Unterzuckert in den Unfall – wie soll man sich verhalten?

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© Thomas Bedenk - AdobeStock
Unterzuckert in den Unfall – wie soll man sich verhalten?

Im Schwerpunkt zum Thema Diabetes und Autofahren in der August-­Ausgabe haben wir umfassend erläutert, unter welchen Voraussetzungen Menschen mit Diabetes am Straßenverkehr teilnehmen dürfen und was zu beachten ist. Was aber ist wichtig zu wissen, falls es doch zu einem Unfall in Unterzuckerung kommt? In diesem Beitrag erfahren Sie mehr.

Oft ist zu lesen oder zu hören, dass ein Patient im Fall einer Unterzuckerung „schuldunfähig“ sei, d. h. nicht bestraft werden könne bzw. im Fall eines Strafverfahrens freigesprochen werden müsse. Das ist ein gefährlicher Irrtum.
Erstes Gebot: Schweigerecht nutzen!

Wenn es zum Unfall kommt, sollten Sie zunächst an Ihr Schweigerecht denken! Als Unfallbeteiligter müssen Sie grundsätzlich nur Ihre Personalien angeben (Name und Adresse). Sie sind nicht verpflichtet, weitere Angaben zum Unfallhergang oder zu Ihrer Person zu machen. Insbesondere sind Sie nicht verpflichtet, den Dia­betes anzugeben. Wichtig ist dabei auch, dass man versucht, nicht unnötig zu reden – wobei das natürlich nicht immer einfach ist in so einer Ausnahmesituation. Ob man den Diabetes jetzt besser verschweigt oder angibt, hängt vom Einzelfall ab.

Wenn man nur wegen einer einfachen Ordnungswidrigkeit – wie eines Geschwindigkeitsverstoßes oder des Überfahrens einer roten Ampel ohne Unfall – von der Polizei angehalten wird, sollte man den Diabetes eher nicht erwähnen. Denn vielleicht muss man das Bußgeld zwar nicht bezahlen – es werden aber erhebliche Zweifel an der Fahrtauglichkeit bestehen, sodass teure Gutachten oder der Entzug der Fahrerlaubnis drohen.

Bei schweren Unfällen – oder wenn das Fahrverhalten so auffällig war, dass es dafür bei einem Gesunden keine vernünftige Erklärung gibt – sollte man die Unterzuckerung bzw. den Diabetes besser angeben. Denn dann kann die Polizei auch entlastende Beweise sichern, beispielsweise den Blutzuckerwert im Labor bestimmen lassen.

Ärztliches Fahrverbot beachten

Gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 1b) StGB darf niemand am Straßenverkehr teilnehmen, der „infolge körperlicher oder geistiger Mängel nicht in der Lage ist, sein Fahrzeug sicher zu führen […] und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet“. Wer vom Arzt ein „ärztliches Fahrverbot“ erhält, darf erst dann wieder Auto fahren, wenn der Arzt keine Probleme mehr sieht.

Kommt es dann auch noch zu einem Unfall und es werden Menschen verletzt oder getötet, muss man mit einer Verurteilung wegen eines Körperverletzungs- bzw. Tötungsdelikts rechnen (z. B. §§ 222, 223, 229 StGB). Das kann eine erhebliche Freiheitsstrafe bedeuten, auch der Führerschein wird wohl für lange Zeit weg sein.

Eine empfindliche Strafe droht auch, wenn man seine Sorgfaltspflichten als Kraftfahrer verletzt und deswegen „fahrlässig“ eine Gefährdung verursacht. Wer (weiter)fährt, obwohl er weiß oder hätte wissen können, dass eine Unterzuckerung naht, muss im schlimmsten Fall ebenfalls mit Gefängnis rechnen. Fahrlässig wäre es beispielsweise, wenn man sich ans Steuer setzt, ohne dass man seinen aktuellen Zustand vernünftig abschätzen kann – beispielsweise durch eine zeitnah vor Fahrtantritt bzw. in regelmäßigen Fahrpausen durchgeführte Blutzuckerselbstmessung oder den Einsatz eines Systems zum kontinuierlichen Glukosemonitoring (CGM).

Wenn man spürt oder aufgrund der Warnung des Glukosesensors davon ausgehen muss, dass eine Unterzuckerung droht, muss man unverzüglich das Fahrzeug sicher anhalten. Gleiches gilt auch, wenn man im Fall einer Warnung des CGM-Systems erst noch am Gerät hantiert oder scannt – wenn es infolge einer Unachtsamkeit dann zum Unfall kommt, muss man ebenfalls mit einer Bestrafung rechnen.

Wirklich unterzuckert?

Im Fall eines Unfalls müssen daher zwei Fragen geklärt werden, um zu einem Freispruch zu kommen bzw. keinen Schadenersatz leisten zu müssen: Lag zum Zeitpunkt des Unfalls überhaupt eine Unterzuckerung vor – und wenn ja, war diese so ausgeprägt, dass man den Ernst der Lage nicht erkennen und deswegen das Auto nicht mehr rechtzeitig anhalten konnte? Und wenn man von einer solchen Unterzuckerung ausgehen kann: Hat der Patient alles getan, um diese zu verhindern?

Für den Patienten können sich hier mehrere Schwierigkeiten auftun. Zunächst muss zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen sein, dass zum Zeitpunkt des Unfalls eine Unterzuckerung bestanden hat. Dies ist nur dann kein Problem, wenn der Fahrer infolge einer schweren Hypoglykämie bewusstlos wurde und zeitnah eine Blutzuckerbestimmung bzw. Blutprobe mit dortiger Bestimmung des Glukosewerts vorgenommen wurde.

Tipps, um dem Vorwurf einer Fahrlässigkeit zu entgehen


  • zeitnah vor Fahrtantritt sowie in regelmäßigen Fahrpausen den Blutzucker messen
  • beim geringsten Anzeichen einer Unterzuckerung: Warnblink­anlage einschalten und schnellstmöglich rechts ranfahren
  • während der Fahrt weder scannen noch das CGM-Empfangsgerät oder die Insulinpumpe bedienen
  • Alarme des CGM-Systems ­unüberhörbar einstellen
  • sicherstellen, dass das CGM-Empfangsgerät bzw. das Smartphone mit der App für das CGM-System ausreichend geladen sind
  • soweit erforderlich: CGM-System entsprechend den Vorgaben des Herstellers kalibrieren
  • bei CGM: durch regelmäßige Vergleichsmessungen kontrollieren, ob das System zuverlässig misst
  • Diabetes-Tagebuch führen, in dem neben dem Blut-/Gewebezucker auch Insulin und Mahlzeiten dokumentiert sind – in Papierform, per App oder per Software

Ist der Fahrer dagegen (noch) ansprechbar, kann es richtig problematisch werden: Die Unterzuckerung wird dann oft nicht geglaubt oder zumindest nicht als so gravierend angesehen, als dass man nicht wenigstens hätte rechts ranfahren können. Staatsanwaltschaft bzw. Gericht sehen eine Unterzuckerung bei Diabetikern auch nicht selten als reine Schutzbehauptung, um sich einer Strafe zu entziehen.

Das hängt auch damit zusammen, dass Fahren in einer Unterzuckerung für einen außenstehenden Beobachter schlicht wie rücksichtsloses Fahren wirken könnte – mit dem Risiko einer empfindlichen Bestrafung. Aber auch, wenn die Unterzuckerung feststeht, bedeutet dies noch keinen Freispruch: Im zweiten Schritt wird nämlich untersucht, wie es dazu kommen konnte und ob man wirklich alles Erforderliche getan hatte, um eine solche Unterzuckerung zu verhindern. Es empfiehlt sich daher, einen verkehrsrechtlich erfahrenen Anwalt zu beauftragen und ggf. einen diabetologisch erfahrenen Arzt oder Anwalt hinzuzuziehen.

Radfahrer? Fußgänger? Ebenfalls aufpassen!

Vielen Diabetikern ist nicht bewusst, dass auch ein Fahrrad als „Fahrzeug“ im Sinne des Strafgesetzbuches zählt. Wer also Fahrrad fährt, obwohl er Unterzuckerungen nicht rechtzeitig wahrnimmt oder ohne zeitnah zuvor den Blutzucker gemessen zu haben, kann sich genauso strafbar machen. Auch Fußgänger in Unterzuckerung können Unfälle verursachen – auch dann muss man im Zweifel für den verursachten Schaden aufkommen, wenn die Unterzuckerung fahrlässig verursacht wurde. Kamen Personen zu Schaden, dann droht auch Fahrradfahrern bzw. Fußgängern eine Bestrafung wegen eines Körperverletzungs- bzw. Tötungsdelikts.

Private Haftpflichtversicherung

Soweit man den Unfall als Fahrer eines Kraftfahrzeugs verursacht hat, muss die Kfz-Versicherung für alle Schäden aufkommen. Dazu zählen auch Krankenbehandlungskosten, Schmerzensgeld oder Renten für Unfallopfer. Unter bestimmten Umständen kann die Kfz-Versicherung dann jedoch bis 5.000 Euro zurückfordern. Für Radfahrer und Fußgänger gibt es keine gesetzliche Pflichtversicherung. Wer keine private Haftpflichtversicherung hat und die Unterzuckerung mindestens fahrlässig verschuldet hat, muss den verursachten Schaden selbst bezahlen.


Autor:

Oliver Ebert
REK Rechtsanwälte Stuttgart, Balingen
Nägelestraße 6A, 70597 Stuttgart

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2021; 70 (12) Seite 48-49

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