Beeinträchtigung der Ernährung überwinden

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Beeinträchtigung der Ernährung überwinden

Seinem Leib etwas Gutes tun, damit die Seele bis zum Schluss Lust hat, darin zu wohnen – diesen Satz eines Patienten hat Autor Prof. Reinhard Zick nicht vergessen. Hier sein Artikel über Diabetes, Krebstherapie und Ernährungsprobleme.

Diagnose metastierter Dickdarmkrebs

Vor einigen Jahren betreute ich einen 45-jährigen Typ-1-Diabetiker, der mit einer intensivierten Insulintherapie (ICT) und einem HbA1c von 6,9 Prozent gut eingestellt war. Er erkrankte an Dickdarmkrebs, und leider waren bei Diagnosestellung schon Tochtergeschwülste in Leber und Lunge nachweisbar.

Der Darmtumor wurde operativ entfernt – und die Metastasen glaubte man durch hochdosierte Chemotherapie und Bestrahlung in ihrem Wachstum beeinflussen zu können.

Erste Behandlungungsphase mit schweren Nebenwirkungen

Leider erfolgte die Behandlung nicht durch einen versierten Onkologen. Als ich ihn wiedersah, hatte er bereits massiv an Körpergewicht eingebüßt, und seine Blutzuckereinstellung schwankte zwischen Hyper- und Hypoglykämien. Was war geschehen? Er hatte durch die zytostatische Behandlung eine schwere Schleimhautentzündung in Mund, Schlund und Dünndarm bekommen und konnte vor Schmerzen kaum Nahrung aufnehmen.

Und die wenige Nahrung wurde durch die Schädigung der Dünndarmschleimhaut kaum in den Körper aufgenommen, sondern im Rahmen der anhaltenden Durchfälle unverdaut ausgeschieden. In dieser Situation half nur noch die Einweisung ins Krankenhaus, um mit einer vorübergehenden Ernährung mit Infusionen Schlimmeres zu verhindern.

Schleimhäute waren stark geschädigt

Alle Schleimhäute im gesamten Verdauungstrakt können durch Zytostatika und Bestrahlung geschädigt werden. Häufig werden die Defekte unterschätzt, weil sie meist erst im Verlauf der Krebsbehandlung auftreten; sie können dann aber äußerst schmerzhaft sein und auch die Lebensqualität der Patienten massiv beeinträchtigen. Am häufigsten entzündet sich die Mundschleimhaut. Dabei kann das Spektrum von einer einfachen Rötung bis hin zu so starken Schleimhautschäden reichen, dass eine Nahrungsaufnahme über den Mund nicht mehr möglich ist.

Im Einzelfall lässt sich nicht sicher sagen, ob sich nach Chemotherapie oder Bestrahlung eine Entzündung im Mund- und Rachenraum (Mukositis) ausbildet. Einige Kombinationen von Zytostatika bergen jedoch ein hohes Risiko. Diese Gefahren kennt jeder erfahrene Onkologe. Bei aller Unsicherheit gilt jedoch ein Grundsatz: Vorsorge ist möglich.

Vorbeugung und Behandlung möglich

Als Basisprophylaxe werden zweimal die Zähne mit einer weichen Bürste geputzt; die Bürste sollte wöchentlich gewechselt werden, um eine starke Keimbesiedlung zu vermeiden. Wichtig sind mehrmalige tägliche Spülungen des Mundes mit mildem Tee oder mit Wasser allein. Geeignet sind auch Lösungen mit Kochsalz oder Natriumbikarbonat (je ½ bis 1 Teelöffel pro Liter).

Durch die Mundspülungen sollen die Mundhöhle gereinigt sowie zäher Schleim entfernt werden. Die zähe Schleimbildung wird dadurch gefördert, dass die Zytostatika auch die Speichelproduktion einschränken können. Wird die Mukositis begleitet von Mundschmerzen, stehen Spülungen zur Verfügung, die lokal wirksame Schmerzmittel enthalten. Bei sehr starken Mundschmerzen muss auch nicht vor Spülungen mit Morphinpräparaten zurückgeschreckt werden.

Lohnt der Aufwand? Ja!

Lohnt sich der große Aufwand? Ja! Viele Untersuchungen haben gezeigt, dass durch die einfachen Schritte nahezu bei allen Patienten die Nahrungsaufnahme über den Mund während der gesamten Therapiezyklen erhalten bleiben kann. Damit steigen ihre Lebensqualität, ihre Heilungschancen – und vor allem wird ihre Diabeteseinstellung auch nicht die Tendenz haben, im Chaos zu enden. Und jetzt verstehen Sie auch, warum der oben geschilderte Typ-1-Diabetiker in seine Probleme geraten ist: Sein onkologisches Team hatte ihn nicht auf die Prophylaxe der Mukositis eingeschworen!

Kein rohes Obst kauen

Es versteht sich von selbst, dass Sie auch bei einer leichten Mukositis nicht rohes Obst kauen sollten. Wir raten auch ab von zu heißen oder zu sauren Getränken und Speisen. Gleiches gilt für zu scharfe Gewürze. Über Alkohol, besonders hochprozentigen, wollen wir erst gar nicht reden.

Eine Entzündung der Speiseröhre ist unter Chemotherapie eher die Ausnahme, aber: Nach Bestrahlung des Brustkorbes kann es zu einer akuten Entzündung der Speiseröhre kommen. In der Regel lassen sich die dabei auftretenden Schluckbeschwerden mit den gleichen schmerzstillenden Spülungen behandeln, wie sie bei der schmerzhaften Mukositis verwendet werden.

Problematisch sind eventuell die Folgen einer akuten Entzündung der Speiseröhre nach Bestrahlung: Es kann zu einer Narbenbildung der Speiseröhre kommen mit mehr und mehr Schluckbeschwerden – diese sollten immer durch Spiegelung abgeklärt und eventuell operativ behandelt werden, und zwar von einem Gastroenterologen.


Nächste Seite: WIe der Darmtrakt auf die Krebstherapien reagiert, was bei Entzündungen zu tun ist und wieso Diabetiker häufiger von Durchfall betroffen sind.

Höheres Pilzinfektionsrisiko bei Diabetes

Für Diabetiker gibt es bei der akuten Entzündung nach Bestrahlung eine Besonderheit: Es kann bei ihnen zusätzlich leicht zu einer Pilzbesiedlung der Speiseröhre kommen. Die Diagnose dieser Infektion wird immer durch Spiegelung gestellt. Gut hier: Die Behandlung ist nahezu immer erfolgreich über das Trinken eines lokal wirkenden Antipilzmittels.

Chemotherapie belastet Darm kaum

Der Dünn- und vor allem der Dickdarm sind gegenüber einer Chemotherapie relativ unempfindlich. Am häufigsten sind Darmkomplikationen bei dem Medikament Irinotecan, das in der Primärbehandlung des Dickdarmkrebses mit Fernabsiedlungen angewendet wird; bei dem Medikament erleiden bis zu 20 Prozent schwere behandlungspflichtige Durchfälle.

Empfindlicher sind Dünn- und Dickdarm gegenüber einer Bestrahlung im Rahmen einer Krebstherapie. Die Häufigkeit variiert je nach bestrahltem Darmabschnitt und der Art der Bestrahlung: Zum Beispiel tritt ein akuter Durchfall bei bis zu 80 Prozent der Patienten auf, die im Beckenbereich bestrahlt wurden.

Bestrahlung macht hingegen Darmprobleme

Dabei unterscheidet man zwischen einer akuten Reaktion des Darmes und einer chronischen. Der Grund der akuten Reaktion liegt in der Schädigung der sich schnell teilenden Schleimhautzellen. Als Ursachen für die Spätfolgen im Darm werden vorwiegend Veränderungen im Bindegewebe des Darmes angesehen. Als Folgen können Geschwüre, Fisteln und narbige Einengungen des Darmes auftreten.

Besonders betroffen von den Darmproblemen sind Patienten mit chronisch-entzündlichen Erkrankungen des Dünn-/Dickdarmes wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa. Interessant: Auch Patienten mit einem Missbrauch von Abführmitteln haben gehäuft Komplikationen im Dünn- und Dickdarm nach Bestrahlung.

Entzündung: Was tun?

Zunächst gilt es, den Flüssigkeitsverlust auszugleichen; danach sollte darauf geachtet werden, dass die Elektrolyte, die wir bei Durchfall über den Stuhl verlieren, ausreichend ersetzt werden. Der Durchfall selbst lässt sich durch Loperamid stoppen. Bei schweren Verläufen kommt wie seit vielen Jahrzehnten Opium in Tropfenform zur Anwendung. Diese Therapie kann begleitet werden von Schmerzmitteln oder lokalen Einläufen.

Bei den Einläufen müssen Sie als Diabetiker wissen, dass diese Applikationsformen auch Kortikosteroide enthalten können. Im Artikel über meinen guten Freund Fred haben wir Ihnen erläutert, dass Kortisonpräparate Ihren Blutzucker erhöhen können und gleichfalls die Wirkung von Insulin abschwächen. Deshalb gilt bei allen Einläufen oder auch rektalen Schäumen mit Kortison: bitte den Blutzucker nicht vergessen.

Chronische Durchfälle bei Diabetikern

Hinweisen möchte ich auf eine besondere Ursache akuter, aber auch chronischer Durchfälle, die gehäuft bei Diabetikern auftritt – vor allem in Verbindung mit einer anderen chronischen Erkrankung: die Clostridieninfektion.Bei den Clostridien handelt es sich um Bakterien, die ohne Sauerstoff wachsen und einen Giftstoff (Toxin) bilden, der die Schleimhaut des Dickdarmes schwer schädigen kann. Diese Erreger können sich im Dickdarm vor allem nach vorheriger Gabe von Antibiotika explosionsartig vermehren und eine akute Lebensgefahr heraufbeschwören.

Für die Behandlung einer Clostridieninfektion nimmt man interessanterweise spezifische Antibiotika, obwohl die Infektion durch andere Antibiotika ausgelöst und auch verstärkt werden kann. Wichtig ist also: immer auch bei unklaren Durchfällen an eine Clostridieninfektion denken!


Denkwürdiger Ausspruch

Vielleicht werden Sie jetzt noch fragen, was aus dem Typ-1-Diabetiker geworden ist, dessen Krankengeschichte ich Ihnen eingangs vorstellte? Er hat seinen Zustand “Wenn nichts mehr geht” gut überstanden und konnte nach 14 Tagen aus der stationären Behandlung entlassen werden.

Er wechselte sein onkologisches Team und konnte bei den noch ausstehenden Therapiezyklen die Nebenwirkungen so gut selbst beherrschen, dass er bis zur Behandlung auf einer Palliativstation weitgehend beschwerdefrei essen konnte. Ich habe ihn noch einmal dort besucht – und mir blieb einer seiner Sätze bis heute Mahnung und Erinnerung zugleich:

„Man sollte dem Leib auch in der schwierigsten Lebensphase etwas Gutes bieten, damit die Seele bis zum Schluss Lust hat, darin zu wohnen.“

Als ich sein Zimmer verließ, war mir schlagartig klar geworden, wie wichtig Essen und Krebs sein können und sind.

Schwerpunkt Krebstherapie

Autor:
© copyright
Prof. Dr. med. Reinhard Zick

Kontakt:
Kardinal-von-Gahlen-Straße 49, 49809 Lingen, E-Mail: Der.chef@mac.com

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2014; 63 (4) Seite 26-29

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