Im Februar/März diesen Jahrs war es endlich so weit. Die Kinderzulassung des Abbott FreeStyle Libre (FGM) für Kinder ab 4 Jahren wurde verkündet. Etwas, worauf viele Eltern von Kindern mit Diabetes Typ 1 schon sehnlichst gewartet haben.
Doch es war die ganze Zeit auch ein offenes Geheimnis, das viele Eltern das neue Mess-System bereits ohne Kinderzulassung für ihre Kids genutzt haben. Und dazu zählten auch wir.
Als ich das neue System das erste Mal im September 2014 auf der diabetestour in Stuttgart gesehen hatte, wollte ich es unbedingt für unsere Tochter haben. Wir mussten zu diesem Zeitpunkt mindestens 10 – 15 x am Tag in die kleinen Finger piksen, um Leonies Blutzucker zu kontrollieren. Und ich fand die Vorstellung des Scannens statt zu piksen einfach eine wahnsinnige Erleichterung in unserem Diabetes-Alltag.
Wie enttäuscht war ich also im ersten Augenblick, als es auf einmal hieß, das FreeStyle Libre wurde nur für Erwachsene ab 18 Jahren zugelassen. Nach dem ersten Schock haben wir uns aber dennoch dazu entschieden, das FGM für unsere Tochter auf eigene Kosten und eigene Verantwortung anzuschaffen. Also habe ich jeden Tag hibbelig in diverse Facebook-Gruppen geguckt, bis endlich die Eröffnung des Online-Shops verkündet wurde.
Die ersten Stunden und Tage mit dem FreeStyle Libre
Bereits um 6 Uhr morgens saß ich am PC und habe das Starterpaket in den Warenkorb gelegt. Als es dann endlich geliefert wurde, war es ein bisschen wie Weihnachten und Ostern zusammen. Obwohl wir unsere Tochter erst einmal dazu überreden mussten, sich den Sensor auch setzen zu lassen. Etwas Bammel hatte sie verständlicherweise vor dem Unbekannten. Und auch wir waren etwas nervös, ob das neue System auch hält, was wir uns davon versprochen haben.
Die ersten Stunden und Tage waren wirklich ungewohnt. Unsere Tochter hat gescannt wie ein Weltmeister. Jedem musste das neue System stolz vorgeführt werden und alle haben staunend danebengestanden. Was sie darin bestärkt hat, noch mehr zu messen.
Und wir Eltern mussten lernen, mit dem neuen System umzugehen. Wir hatten auf einmal den gesamten Tagesverlauf des Zuckers vor Augen. Irgendwie war das teilweise schon viel zu viel Information auf einmal. Wir mussten lernen, die Trendpfeile richtig zu deuten und beispielsweise nicht zu früh hohen Werten und einem Pfeil nach oben mit Korrektur entgegenzuwirken. Es hat einige Tage/Wochen gedauert, bis wir die für uns richtige Anwendung gefunden haben. Doch wenn man das FreeStyle Libre einmal für sich in der Anwendung verstanden hat, dann bietet es einige Erleichterungen im stressigen Diabetes-Alltag.
Ein paar unserer Erleichterungen im Diabetes-Kinder-/Familienalltag
- Ein Blutzucker von 120 (6,7) ist nicht gleich 120 (6,7)
Nach der Schule, vor dem Toben mit Freunden musste Leonie immer ihren Blutzucker messen. Wir hatten dann unsere Momentaufnahme mit einem perfekten Wert von 120 mg/dl (6,7 mmol/l), aber es war manchmal einfach schwer einzuschätzen, ob Leonie noch eine Sport-BE braucht oder nicht. An manchen Tagen hätte sie bei einem Wert von 120 mg/dl (6,7 mmol/l) keine Sport-BE benötigt und an anderen Tagen schon. Es war manchmal wie ein Lotteriespiel, die richtige Entscheidung zu treffen. Heute mit dem FreeStyle Libre ist es für uns einfacher zu entscheiden, ob eine Sport-BE nötig ist oder nicht. Die Trendpfeile helfen uns einfach dabei. Trendpfeil nach oben = keine Sport-BE nötig; Trendpfeil nach unten = Sport-BE notwendig. Wir konnten so einige Über- und Unterzuckerungen beim Spielen vermeiden.
- Blutzuckermessen in der Nacht
Wir gehören zu den Eltern, die jede Nacht aufstehen, um den Blutzucker zu kontrollieren. Auch mit dem FreeStyle Libre hat sich daran leider nichts geändert. Doch es hat die nächtlichen Messungen für uns einfacher und schneller gemacht. Anstatt umständlich Leonies Hand zu suchen, irgendwie mit der Stechhilfe einen Blutstropfen aus dem Finger zu bekommen, der dann vielleicht sogar gleich noch vor dem Messen an die Bettdecke gerieben wird, und dann mit dem Messgerät und dem Teststreifen im Halbdunkel noch genau diesen kleinen Tropfen zu treffen, um einen Wert zu erhalten, das hat mich schon so einige Neven gekostet. Mit dem FreeStyle Libre scannen wir jetzt einfach nur noch ihren Wert ab. Ruckzuck haben wir Leonies Wert, können reagieren, falls nötig, und wieder zurück ins Bett.
- Nicht-Betroffene trauen sich mehr
Leonie war im Januar zu ihrer ersten Pyjamaparty mit Übernachtung eingeladen. Die Gasteltern hatten sich bereit erklärt, Leonies Zucker in der Nacht zu kontrollieren. Mit dem Sensor haben sie es sich zugetraut. Einfach über den Arm scannen, bevor sie ein fremdes Kind in den Finger piksen müssen, ist einfach für viele Außenstehende eher annehmbar. Die Angst, etwas falsch zu machen, ist bei vielen dabei einfach geringer.
- Heimliches Naschen oder Ähnliches fällt eher auf
Heimliches Naschen vor allem in der Schule war bei uns vor kurzen ein Thema. Leider. Und ohne den Tagesverlauf des Sensors wäre es uns gar nicht aufgefallen. Leonies Zuckerwerte waren nach der Schule völlig o.k. Doch in der Schulzeit war sie teilweise nach der Pause auf über 300 mg/dl (16,7 mmol/l). Nach einigen Nachfragen hat sie dann zugegeben, dass sie in der Pause statt ihr Pausenbrot einfach Gummibärchen gegessen hat.
- Spitz-Ess-Abstand für einige Lebensmittel
Der Tagesverlauf hat uns nebenbei auch geholfen, zu sehen, für welche Lebensmittel unsere Tochter einen sogenannten Spritz-Ess-Abstand benötigt. Einige Lebensmittel gehen einfach schneller ins Blut, als das Insulin wirkt. Ganz erschrocken war ich bei der Kurve nach der ersten Trinkschokolade. Der Zuckeranstieg war enorm. Seitdem gibt es jetzt nur noch Trinkschokolade ohne Traubenzucker.
Ganz ohne Fingerpiks kommen wir aber (noch) nicht aus
Auch wenn das FreeStyle Libre für uns sehr viele Erleichterungen mit sich bringt, so gibt es aber immer noch Situationen, bei denen wir einfach nochmal konventionell nachmessen müssen.
- Bei Unterzuckerungen
Bei Unterzuckerungen bekommt Leonie meist einen sogenannten „Fress-Flash“. Sie könnte essen und essen. Da sie immer diesen enormen Hunger verspürt, misst sie meist nach 5 Minuten nochmal mit dem Scanner nach und dieser zeigt immer noch 65 mg/dl (3,6 mmol/l) an. Und das, obwohl sie eigentlich genug Hypohelfer gegessen hat. Also haben wir uns angewöhnt, bei Unterzuckerungen lieber nochmal blutig nachzumessen. Meist ist der Wert dort dann schon wieder im Normalbereich. Hätte Leonie jetzt trotzdem was gegessen, wäre sie in eine Überzuckerung gekommen, die wir so abwenden können. Das FreeStyle Libre misst ja den Glucosewert im Gewebe, somit braucht es einfach 10-15 Minuten länger Zeit, dass auch dort der Glucosewert gestiegen ist. Würde Leonie nicht immer in diesen enormen Hungerzustand verfallen, könnten wir uns diese zusätzliche Messung meist sparen.
- In der Schule oder bei Freunden bei zu hohen Blutzuckerwerten
In der Schule muss Leonie in der Pause ab und an blutig ihren Blutzucker kontrollieren. Allerdings nur bei hohen Werten. Das ist aber einfach unserer Insulinpumpe geschuldet, bei der man nicht einfach den gescannten Zuckerwert zum Berechnen der richtigen Korrekturmenge eingeben kann. Zuhause habe ich ihre Faktoren im Kopf und kann die richtige Insulinmenge berechnen.
- Wenn Leonie sich „anders“ fühlt
Wir scannen einen hohen Wert und müssten nun eigentlich Korrekturinsulin abgeben. Doch Leonie meint, sie fühlt sich super und der Wert kann nicht stimmen. Dann messen wir auch schon mal „normal“ nach. Und ab und zu ist es dann wirklich so, dass das FreeStyle Libre einen Wert von 250 mg/dl (13,9 mmol/l) anzeigt, Leonie aber einen Blutzucker von 105 mg/dl (5,8 mmol/l) hat. Wir finden das wichtig, damit Leonie lernt, auch auf ihren Körper zu hören und nicht der Technik blind zu vertrauen.
Unser Fazit nach über einem Jahr
Leonie ist begeistert vom Scannen und irgendwie gehört das FreeStyle Libre nach über einem Jahr auch schon zu ihr, wie ihre Insulinpumpe. Sie und wir haben gelernt, damit umzugehen. Haben den für uns richtigen Weg gefunden und sind gespannt, welche Neuerungen wohl in Zukunft noch das Leben mit Diabetes Typ 1 verbessern werden.