28 Jahre im Club der Insulinabhängigen

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28 Jahre im Club der Insulinabhängigen

Wir schreiben Sonntag, den 21.01.1990. Ein Tag, der mein Leben von Grund auf komplett auf den Kopf stellen sollte und an dem ich dem Club der Insulinabhängigen beitrat.

Zu dem Zeitpunkt war ich gerade erst 6 1/2 Jahre jung, war gerade mal ein halbes Jahr in der nahe liegenden Grundschule und hatte diese typischen Symptome, die jeder von uns kannte … Dauerdurst – Dauerklo – Gewichtsabnahme – Appetitlosigkeit – Dauermüdigkeit. All das dauerte keine Woche, bis ich dann doch ins Krankenhaus musste. Die Blutwerte waren einleuchtend.

Wie verliefen die ersten Wochen nach der Diagnose?

Ich lag fast 4 Wochen im Krankenhaus in Moers zusammen mit 4 anderen Kindern. Das Essen war ein Graus und das Messen und Spritzen war die Hölle. Mein Messgerät war das Diatek, als Stechhilfe gab es den Autoclix und als Insuline gab es Actrapid und Protaphan U40. Fester Ess- und Spritzplan nach neustem Stand der Erkenntnisse.

Mein erstes Blutzuckermessgerät.

Ich lernte im Krankenhaus nur, was ich essen darf und was nicht. Süßigkeiten oder mal andere Dinge, die meine Mitschüler gegessen oder getrunken haben, waren tabu. Auch das “Sich-selbst-Verletzen“ gehörte dazu. Aber was tut man nicht alles für den sogenannten Selbsterhaltungstrieb. Ich war ein KIND … ich hatte da schon ein paar Pläne. Und diese sollten nicht abrupt enden.

Nach fast 4 Wochen durfte ich dann endlich wieder nach Hause und hoffte, ich käme gut mit der ganzen Situation klar und dass auch meine Familie damit klarkommt. Meine Mutter und ihre Eltern, also meine Großeltern (*höhö*), kannten es ja bereits, weil mein Großvater auch Typ-1-Diabetiker war inkl. einiger Folgeerkrankungen, die aber auch erst später richtig einschlugen.
Also wieder zu Hause … wieder in der Schule und dort dann auch alles erstmal erklären, was da nun los war. Wir hatten im Klassenzimmer auch ’ne Uhr mit ’ner Art Eieruhr, die immer zu meinen Messzeiten klingelte. Zum Glück war damals mein Stundenplan so, dass ich nur 2-mal für die Zwischenmahlzeit messen musste. 9.30 Uhr und 12 Uhr. Dann gab es entweder ’nen kleinen Snack oder halt nichts, je nach Wert. Jetzt so rückblickend betrachtet würde ich sagen, das ich mich schon manchmal fühlte, als wenn ich ’ne Sonderwurst innehätte. Selbst damals wollte ich diese schon nicht so ganz und wollte doch nur „normal“ sein.

Neue Schule, neues Glück?

1994 ging es dann zur weiterführenden Schule. Ich war gewachsen und zu dem Zeitpunkt einer der Größten im kompletten Jahrgang. Mit der Zeit kam die erste Rebellion gegen dieses Monster. Man aß vermehrt die verbotenen Sachen, vornehmlich natürlich Süßigkeiten. Der Blutzucker wurde auch nicht mehr so regelmäßig gemessen, dafür aber einfach ins Blaue gespritzt. Dieser „Plan“ spiegelte sich aber auch in meinem HbA1 (damals nannte es sich nur HbA1 und nicht HbA1c), das jenseits von Gut und Böse war. 13…15…12% waren keine Seltenheit, sondern schon eher die Regel. Die beiden Kinderdiabetologen waren auch der Meinung, dass man da nicht viel machen könne. Denn die dokumentierten Werte waren ja alle noch im grünen Bereich.

Meine Messgeräte Nummer 2 und 3.

Diese erste Rebellion ging circa 5 Jahre, bis ich dann 2001 mit ’ner recht schweren Ketoazidose ins Krankenhaus kam. Kein schönes Gefühl, auf der Intensivstation aufzuwachen und nicht zu wissen, welchen Tag man hat oder was genau passiert war.
Später während meines insgesamt 3,5-wöchigen Aufenthaltes verbrachte ich die Tage dann mit ’ner ICT-Schulung und ab dem Tag, also 11 Jahre nach strikten Vorgaben, wann ich wie viel zu essen und zu spritzen hätte, konnte ich nun frei entscheiden. Ein wirklich befreiendes Gefühl, kann ich euch sagen. Meine damalige Freundin machte auch ein paar Schulungseinheiten mit, damit sie wüsste, was zu tun wäre in dem Fall der Fälle.

Nun, was soll ich sagen … die ICT hielt geschlagene 4,5 Jahre, und nach 6 erneuten Krankenhausaufenthalten ging es dann einen Schritt weiter.

Der Weg zur Pumpe war steinig und schwer

Mai 2005 und nach einem erneuten Krankenhausaufenthalt entschieden wir uns, also das Klinikteam und ich, über einen neuen Diabetologen dann auf die Pumpentherapie einstellen zu lassen. Gesagt – getan! Ich hatte relativ schnell ’nen Termin beim neuen Diabetologen und keine 48 Stunden später gab es einen Anruf eines Außendienstmitarbeiters des Unternehmens Medtronic.

Einen Tag später kam er dann auch vorbei und gab mir die technische Einweisung in die MiniMed 712, die ich heute immer noch hier liegen habe und die sogar noch funktionieren würde. Nach ein paar Tagen mit Wasser im Reservoir wurde ich noch gefragt, wie ich es fände, und ich fand es mehr als zufriedenstellend. Nächster Schritt: Auf zum Diabetologen und die Basalrate einstellen und schon lebte ich mein Leben „auf Pump“, und dieser Schritt bescherte mir seitdem keinen Krankenhausaufenthalt wegen einer Ketoazidose mehr. Eine Frage, die mir aber zu dem Zeitpunkt noch nicht in den Sinn kam, war, wie es denn dann mal mit dem eventuellen zwischenmenschlichen Vergnügen abgehen soll. Man hat ja schließlich da so ’nen komischen Kasten an sich „kleben“. Alle Sorgen, die dann doch mal hochkamen, waren wie weggeblasen.

Mich würde mal interessieren, da ja auch das Monatsthema „Diabetes und Beziehung“ ist, wie ihr es eurem Partner beigebracht habt, dass dort so ’n Kasten an euch „rumbaumelt“? Und wie sie damit umgegangen sind, nun einen Diabetiker als Partner zu haben! War es stressig, ihm/ihr zu erklären, dass man eigentlich alles machen und essen darf, so wie er/sie auch, nur mit der kleinen Einschränkung, dass man seinen Blutzucker halt im Auge behalten muss? Hinterlasst dazu doch mal einen Kommentar.

Die letzten Jahre …

Die letzten Jahre mit der Pumpentherapie, also insgesamt mittlerweile fast 13 Jahre, liefen zu Beginn zwar etwas schleppend, aber dennoch aus meiner Sicht recht positiv. Mein Langzeitwert hat sich zwar stabilisiert und auch erst nach Verwendung eines rtCGMs deutlich verbessert. Und zwar von 10-11% auf 7-8% und, ja, ich weiß: Da geht noch mehr. Ich will es aber langsam angehen, um auch den Gefäßen keinen Schaden zufügen zu wollen. Mal sehen, wie er in diesem Quartal wird.

Meine Pumpenhistorie liest sich eigentlich ganz nett:
2005 – 2011 => MiniMed Paradigm 712
2011 – 2015 => MiniMed Veo 754
2015 – immer noch => MiniMed 640G

Mal sehen, welche es nächstes Jahr werden wird und ob ich mal ’nen kleinen Schwenker in eine andere Richtung wage oder Medtronic treu bleibe. Bis dahin fließt aber noch viel Wasser den Rhein runter, wie es hier so schön heißt!

Es gibt aber auch eine kleine Schattenseite aus meinen 28 Jahren „Clubzugehörigkeit“. Die Augen wurden schlechter und mussten sogar schon gelasert und operiert werden. Also mein Tipp an euch: Nehmt dauerhaft hohe Blutzuckerwerte nicht auf die leichte Schulter und auch dauerhaft hohe zweistellige HbA1c-Werte. Auch wenn das HbA1c nicht aussagt, wie dieser zustandegekommen ist, achtet ein wenig drauf.

Auf viele weitere Jahre…

Ich erhoffe und wünsche mir natürlich noch weitere Jahre mit meinem „Monster“, denn ich habe durch diese Krankheit viele tolle und neue Freunde kennen-, lieben- und schätzengelernt.

Bis dahin,
Marcel und sein Zuckermonster

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