Als T1D beim Arzt – „vorgestern“ und heute

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Als T1D beim Arzt – „vorgestern“ und heute

Am Anfang war die Diagnose

Mein Diabetes wurde im März 1971 vom Hausarzt meiner Eltern entdeckt. Anzeichen gab es auf jeden Fall schon eher, doch zu der Zeit hatte ich keinen Kinderarzt. Als unübersehbar wurde, dass irgendetwas nicht stimmen konnte, also Labor beim Hausarzt meiner Eltern. Der konnte den Laborergebnissen wohl nicht glauben. Ich entsprach ja auch nicht dem klassischen Bild eines Diabetikers. Ich war Kind und sehr schlank. Deshalb noch ein zweites Mal Blutabnahme.

Dann war alles klar. Ich hatte Diabetes. Mir sagte das nichts. Mir ging es einfach nur dreckig.

Im Nachhinein betrachtet, hatte der Hausarzt meiner Eltern keine Ahnung von Typ-1-Diabetes. Die Empfehlungen, die meine Eltern bekamen, passten eher für Typ 2.

Es kam, wie es kommen musste. Drei Tage nach der Diagnose landete ich in der Kinderklinik eines Universitätsklinikums.

Dort begann der wenig einfühlsame Umgang mit mir und der chronischen Erkrankung, von der ich noch nicht wusste, dass sie mich Zeit meines Lebens begleiten sollte. Ich bekam Infusionen und Spritzen in den Oberschenkel gejagt. Als ich anfangs ziemlich Abwehrspannung aufbaute, so im „Vorbeigehen“ von der Schwester: „Das musst du jetzt immer machen.“

Hallo?? Ich war zwar noch Kind, gerade mal 10 Jahre 6 Monate alt, aber hätte mir man nicht erklären können, was die Diagnose „juveniler Diabetes“ – so hieß es früher – für mich bedeutet? Meinen Eltern hat man einiges wohl im Schnellverfahren erklärt, aber mir nicht.

Schulungen der betroffenen Kinder bzw. Eltern waren auf jeden Fall noch ein Fremdwort. Und von psychologischer Betreuung sprach kein Mensch. An sich gab es nur Verbote und Drohungen: „Du darfst nichts Süßes essen! Du darfst keinen Zucker essen! Du darfst erst nach Hause, wenn du dir selber Insulin spritzen kannst.“

Steiniger Beginn

„Du musst…“ und „Du darfst nicht…“ bestimmten fortan mein Leben.

Nach meiner Erinnerung bin ich nach drei Wochen stationärer Einstellung entlassen worden und dann regelmäßig alle 4 bis 6 Wochen in der Ambulanz der Kinderklinik betreut worden.

Diese Pflichttermine in der Ambulanz waren für mich der absolute Horror! Mit zunehmender Pubertät schlugen die Hormone zu und die Werte waren selten so, wie sie sein sollten. Ich saß, ohne mir einer Schuld bewusst zu sein, fast immer auf der Anklagebank. Immer die Vorwürfe: „Du hast bestimmt mehr gegessen, als du darfst.“ „Du hast bestimmt Süßes gegessen.“ Und Ähnliches. Davon stimmte nichts.

Einfach mal zur Klarstellung: Beim Termin in der Ambulanz wurden 24-h-Urin abgegeben und ein Blutzuckerwert bestimmt. Die Werte erhielt man beim nächsten Termin. Ein Blutzucker-Tagesprofil wurde auch mindestens zweimal im Jahr gemacht, Blutzuckerwerte zu 3 Zeitpunkten am entsprechenden Tag in der Ambulanz. Die Ergebnisse dann beim Folgetermin. Blutzuckerselbstkontrolle gab es noch nicht, nur Urinzuckerteststreifen.

Langsam geht es aufwärts

Besser wurde es erst, als ich mit 18 Jahren von der Kinderambulanz in die Erwachsenenambulanz des Universitätsklinikums wechselte. Langsam fingen die Ärzte an, die Einstellung zu erläutern und nicht mehr strikte Vorgaben zu machen. Ich als die Hauptbetroffene durfte endlich, zwar vorsichtig noch, mitreden. Auch das Zeitalter der Selbstkontrolle begann.

Der Erwachsenen-Stoffwechselambulanz bin ich über Jahre treu geblieben. Der mich ab Mitte der 80er Jahre regelmäßig behandelnde Arzt und ich sind aneinander gewachsen. Aber eine strukturierte Schulung habe ich auch da nicht erhalten. Als ich diese nachfragte, bekam ich zu hören: „Sie haben jetzt schon so lange Diabetes, was sollen wir Ihnen noch beibringen.“ Wie ich heute weiß, wäre es durchaus noch eine ganze Menge gewesen…

Der nächste Schritt

Aber während des zweiten Hormonchaos in den Wechseljahren war der Klinikarzt überfordert. Als er mich letztlich fragte: „Ja, was sollen wir denn da noch machen?“, wusste ich, jetzt muss ich mir was anderes suchen.

Ab 2007 bin ich dann zu einem niedergelassenen Diabetologen gegangen, der auch gleichzeitig mein Hausarzt wurde. Im regelmäßigen Dialog konnten wir meine Einstellung wieder verbessern. Und da er durch seine gleichzeitige Hausarzttätigkeit mehr von meinem persönlichen Umfeld wusste, konnte er auch hier diabetesrelevante Tipps geben.

Und nochmal weiter

Nach einigen Jahren wollte ich wegen zunehmender Probleme mit Hypoglykämien von ICT zu CSII wechseln. Diesen Wechsel versuchte der Diabetologe mir auszureden.

Anfangs hörte ich noch auf ihn. Allerdings wurde mein Leidensdruck größer, sprich die Hyponeigung stärker. Sauer wurde ich, als ich herausfand, warum er mich von der CSII abhalten wollte. Ab dem Zeitpunkt war er nur noch mein Hausarzt, aber nicht mehr mein Diabetologe.

Seit August 2014 trage ich eine Insulinpumpe mit rtCGM. Vor und während der Einstellung auf CSII erhielt ich tatsächlich meine ersten Schulungen. Die Besprechungen der Basalrate, der Blutzuckerziele und der Auswertung der CGM-Daten fanden in einem partnerschaftlichen Dialog statt. Ich erhielt keine Anweisungen bzgl. Veränderungen, es waren Vorschläge. Rückkopplung fand völlig unkompliziert entweder in der Praxis oder über E-Mail statt.

Allerdings gab es auch hier nach einiger Zeit Schwierigkeiten. Das rtCGM-System funktionierte nicht zuverlässig genug. Deswegen wollte ich gerne das „Konkurrenzprodukt“ haben. Einen Probesensor hatte ich mit wesentlich besseren Ergebnissen nämlich schon ausprobiert. Auch der Zeitpunkt wäre günstig gewesen. Der Transmitter des ersten Systems schwächelte nämlich deutlich.

Aber es passierte, womit ich nicht gerechnet hätte. Ich bekam weder ein Rezept für das neue System noch eines für einen neuen Transmitter des alten.

Arzt als Coach, nicht als Entscheider

Seit Herbst 2017 fahre ich vierteljährlich 450 km hin und zurück zu meinem Diabetologen. Ob ich diese Fahrt dauerhaft auf mich nehmen werde, kann ich noch nicht sagen. Fakt ist, ich schicke 2 Tage vorher die CGM-Daten per Mail an den Arzt. Beim Termin werden die Auffälligkeiten und Muster besprochen, ich erhalte Hinweise, wie und wo ich mir Gedanken bzgl. einer Änderung machen soll. Das tue ich dann zu Hause und gebe per Mail Rückmeldung, was ich gemacht habe und ob es den gewünschten Effekt hat.

Habe ich zwischen 2 Terminen Beratungsbedarf, schreibe ich eine Mail an den Arzt und erhalte entweder eine Antwortmail oder einen Anruf.

Fazit:

Als Typ-1-Diabetikerin weiß ich sehr viel über mich, meinen Körper und meinen ständigen Begleiter. Im Gegensatz zu den Anfängen meiner Diabetes-Karriere werde ich heute als Betroffene in die Therapie aktiv mit eingebunden. Etwas anderes akzeptiere ich auch nicht mehr. Die Verbote und Drohungen aus der Anfangszeit haben aber tiefe Spuren hinterlassen, mit denen ich heute noch kämpfe.

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