AMNOG: Therapiefreiheit ade?

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AMNOG: Therapiefreiheit ade?

Wenn ein neues Medikament wieder vom deutschen Markt genommen wird, ist in der Regel ein Gesetz im Spiel: das Arzneimittel­markt­neuordnungs­gesetz (AMNOG). Bei der Jahrespressekonferenz der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) im Februar in Berlin stand es erneut in der Kritik.

Das AMNOG ist notwendiges Steuerungsinstrument für den Arzneimittelmarkt in Deutschland”, sagte Prof. Dr. Baptist Gallwitz (s. Abb. 1, Mitte), Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG). “Durch die Nutzenbewertung soll sichergestellt werden, dass neue Medikamente, die einen Zusatznutzen belegen, leichter und vorteilhafter im Markt platziert werden können.”

Zur Nutzenbewertung legt der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) eine “zweckmäßige Vergleichstherapie” fest und beauftragt das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), ein entsprechendes Bewertungsgutachten vorzulegen (wir berichteten mehrfach). Das Problem im Diabetesbereich: Hier werden Medikamente zum Vergleich herangezogen, die teilweise schon 50 oder 60 Jahre auf dem Markt und generische Arzneimittel sind, also deren Patent bereits abgelaufen ist, kritisierte er.

AMNOG sinnvoll in der Krebstherapie

Der AMNOG-Mechanismus funktioniere hingegen gut bei neuen Medikamenten und bei der Behandlung häufiger Erkrankungen wie in der Krebstherapie (Onkologie), so Gallwitz. Die zweckmäßigen Vergleichstherapien seien dabei meist nicht generisch, hätten somit einen höheren Preis. Dadurch werde der Anreiz für Innovationen in diesem Indikationsgebiet geschaffen. “Gerade in der Onkologie werden messbare Endpunkte für die Nutzenbewertung auch schneller erreicht als bei chronischen Erkrankungen wie beim Diabetes.”

Das AMNOG könne jedoch auch zur Behinderung von Neuentwicklungen auf verschiedenen Ebenen führen, sagte der DDG-Präsident. So ist es in der Forschung weniger lukrativ, für chronische Krankheiten neue Medikamente zu entwickeln, für die schon Generika auf dem Markt sind, die dann zum Vergleich bei der Nutzenbewertung herangezogen werden (z. B. Sulfonylharnstoffe bei Diabetes, ACE-Hemmer bei Bluthochdruck).

Gesetz ohne Zusatznutzen?
Das AMNOG ist 2011 in Kraft getreten. Sein Herzstück ist die frühe Nutzenbewertung neu in den Markt eingeführter Arzneimittel. Wie nützlich neue Wirkstoffe sind, untersucht das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Bei chronischen Erkrankungen wie Diabetes müsse beim AMNOG nachgebessert werden, fordern Diabetesexperten. Infos: http://www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de

Hinzu kommen die Unterschiede bei harten oder anderen anerkannten Endpunkten, die sich unter der Behandlung erst nach Jahren unterscheiden. Gerade für die Entwicklung von neuen Therapien bei “Volkskrankheiten” wie dem Diabetes sei dies ein kritischer Punkt, führte er an.

Die Folge: “Ein Rückzug von Medikamenten vom deutschen Markt aufgrund des AMNOG-Verfahrens führt zu einer Verschlechterung der klinischen Forschungsbedingungen in Deutschland.” Klinische Studien mit neuen Fragestellungen zu zusätzlichen Wirkungen oder Einsatzmöglichkeiten von Medikamenten seien nicht mehr möglich, wenn die entsprechenden Arzneimittel vom deutschen Markt verschwunden seien. Dies sei die “schwerwiegendste Innovationsbremse”.

Geheime Verhandlungen mit Folgen

Prof. Dr. Dirk Müller-Wieland, Vizepräsident und Mediensprecher der DDG, setzte die Kritik am AMNOG fort: “Medikamentöse Versorgung von Patienten mit chronischen Krankheiten wird durch den Preis, und nicht durch einen Zusatznutzen bestimmt.” An die Bewertung einer neuen Therapie durch den G-BA schließen sich Preisverhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit an, die allein zwischen dem GKV-Spitzenverband und dem Hersteller stattfinden.

“Wenn kein Zusatznutzen bescheinigt wurde, ist es vorgegeben, dass der Preisrahmen dem der Vergleichstherapie entspricht”, so Müller-Wieland. Dieser liegt bei Diabetes häufig im Cent-Bereich und führt dann nicht selten zur Marktrücknahme eines Medikaments. “Die Versorgungsfolgen dieser geheimen Verhandlungen haben die Betroffenen zu tragen.” Das Verfahren berge außerdem die Gefahr, dass Therapiestrategien, die wissenschaftliche Fachgesellschaften als “medizinischen Standard” empfehlen, nicht verfügbar sind oder umgesetzt werden, so der DDG-Mediensprecher.

Handeln statt reden

Was kann die Politik gegen die Volkskrankheit Diabetes tun? Mit dieser Frage setzte sich Prof. Dr. Edgar Franke, MdB, auseinander. Er ist auch Vorsitzender des Gesundheitsausschusses des Bundestags. “Auch Gesetze sollten lernende Systeme sein”, sagte er mit Blick auf das AMNOG. In der Onkologie erfülle es zielgenau seine Aufgabe und habe nicht zur Verhinderung von Innovationen geführt, sagte Franke. Doch wie soll mit chronischen Krankheiten umgegangen werden?

Problematisch seien zum einen, wie schon erwähnt, die Vergleichstherapien und zum anderen die Endpunkte: “Wie lange muss man bei chronischen Erkrankungen danach schauen, ob ein Zusatznutzen vorliegt? Und wie sieht es aus, wenn es keinen gibt – wie definiert man die wirtschaftliche Alternative von mehreren zweckmäßigen Vergleichstherapien?” fragte er, gab aber auch zu bedenken: “Nicht jeder Marktaustritt ist zu bedauern.” Viele komplexe Faktoren spielten hier mit rein. Die Politik werde sich “noch mal genau anschauen, ob man nachbessern muss”, formulierte er seine künftigen Vorhaben vorsichtig.

Für den Pharma-Dialog im Bundesgesundheitsministerium gab Gallwitz dem Gesundheitspolitiker im Umgang mit dem Diabetes auf den Weg, dass die Fachgesellschaften bei der Formulierung der Fragen zur zweckmäßigen Vergleichstherapie eingebunden werden müssten. Franke sicherte zu, dass die Politik in dieser Frage aktiv werde.


von Angela Monecke
Redaktion Diabetes-Journal
Kirchheim-Verlag, Kaiserstraße 41, 55116 Mainz,
Tel.: (0 61 31) 9 60 70 0, Fax: (0 61 31) 9 60 70 90,
E-Mail: redaktion@diabetes-journal.de

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2016; 65 (4) Seite 42-43

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