Worst of Chefkoch, Best of Diabetes, Kunst aus Blutzuckerwerten!

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Worst of Chefkoch, Best of Diabetes, Kunst aus Blutzuckerwerten!

Lukas Diestel kennen die meisten vermutlich aus dem Internet als ein Teil des viral gegangenen Anti-Foodblogs „Worst of Chefkoch“ und der Lesebühne „Die Grenze des guten Geschmacks“.  Unter dem Pseudonym @eckdoktor ist er mit zum Teil bissigem Humor auf Twitter und Instagram unterwegs. Denn, so sagt er über sich, „ich bin einfach ein Typ, der das Zeug, was er so macht, gerne mit dem Internet teilt“.

Was viele vielleicht nicht wissen, ist, dass Lukas Diestel seit etwas mehr als 2 Jahren Diabetes Typ 1 hat und dass er Gedichte aus Wörtern schreibt, die er zum großen Teil aus alten Diabetes-Ratgebern (auch schon mal aus dem Diabetes-Journal) ausschneidet. Die Prints davon verkauft er auf www.lukasdiestel.de, seiner Autorenseite. Seit diesem Jahr betreibt Lukas, übrigens 31 Jahre und aus Wuppertal, zudem eine interaktive Website, auf der künstliche Intelligenz basierend auf seinem aktuellen Glukosewert hunderte Gedichte generiert.

Interview mit Lukas Diestel

Anne Seubert (AS): Lieber Lukas, schön, dass du uns in der Blood Sugar Lounge besuchst. Erzähle doch mal kurz: Wie haben der Diabetes und du sich kennengelernt?

Lukas Diestel (LD): Meine Diagnose habe ich jetzt ziemlich genau seit 2 Jahren, bin also, was Diabetes Typ 1 angeht, durchaus Spätzünder. Meine Herangehensweise an den Diabetes liegt, denke ich, eher auf der analytischen Seite. Ich möchte mich von der Krankheit nicht zu sehr einschränken oder kontrollieren lassen, also versuche ich, alles so gut es eben geht für mich zu entschlüsseln. Welches Essen, welche Aktivität schlägt bei mir wie genau an? Wenn das beinhaltet, fünfmal hintereinander das gleiche Essen zu essen, bis der Bolus perfekt ist, dann nehme ich das in Kauf. Jede Person mit Diabetes weiß, dass das natürlich trotzdem kein Garant für gute Werte ist. Das stetige Scheitern versuche ich mit einem Augenzwinkern zu nehmen.

Quelle: Lukas Diestel

AS: Augenzwinkern scheint für dich generell ein erprobtes Mittel zu sein, wenn ich mir euer Projekt „Worst of Chefkoch“ vor Augen führe, bei dem Jonathan Löffelbein und du die lustigsten, absurdesten und fiesesten Kreationen der User gefeatured und ausnehmend lustig kommentiert habt, ohne bösartig zu werden. Essen spielte da auch aus einer besonderen Perspektive eine Rolle. Auch beim Leben mit Diabetes ist das Essen zentral. Welchen Stellenwert hat Essen für dich? Kochst du selbst gerne?

LD: Ich koche sehr gerne und esse entsprechend auch sehr gerne. Manchmal wundere ich mich, dass Essen mir so viel Spaß macht, obwohl es eine Sache ist, die man regelmäßig machen muss. Mit Genuss an sich sieht es ähnlich aus. Das Erste, was ich nach meiner Diagnose gegoogelt habe, war „Diabetes und Kaffee“. Die Ergebnisse haben mir den ersten Schock und die erste Angst zum Glück genommen. Zu lernen, dass man heutzutage mit Diabetes prinzipiell trotzdem alles essen und trinken kann, war wirklich eine große Erleichterung. Ich habe mich vor meiner eigenen Diagnose nie wirklich mit Diabetes befassen müssen, und mein Wissen über Diabetes war, wie ich dann schönerweise schnell bemerkt habe, dann doch sehr veraltet.

AS: Das klingt nach einer steilen Lernkurve! Du hast schon gesagt, dass du gerne mit dem Internet teilst, was du lernst und erlebst. Das war, soweit ich das mitbekommen habe, auch beim Diabetes von Anfang an so. Dein Mittel der Wahl sind Worte, denn du bist (auch) Schriftsteller – was schreibst du? Warum schreibst du? Wo können wir dich lesen?

LD: Alles Mögliche, ehrlich gesagt. Gedichte, Kurzgeschichten, Stand-up, Längeres. Einige meiner Gedichte findet man auf meiner Website und auch auf Instagram. Angefangen habe ich ursprünglich mal mit Kurzgeschichten. Einzelne davon sind immer mal wieder irgendwo abgedruckt, zum Beispiel in der nächsten Ausgabe vom transform-Magazin, welches ich sehr mag. Prinzipiell bin ich für jeden Spaß zu haben, gerne auch etwas schräge Sachen. Anfang dieses Jahres habe ich zum Beispiel mit einem Nürnberger Künstler zusammen ein experimentelles Graphic Novel namens „Rattenjunge Returns“ rausgebracht. Mit meinem Kollegen Jonathan Löffelbein habe ich eine monatliche Lesebühne in der wohngemeinschaft in Köln, bei der wirklich alles passieren kann, das geht dann meistens eher in eine Comedy-Richtung. An längeren klassisch literarischen Projekten sitze ich aber auch. Ich bin leider wahnsinnig schlecht darin, solche Sachen zu Ende zu bringen, weil mir meistens dann irgendein neues Projekt in die Quere kommt, wie jetzt auch bei der Gedichtgrube zum Beispiel. Zumindest den Kurzgeschichtenband will ich aber irgendwann auf jeden Fall noch machen, das war zu lange ein Jugend-/Kindheitstraum, um es nicht zu tun.

Warum ich schreibe, kann ich gar nicht richtig beantworten, ehrlich gesagt. Um trotzdem eine Antwort zu geben, die gleichzeitig langweilig, aber trotzdem irgendwie prätentiös klingt: Ich finde Wörter und, was man damit erreichen kann, einfach extrem spannend.

Quelle: Lukas Diestel

Nach der Diabetes-Diagnose beschäftigt man sich ja zwangsläufig sehr intensiv mit der Krankheit. Und auch sonst ist der Diabetes ja immer präsent, immer dabei. Gute sowie schlechte Tage mit der Krankheit muss man irgendwie verarbeiten und meine Art der Verarbeitung passiert oft über Sprache. Gleichzeitig finde ich aber auch den technischen Aspekt der heutigen Diabetesbehandlung sehr spannend. Ich laufe wie ein Cyborg aus der Zukunft mit einem Silikonfaden im Arm durch die Gegend, der einen lebenswichtigen Wert misst und an mein Handy schickt, das ist doch der absolute Knaller, wenn man mal drüber nachdenkt.

AS: Technik fasziniert dich. In deinem neuen Projekt Falsche Gefühle spielt künstliche Intelligenz eine große Rolle. Du überlässt das Schreiben ihr, wenn ich das richtig verstehe. Wie kamst du dazu, mit KI zu experimentieren und sie in deinen kreativen Prozess einzubinden? Und welche Rolle spielte dabei eine Lüge im Internet?

LD: Ich fand künstliche Intelligenz schon immer spannend, gerade in Verbindung mit Themenfeldern, in der sie klassischerweise vielleicht weniger eingesetzt wird, wie zum Beispiel kreatives Schreiben. Ich hatte im Studium zum Glück schon ein bisschen damit zu tun, so dass es nicht ganz so mühsam war, sich für das Projekt wieder in die Thematik einzuarbeiten. Mir gefällt diese Mischung aus Bewunderung und Beklemmung und irgendwie Mystik, die bei mir entsteht, wenn ein neuronales Netz einen zusammenhängenden guten Text produziert.

Anfang letzten Jahres habe ich zwei Fake-Seiten eines Münchner Tatorts auf Twitter hochgeladen und behauptet, die wären von einer KI geschrieben worden, die auf Skripte des Münchner Tatorts trainiert worden wäre. Der Tweet machte so seine Runden und ich habe das dann auch relativ schnell aufgeklärt. Aber dadurch war dann bei mir trotzdem das Interesse geweckt: Ginge das eigentlich? Dann habe ich sehr, sehr viel gelesen und ausprobiert und irgendwann war klar: vermutlich schon. Da ich generell nicht unbedingt Interesse an einer KI hatte, die Skripte vom Münchner Tatort generiert, musste dann ein anderes Projekt her.

AS: … und so entstand: www.falschegefuehle.de – eine Seite, auf der eine KI Gedichte aus deinen Glukosewerten „schreibt“, die dann entdeckt werden können. Erzähl uns das doch ein wenig genauer, bitte!

LD: Die Seite funktioniert so, dass ein Programm meinen aktuellen Gewebezuckerwert vom Dexcom-Server holt (ich trage den G6) und über mehrere verschiedene Methoden den Wert erst in eine Stimmung umwandelt und dann am Ende eine künstliche Intelligenz ein Gedicht daraus generiert. Das ist auf der Seite etwas genauer erklärt und würde hier den Rahmen vermutlich etwas sprengen. Nur so viel: Pro Messung meines Dexcoms entsteht ein Gedicht, also ca. 288 Mal am Tag, über 100.000 im Jahr. Die Gedichte sind komplett ungelesen, es hat sie ja noch nicht mal „jemand“ geschrieben, und können auf der Seite dann entdeckt werden. Wenn man möchte, kann man dem Gedicht dann einen Titel geben und sich als Entdecker_in eintragen. Oder man verwirft es, dann ist es weg, und nur man selbst hat es je gelesen. Auch schön, irgendwie.

Die Seite richtet sich prinzipiell an alle, die den letzten Absatz im Ansatz interessant fanden. Ich glaube, was so ein bisschen als Nebeneffekt entstanden ist, dass dadurch ein sehr angenehmer Berührungspunkt mit Lyrik entstehen kann. Die Gedichte sind ja nicht von einem Menschen mit einer Intention oder einem Gefühl geschrieben. Wenn man sie richtig schlecht findet, kann man sie einfach verwerfen, ohne sich schlecht fühlen zu müssen oder das Gefühl zu haben, jemanden einfach nicht zu verstehen.

Der Aufwand war bescheiden gesagt RIESIG! Die KI entsprechend so zu trainieren, dass teilweise schöne Gedichte entstehen, hat sehr lange gedauert, zumal ich von der ganzen Thematik vorher keine wirkliche Ahnung hatte. Für den technischen Teil musste ich die Programmiersprache Python lernen und mir am Ende noch das entsprechende Wissen aneignen, eine Website zu bauen und sicher und stabil ins Internet zu bekommen. Insgesamt habe ich von September bis Mai zwar nicht ausschließlich, aber immer daran gearbeitet und bin wahnsinnig froh, dass es jetzt alles funktioniert und gut ankommt. Das weiß man ja vorher auch nie.

Ich empfehle, die Seite einfach mal anzuschauen und erstmal selbst ein paar Gedichte zu entdecken. Wenn man das spannend findet, dann kann man danach ein bisschen in der Galerie stöbern, was andere Leute so entdeckt haben. Als Tipp würde ich mitgeben: Keine falsche Scheu beim Verwerfen. Das Gedicht gefällt euch nicht oder ist zu lang? Oder das eine Wort ist doof? Weg damit! Es steht keine Person auf der anderen Seite, die ihr damit enttäuscht, also macht es einfach genau so, wie ihr wollt. Das Gedicht ist super, aber ihr wollt es ganz für euch alleine haben? Macht einen Screenshot und verwerft es dann! Tobt euch einfach aus. Am Ende habt ihr ein paar Gedichte gelesen und hattet im besten Fall Spaß dabei, na sowas…

AS: Wow! Bevor ich gleich ein paar Gedicht entdecken gehe, zum Schluss drei schnelle Fragen an dich:

  1. Was lernst du gerade, was du noch nicht so gut kannst?
    LD:  Kräuter und Pflanzen selber aus Samen zu ziehen, das war dieses Jahr bei uns ein mittelschweres Desaster.
  1. Deine Lieblingsseiten im Internet?
    LD: www.crouton.net und www.fingerabdruecke24.de

  2. Wenn wir zu dir nach Hause kämen, was würdest du für uns kochen?
    LD: Quiche aus Pastinaken, roter Bete und Karotten mit gerösteten Sonnenblumenkernen. Oder Senfei.

AS: Ok, wir kommen! 😀 Vielen Dank für das schöne Gespräch, ich bin gespannt, was du als Nächstes ausheckst!

Lukas Diestel online:

Website(n): https://linktr.ee/lukasdiestel
Twitter: Lukas „Broteinheit“ Diestel: https://twitter.com/EckDoktor
Instagram: https://www.instagram.com/eckdoktor

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