-Alltag. Seit Januar gibt es neue Servicestellen für Facharzttermine. Aber helfen sie Diabetikern?
Seine persönliche Servicestelle vor Ort findet jeder Patient auf der Internetseite www.bmg.bund.de/terminservicestellen, zuständig sei die jeweilige Kassenärztliche Vereinigung (KV), wirbt das Bundesgesundheitsministerium für die neuen Einrichtungen.
Um als Patient so schnell wie möglich einen Termin beim Facharzt ausmachen zu können, müssen einige Voraussetzungen erfüllt sein: Sie sind gesetzlich krankenversichert und haben eine Überweisung zum Facharzt. Ausnahme: Für Termine beim Augenarzt oder beim Frauenarzt benötigen Sie kein solches Formular. Die Pflicht zur Vermittlung eines Termins innerhalb von 4 Wochen gilt nicht bei Routinekontrollen und verschiebbaren Untersuchungen (Bagatellerkrankungen). Und: Der Versicherte hat keinen Anspruch auf einen Termin bei einem bestimmten Arzt.
Die neuen Stellen sollen verhindern, dass gesetzlich Versicherte selbst in akuten Fällen monatelang auf einen Behandlungstermin warten müssen. Auf Wunsch des Kassenpatienten müssen sie innerhalb von 4 Wochen einen Termin bei einem Facharzt vermitteln. Der Patient soll innerhalb einer Woche von der Servicestelle über einen entsprechenden Behandlungstermin benachrichtigt werden. Ist innerhalb der 4-Wochen-Frist kein Termin zu finden, muss die Servicestelle dem Versicherten innerhalb einer weiteren Woche einen Behandlungstermin in einem Krankenhaus anbieten.
Der Weg zu einem Facharzt darf in der Regel nicht mehr Zeit kosten als bis zum nächstgelegenen Arzt plus 30 Minuten. Wird diese Zumutbarkeitsgrenze überschritten, muss auch hier ein Behandlungstermin in einem Krankenhaus angeboten werden.
Wir machen den Test auf der Internetseite des Ministeriums. Ein Klick auf die Landkarte – schon öffnet sich ein Fenster für das gewünschte Bundesland, in unserem Fall Berlin, und eine Festnetznummer mit 030-Vorwahl wird angezeigt. Die Erreichbarkeit ist zweifellos eingeschränkt: Montag bis Freitag von 10 bis 15 Uhr. Eilig darf man es da nicht haben.
Am Telefon und auf die (fiktive) Frage nach einem Termin bei einem Herzspezialisten (Kardiologen) antwortet der KV-Mitarbeiter: “Da würden wir gerne weiterhelfen. Aber gerade in der Anfangszeit müssen wir darauf hinweisen, dass wir handfeste Termine nur aufgrund eines Überweisungs-Codes vermitteln können.”
Überweisungs-Code. Aha. Was soll das bitte sein? “Das ist eine Art Aufkleber, der jetzt bei allen Ärzten ausliegt. Wenn der Arzt eine dringende Überweisung vorsieht, macht er den Aufkleber drauf. Den Code brauchen wir hier, um ins System zu kommen und Termine zu vermitteln.” Auf diesen Code-Kleber solle man den überweisenden Haus- und Facharzt als Patient hinweisen, wenn man einen Termin über die Servicestelle bekommen will.
Denn, so der junge Mann am Hörer: “Der Code hat Buchstaben und Zahlen. Damit laufen Sie als wichtiger Fall, der es verdient hat, einen der reservierten Notfall-Termine für sich beanspruchen zu können.” Notfall? Und dann ist die Stelle nur werktags von 10 bis 15 Uhr erreichbar? Was macht man dann am Wochenende? Und was ist bei akuten Beschwerden, wenn man vorab noch zum behandelnden Hausarzt oder Facharzt wegen einer Überweisung muss? “Mir geht es momentan überhaupt nicht gut”, lege ich nach. “Ich habe Schmerzen in der Herzgegend. Was soll ich jetzt machen?”
“Da sollten Sie sich einen Arzt mit Akut-Sprechstunde suchen, nach Hause kommen lassen oder sich einen Krankentransport bestellen”, empfiehlt der Mitarbeiter. Denn Kardiologie gelte als “sehr schwierige Fachrichtung”. In dieser Woche noch einen Termin zu erhalten, sei ohnehin aussichtslos und funktioniere schon “rein technisch nicht”, das ginge frühestens in einer Woche.
Er bot mir dann noch eine Abteilung in seinem Haus (Kassenärztliche Vereinigung Berlin) mit Durchwahl an: “Wie heißt die nochmal? Ach ja: ärztlicher Bereitschaftsdienst. In dringenden Fällen rund um die Uhr erreichbar. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das für Sie zutrifft …”
Dr. Gerhard Klausmann aus Aschaffenburg hält von den neuen Servicestellen “grob gesagt, gar nichts – zumindest für die Diabetologie”. Der 1. Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft niedergelassener diabetologisch tätiger Ärzte der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) ist Arzt für Innere Medizin, Diabetologie und Diabetologe DDG. “Jeder Notfall, den der Hausarzt bei uns meldet, wird am gleichen oder am nächsten Tag versorgt. Eilige Termine werden in der Regel binnen 5 Tagen abgearbeitet.” Auch komplizierte Fälle.
Voraussetzung für das reibungslose Funktionieren der Servicestellen ist, dass die Ärzte ihre freien Termine überhaupt dorthin melden. “Ich würde einen solchen bürokratischen Aufwand nicht machen”, betont Klausmann. “Sie melden am Morgen eine freie Stelle, die eine Stunde später bereits besetzt ist. Dieses System ist nicht zu Ende gedacht.”
Grundsätzlich geht er aber davon aus, “dass in der Diabetologie das Problem für Facharzttermine relativ leicht beherrschbar sein müsste, sofern die vorhandene Struktur stimmt”. Probleme sieht er allerdings bei der Versorgung auf dem Land, was mit einer “vernünftigen gesundheitspolitischen Strategie” jedoch “beherrschbar” wäre.
“Die Terminservicestellen sind populistischer Unsinn, bei dem wieder einmal sinnlos Geld verbrannt wird”, kritisiert Prof. Dr. Rüdiger Göke, Mitglied der Diabetologen-Genossenschaft Hessen. Auch er betont: Wenn Kollegen bei Patienten um Hilfe bitten würden (z. B. bei neumanifestiertem oder bekanntem Diabetes mit entgleister Stoffwechsellage), erhielten die Patienten noch am gleichen oder am nächsten Tag einen Termin. “Dazu brauchen wir keine Terminservicestellen”, so Göke.
Gleiches gelte umgekehrt, wenn er einen Termin für einen Patienten (z. B. beim Kardiologen) benötige. “In Hessen muss kein Diabetiker monatelang auf einen Termin warten.” Wenn Facharztpraxen über Schwierigkeiten bei der Terminvergabe klagten, liege das zumeist an Politik und Kassen. “Statt Terminservicestellen einzurichten, sollten die Ursachen ‚an der Wurzel gepackt‘ werden. Dazu fehlt den sogenannten Gesundheitsexperten leider der Sachverstand.”
Wir bleiben an dem Thema dran!
von Angela Monecke
Redaktion Diabetes-Journal
Kirchheim-Verlag, Kaiserstraße 41, 55116 Mainz,
Tel.: (0 61 31) 9 60 70 0, Fax: (0 61 31) 9 60 70 90,
E-Mail: redaktion@diabetes-journal.de
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2016; 65 (3) Seite 44-46
5 Minuten
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