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Vor der Entdeckung des Insulins hatten Menschen ab der Diabetesdiagnose noch eine Lebenserwartung von maximal drei Jahren. Für Menschen, die heute erkranken, dürfte sie nahezu normal sein – gute Aussichten. Ein historischer Überblick von Professor Dr. Andreas Neu.
Die Geschichte des Diabetes ist eine Erfolgsgeschichte. Seit der Entdeckung des Insulins im Jahr 1921 haben sich die therapeutischen Konzepte grundlegend geändert. Während früher die Anpassung des Alltagslebens und insbesondere der Ernährung an die Erkrankung im Vordergrund standen, werden Behandlungsansätze heute nach ihrer Alltagstauglichkeit beurteilt. Noch vor wenigen Jahrzehnten galt die Lebenserwartung von Diabetespatienten als erheblich eingeschränkt. Mit der Verbesserung der Stoffwechselqualität hat sich diese Einschätzung deutlich geändert.
1921 entdeckten die kanadischen Forscher Frederic Banting und Charles Best im Tierexperiment Insulin. Im Januar 1922 erhielt der 14-jährige Leonard Thompson als erster Diabetespatient das neu entdeckte Präparat. Bald zeigten sich die Therapieerfolge. Während bis zu diesem Zeitpunkt Kinder und Jugendliche mit Typ-1-Diabetes ohne Einschränkung verstarben, war mit der Verfügbarkeit von Insulin zumindest das Überleben dieser Patienten gesichert. Rasch wurde die industrielle Insulinproduktion aufgenommen: in den USA bereits zwei Jahre nach der Entdeckung durch die Firma Eli Lilly, in Europa zeitgleich durch die Firma Hoechst. Erste Dosierungsvorschriften für Insulin folgten. Der Bostoner Arzt Elliott P. Joslin (1869 – 1962) war ein Pionier der Insulintherapie. Beeindruckt von den Effekten des Insulins formulierte er damals: “Heutzutage darf niemand mehr am diabetischen Koma versterben.”
Die eigentlichen Erfolge dieser Therapie zeigten sich in Europa allerdings erst nach Ende des 2. Weltkrieges. Erfolge wurden damals definiert als Chance zu Überleben. Folgeerkrankungen galten als unvermeidlich.
Noch in den 1970er-Jahren wurde die Therapie überwiegend durch die Urinzuckerkontrolle gesteuert. Zwar war die Blutzuckermessung technisch bereits möglich, die Geräte waren jedoch unhandlich und nicht transportabel. Gleichzeitig wurden die bis dahin verwendeten Glasspritzen durch Kunststoff-Einwegspritzen ersetzt. In den 1980er-Jahren schließlich hat sich die Blutzuckerselbstkontrolle als Standardverfahren durchgesetzt. Humaninsuline lösten die bis dahin üblichen Schweine- und Rinderinsuline ab. Erste Insulinpens kamen auf den Markt. Seit den 1990er-Jahren stehen kurzwirksame Insulinanaloga zur Verfügung. Gleichzeitig setzte man die Insulinpumpentherapie erstmals auch bei Kindern und Jugendlichen ein. Ein erstes Messsystem zur kontinuierlichen Glukosemessung ist seit 1999 verfügbar.
Vorreiter einer modernen Diabetestherapie waren der Pädiater Karl Stolte (1981 – 1951), Direktor der Universitätskinderklinik Breslau, und der Schweizer Internist Georg R. Constam (1899 – 1993).
Nachdem 1993 die Ergebnisse der DCCT-Studie (Diabetes Control and Complications Trial) bekannt wurden, haben sich die Betreuungskonzepte in der Diabetologie grundlegend gewandelt: Die intensivierte Insulintherapie wurde Standard, Eigenverantwortlichkeit und eine intensive Schulung rückten in den Fokus der Bemühungen.
Längst sind nicht alle Therapieziele erreicht. Ein HbA1c-Wert von unter 7,5 Prozent gilt für alle Altersgruppen als erstrebenswert. Tatsächlich haben Heranwachsende im Alter von unter 20 Jahren in Deutschland mittlere HbA1c-Werte von 8,1 Prozent. Immerhin messen diese Patienten durchschnittlich fünfmal am Tag ihren Blutzucker. 45 Prozent aller Kinder nutzen die Pumpentherapie, im Kleinkindesalter sind es ca. 77 Prozent. Fünf Prozent der Kinder und Jugendlichen nutzen dauerhaft die kontinuierliche Glukosemessung.
In der Vorinsulinära lag die Lebenserwartung bei ein bis drei Jahren nach Diagnosestellung. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verstarben zahlreiche Kinder mit Typ-1-Diabetes noch bevor sie das Erwachsenenalter erreichten. Bis in die 80er-Jahre wurde die durchschnittliche Lebenserwartung bei Kindern nach Manifestation mit 30 Jahren angegeben. Insbesondere neue schottische Untersuchungen aus dem Jahr 2013 konnten zeigen, dass sich die Lebenserwartung von Patienten mit Typ-1-Diabetes der Lebenserwartungskurve von Gesunden in den letzten 20 Jahren sukzessive angenähert hat. Beobachtungsdaten aus dem DPV-Register (Diabetespatientenverwaltung) konnten zeigen, dass das Risiko für Augen- (Retinopathien) oder Nierenschäden (Nephropathien) durch die verbesserte Stoffwechseleinstellung deutlich abgenommen hat. Die Lebenserwartung und die Neigung zu Folgeerkrankungen wird bei Diabetespatienten geprägt von der Stoffwechseleinstellung, aber auch von einem individuellen Risiko, das genetisch festgelegt ist.
Patienten, die in den letzten 20 Jahren erkrankt sind, wurden überwiegend mit dem Ziel einer nahe normoglykämischen Stoffwechsellage behandelt. Selbst wenn dies nicht kontinuierlich gelungen ist, haben diese Patienten damit die Chance, ein Lebensalter zu erreichen wie ihre gesunden Gleichaltrigen. In Anbetracht der therapeutischen Fortschritte darf man die Hoffnung äußern, dass die Lebenserwartung derer, die heute erkranken, nahezu normal sein wird.
Seit 1921 das Insulin entdeckt wurde, hat sich für Menschen mit Diabetes vieles zum Guten verändert. Während vorher Kinder und Jugendliche mit Typ-1-Diabetes ohne Einschränkung verstarben, war mit Insulin zumindest das Überleben gesichert, Folgeerkrankungen galten noch lange als unvermeidlich. Zunächst steuerte man die Behandlung durch die Kontrolle des Urinzuckers, später dann durch die Kontrolle des Blutzuckers. Die Geräte hierfür wurden mit der Zeit kleiner, handlicher und waren schließlich zum ständigen Mitnehmen geeignet. Für das Insulin gab es zunächst Glasspritzen, dann Pens und heute auch die Insulinpumpe. Ein erstes Messystem zur kontinuierlichen Glukosemessung gab es 1999. All diese Entwicklungen haben zu einer deutlich besseren Prognose für Menschen mit Diabetes geführt. Patienten, die in den letzten 20 Jahren erkrankt sind, haben heute die Chance, ein Lebensalter wie ihre gesunden Gleichaltrigen zu erreichen.
von Prof. Dr. Andreas Neu
Kinderdiabetologe, Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Tübingen
Kontakt:
E-Mail: andreas.neu@med.uni-tuebingen.de
Erschienen in: Diabetes-Eltern-Journal, 2014; 7 (4) Seite 8-10
5 Minuten
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